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Dornenflüche [German]
Kapitel 1 - Ihre Stadt, Ihre Verantwortung

Kapitel 1 - Ihre Stadt, Ihre Verantwortung

Drei Jahre später

Erneut liest sie sich den Report durch. Natürlich haben sich die in schwarzen Buchstaben auf weißem Papier festgehaltenen Informationen nicht geändert, aber dennoch blättert sie durch jede einzelne Seite des Papierstoßes, als sähe sie diese zum ersten Mal.

Die erste Seite ist das immer wieder gleiche Vorgeplänkel. Sie erinnert die Fürsten an ihre Pflichten, Rechte und ihren Schwur, den sie gegenüber dem Reich, der Krone und dem Stab geleistet haben. Die zweite und dritte Seite sind beide randvoll mit allen, für die nächsten vier Monate geplanten, Veranstaltungen. Erst ab der vierten Seite wird es interessant.

Die Berichte ihrer Kollegen und Kolleginnen ersetzen zwar wirklich keine Sommerlektüre und von abwechslungsreichem Inhalt kann in den letzten fünf Jahren auch nicht die Rede sein, aber ab und an findet sich doch ein versteckter Schatz zwischen ihnen. So auch dieses Trihebdial.

Sie blättert weiter durch die kurzen Lageberichte und Protokolle. Einige, wenige Festnahmen und Exekutionen von Vampiren und Werwölfen und sogar einem aufständischen Elfen, aber das war es auch schon fürs Meiste an interessantem Material. Noch einige langwierige Worte zu ruhigen Wochen und erfolgreichen Aktionen oder Festen, doch damit ist bereits ein Großteil der Berichte abgearbeitet. Dennoch überspringt sie kein einziges Wort. Sie liest dieselben Sätze immer und immer wieder, versucht zwischen den Zeilen Andeutungen oder Hinweise zu finden. Aber da ist rein gar nichts.

Außer im Bericht von Kathleen. Nur und einzig allein diese zwei Seiten haben die Informationen, die sie schon seit Stunden aus diesem Stapel Papiere filtert.

Eine Skizze ist der ausführlichen Beschreibung des Angriffs beigelegt. Der Bericht fängt mit folgenden Worten an:

„Verehrte Obere, hier schreibt wider Ihrem Erwarten nicht Kathleen Smog, sondern ihre Sekretärin Trimm Todd. Ich habe von meiner Übergestellten vor langer Zeit den Auftrag erhalten, im Falle eines Unfalles, der jene in einen Zustand von solcher Unfähigkeit bringen sollte, die es ihr verbietet, diesen Bericht verfassen zu können, eben diese Tätigkeit für sie zu übernehmen.

Ich habe nie an einen solchen Tag zu denken gewagt, jedoch scheint er trotz dessen eingetreten zu sein. Ich bin sehr bestürzt darüber, Ihnen mitteilen zu müssen, dass meine Vorgesetzte Kathleen Smog vor genau vier Tagen, am 27.September, Opfer eines grausamen Unfalls geworden ist, der sie in ein Koma versetzt har, aus dem sie bis zur jetzigen Stunde nicht erwachen kann.“

Die Fürstin nimmt ihren Blick vom Papier und seufzt. Sie hat den viel zu ausführlichen und dennoch informationslosen Schreibstil dieser Frau noch nie leiden können. Jeder Satz scheint eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von vollkommen unnötigen Gefühlsäußerungen zu sein. Da irgendwelche wichtigen Informationen herauszufiltern ist eine absolute Qual.

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Müde legt sie das Schreiben zur Seite und holt anstelle dessen das weiße Skizzenpapier aus dem Papierstoß heraus. Kaum zu erahnen, nur mit sehr feinen Bleistiftlinien, ist dort ein Porträt zu erkennen. Ein leicht abgemagertes, kantiges Gesicht mit eingefallenen Wangen und Augen sieht ihr vom Papier entgegen. Trotz der scheinbaren Erschöpfung, die man dieser Person vielleicht auf den ersten Blick anzusehen glaubt, starren die Augen den Betrachter wie ein angriffsbereites Raubtier an. Es fühlt sich beinahe so an, als wäre man seine nächste Beute. Die beiden leichten Wölbungen der Oberlippe über den Eckzähnen verstärken dieses Gefühl nur noch.

Bis auf das eindeutig Vampirische Gebiss deuten alle Merkmale auf einen Elfen hin. Spitz zulaufende, lange Ohren, senkrechte Schlitze anstatt Pupillen. Es scheint die perfekte Kombination von allem Abstoßenden an beiden Kreaturen.

Wundern tut es sie nicht. Elfenhuren sind zu so einigem, an die Grenzen der Widerwärtigkeit stoßenden, fähig und ihre gekreuzten Bastarde sind wirklich das abscheulichste Vieh, um den sie sich mit ihren Kollegen kümmern muss.

„Es ist etwa 1,4 Ellen hoch, seine Statur könnte man als unauffällig bezeichnen, weder breit noch besonders mager für ein der Vampir-Spezies angehörendes Wesen. Die Haare schwarz, glatt und bis auf die Brust reichend. Seinem Aussehen nach ist Es schätzungsweise etwas über zwanzig Jahre alt, allerdings kann ich durch die vorliegenden Umstände nicht mit Sicherheit sagen ob dieses Alter tatsächlich zutrifft.

Eine Besonderheit, die zu weder der Art eines Vampirs noch zu der eines Elfen passt, sind die membranbezogenen Flügel auf seinem Rücken, die den Hybriden zum Flug befähigen und umso gefährlicher machen.“

Das war wohl auch der Grund für Kathleens jetzigen Stand. Nach Trimms Bericht wurde sie durch Sichtungen einer vampirischen Kreatur am Rande ihres Gebietes verunsichert und eröffnete die Jagd auf das Monster. Allerdings rechnete sie dabei wohl nicht mit einem Hybriden, oder sogar dem Hybriden.

Mit der Phantomskizze in der Hand bewegt sich die Fürstin zu einer der Wände in ihrem Arbeitszimmer. Eine Karte bedeckt den Großteil der verkleideten Mauer. Sie ist bestückt mit einem Dutzend kleiner Nägel, die wiederum durch farbige Fäden miteinander verbunden sind.

Sie hebt das Stück Papier zu einer der vielen Linien, welche die Grenzen der Fürstentümer darstellen sollen und durchbohrt sowohl das Bild als auch die Karte mit einem weiteren Nagel.

Zufrieden tritt sie einige Schritte zurück und betrachtet ihr Werk. Die vielen Nägel und Schnüre sind wild auf der Karte verteilt, doch sie scheinen einem Gebiet im Südwesten des Reiches zum großen Teil ausgewichen zu sein. Nur zwei Markierungen durchbohren die Karte in dieser Gegend. Eine ist bereits drei Jahre alt, die erste, die sie je auf diese Karte gesetzt hat, die andere hält das Phantombild an seinem Platz.

Beide tänzeln entlang der Grenzen von Karkov, als wäre die Stadt ein tiefer Abgrund, den es zu meiden gilt.

Aber Karkov ist ihr Gebiet.

Selbst die, welche sich entlang der Grenzen ihres Territoriums bewegen, gehören zu den Zuständigkeiten der Fürstin. Und sie hat vor, diese Zuständigkeit sehr ernst zu nehmen.