“Die Lady des Südwestens“
Wie ein Messer durchbohren sie die Worte, als sie ruckartig ihren Blick nach oben verlagert und ein gutes Stück nach hinten stolpert.
Sie erblickt ihn sofort. Die Kreatur hockt auf einem höher gelegenen Ast im Wipfel des Baumes. Es stützt sich mit der unversehrten Hand am Stamm ab, die andere baumelt schwach an seiner Seite herunter und Blut tropft von seinem Handgelenk durch das Geäst des Baumes nach unten bis auf den Boden.
„Die Fürstin mit den Händen aus Feuer und dem Herzen aus Eisen, …“
Mit einer erschreckend geräuschlosen Bewegung schwingt sich das Unwesen herunter vom Ast und landet, seinen Fall durch die riesigen schwarzen Flügel abbremsend, an den Wurzeln des Baumes.
„… die ihre Gefangenen eigenhändig hinrichtet, ohne dabei auch nur mit einer Wimper zu zucken…“
schlendernd, seine Flügel teilweise über den Boden schleifend, kommt der Hybrid jetzt auf sie zu.
„… und als einzige im gesamten Reich, weder Mann noch Frau lieben kann.“
Wahrscheinlich hätte es sie zumindest gezwickt, so direkt mit dem Geschwätz der Leute konfrontiert zu werden, aber gerade hat sie eindeutig andere Sorgen.
"Man erfährt viel über dich, wenn man nur zuhören kann." Er ist nur einige Schritte vor ihr stehen geblieben und ein bösartiges Grinsen, das sie erschaudern lässt, verzerrt seine Mine.
Ihm muss bewusst sein, dass sie einen zweiten Kampf nicht mehr für sich entscheiden können wird.
Wie viel Zeit wohl vergangen sein mag?
Wie weit entfernt könnten Viktor und die Verstärkung noch sein?
Sie kann auf keine der Frage eine sichere Antwort geben. Aber sie muss zumindest hoffen, dass sie bis dahin durchhalten kann.
“Ich muss mich entschuldigen, Milady”, unterbricht er ihre Gedanken, “dafür, dass ich Sie nicht früher erkannt habe. Zumindest die feurig roten Haare hätten mir Hinweis genug sein müssen.”
Er hebt eine Hand hoch und greift spielerisch nach ihrem Zopf. Doch sie vergeudet keinen Augenblick und schlägt sofort mit dem Schwert nach ihm.
Er zuckt weg und bemerkt mit gespielter Überraschung: “Oh, immer noch Feuer im eisernen Herzen?”
Erst als sie das Schwert wieder hochheben muss, merkt sie, wie unglaublich erschöpft sie ist. Sie würde in diesem Kampf keine Minute durchhalten. Irgendwie muss sie versuchen, mehr Zeit zu gewinnen.
“Aber ich muss sagen…”
Er schlendert weiter auf sie zu und sie fängt an zurückzuweichen.
Unauthorized usage: this narrative is on Amazon without the author's consent. Report any sightings.
“Ich bin ein wenig enttäuscht. Ich habe nicht erwartet, dass die berüchtigte, grausame und gnadenlose Fürstin stumm ist.”
Das ist es. Sie kann Zeit gewinnen, wenn sie sich auf seine Spielchen einlässt und anfängt zu reden. Es darf nur nicht zu offensichtlich sein.
“Ich verschwende meine Worte nicht an Maden wie dich.”
Ihre Stimme ist eisig und kurz hebt der Elf überrascht eine Braue hoch.
"Oh, sieh mal einer an, sie kann doch reden."
Sie hatte gedacht er würde auf die Beleidigung eingehen, doch es scheint ihn nicht zu stören als Made bezeichnet zu werden. Jetzt wo sie darüber nachdenkt, wurde er wahrscheinlich schon als deutlich schlimmeres betitelt.
Langsam beginnen ihre Armmuskeln unter dem Gewicht des Schwertes zu brennen.
Sie muss die Konversation am Leben halten.
"Was willst du hier?", fragt sie während sie sich langsam ein paar Schritte zur Seite bewegt.
Der Vampir hebt gespielt verwundert eine Augenbraue.
“Ich könnte dich dasselbe fragen.”
“Ich bin auf der Jagd nach einem Mörder in meinem Gebiet”, knurrt sie.
Er schnaubt belustigt. “Du wirst übermütig, der Wald ist nicht dein Gebiet.”
“Wessen Gebiet ist es dann? Vielleicht das der Elfenbastarde und Monster?”
In der Stimme der Fürstin liegt Spott und Verachtung. Schon seit Ewigkeiten versucht das Reich sich vor den Biestern des Karkovschen Waldes zu verteidigen. Ihr Amt wurde allein deshalb erschaffen, doch der Wald scheint die Untiere zu gebären, wie eine nie versickernde Quelle.
“Der Hexen”, seine Antwort ist trocken, so als würde er nur Tatsachen beschreiben.
Die Fürstin lacht auf.
“Den Hexen gehört das ganze Reich.”
“Das vielleicht schon, aber der Wald im Besonderen”, seine Miene ist ernst, nicht der Hauch von Witz oder Ironie liegen darin, “Aber jetzt hätte ich eine Frage.”
Sie würde ihm allzu gerne das Wort verbieten, doch sie bezweifelt, dass er darauf hören würde.
“Wie kommt es, dass eine Hexe nicht Teil des Ordens ist?”
Die Fürstin schnaubt. Wenn ihr Ritter Magie vermutet, ist das eine Sache, aber von einer Missgeburt wie dieser hier als Hexe bezeichnet zu werden, ist etwas ganz anderes.
Mittlerweile ist aus ihren seitlichen Ausweichen eine Kreisbewegung geworden und sie und der Vampir kreisen umeinander wie Raubtiere im Revierkampf.
Seine Flügel haben sich kaum merklich angespannt und lugen hinter seinem Rücken hervor. Sie versucht abzuschätzen, wie er sie wohl im Kampf verwenden wird. Als sie die Pistole in der Hand hatte, war er schließlich sehr darauf bedacht, seine Flügel nicht zu verletzen. Er hat sogar den Sturz aus fast sieben Ellen Höhe in Kauf genommen.
"Keine Antwort?", fragt er, als ihr Schweigen zu lange andauert.
"Dir habe ich nichts mehr zu sagen", erwidert sie nur kühl.
Ihre Geduld für diese Unterhaltung ist bereits ausgelaufen.
Er seufzt und diesmal klingt eine giftige Bitterkeit in seiner Stimme mit.
"Ihr seid doch alle gleich."
Mit diesen Worten breitet er die Flügel zur vollständigen Größe aus und erhebt sich mit einem Schwung über die Fürstin. Einen Moment lang bleibt er dort oben hängen, bevor er sich wieder auf sie herunterstürzt.
Sein Angriff ist langsam und vorhersehbar und so kann sie ohne Probleme ausweichen, während er nur knapp neben ihr landet. Für einen kurzen Moment kommt der Kampf wieder zum Stillstand und sie stehen sich nur still und angespannt gegenüber, bereit jeden Augenblick zuzuschlagen.
"Milady, ich kann sie hören! Die Verstärkung ist nicht mehr weit weg!", Malos freudige Stimme ertönt hinter ihr. Eine Welle von Erleichterung schwappt über sie und für einen kurzen Augenblick vergisst sie, dass ihr immer noch der Vampir gegenübersteht. Sie dreht sich weg, nach den Rittern ausschauhaltend. Und er ergreift die Gelegenheit ohne einen zweiten Gedanken zu verschwenden.
Sie spürt gerade noch den Windzug. Doch bevor sie die plötzliche Bewegung in ihrem Augenwinkel einordnen kann, ist es bereits zu spät. Ein dumpfer Schmerz breitet sich in ihrer Magengrube aus und ihr wird der Boden unter den Füßen weggerissen. Kaum einen Augenblick darauf spürt sie denselben Schmerz auch in ihrem Hinterkopf, als sie gegen einen Baum hinter sich schlägt. Kurz bevor ihr vollständig schwarz vor Augen wird, hört sie erneut Malos panische Stimme: "Milady!"
Nächstes Kapitel: "Ich will es lebend"