Ein Schrei lässt Rhea auffahren und sie knallt schmerzhaft gegen die Decke der engen Höhle. Reflexartig lässt sie das Messer fallen und greift sich an den Hinterkopf. Für einen kurzen Moment wird ihre Wahrnehmung von einem scharfen, alles einnehmenden Schmerz überflutet. Sie kann nichts tun, außer sich zu krümmen und beide Hände an die verletzte Stelle zu pressen.

Als das Stechen langsam zu einem entfernten Pochen abgenommen hat, krabbelt sie rückwärts aus der Höhle heraus.

Draußen versucht Malo bereits den steilen Hang wieder hochzuklettern, rutscht jedoch immer wieder ab. Seine Stiefel graben sich tief in die feuchte Erde, die unter dem Gewicht sofort nachgibt.

“Lass sie los, du Mistkerl!”, brüllt er über den Rand des Bachtales.

Erst jetzt bemerkt Rhiscea den Kampf, der knapp über ihnen tobt. Oder zumindest das Ende davon. Ruby wird mit dem Rücken an einen Baum gedrückt, ihre Beine baumeln knapp über dem Boden und ihre Hände umklammern die beiden Handgelenke des Angreifers, der sie am Hals hochhält und ihr die Luft abschnürt. Augen und Mund wie zu einem Hilferuf weit aufgerissen, versucht sie nach der geflügelten Gestalt zu treten und gräbt ihre Fingernägel tief in sein Fleisch, doch ihre Bewegungen werden offensichtlich schwächer.

Panik breitet sich wie ein Feuer durch Rheas Adern aus, bei dem Anblick ihrer hilflosen Freundin. Sie muss ihr helfen und das sofort. Ihr erster Gedanke ist es, an dem Hang vor ihr hochzuklettern, doch den Weg versperrt Malo, der gerade einmal die Hälfte der Höhe hinter sich hat.

Hastig sieht sie sich nach einer Alternative um. Sie könnte es etwas weiter an einer anderen Stelle probieren, doch die Erde sieht dort nicht viel stabiler aus und das Gefälle ist dort noch stärker. Hinter ihr besteht das Ufer des Baches aus großen Steinen, an denen es einfacher wäre hinaufzuklettern. Allerdings müsste sie dann immer noch irgendwie auf die andere Seite kommen. Der Bachgraben ist zwar tief aber nicht übermäßig breit, vielleicht wäre es möglich hinüberzuspringen.

Sie wirft einen Blick auf Malo, dessen Oberkörper bereits teilweise über den Rand des Grabens ragt. Als er jedoch erneut abrutscht, dreht sie sich um und beginnt die andere Seite des Baches zu erklimmen. Fluchend versucht sie sich mit ihren durchnässten Handschuhen am Stein festzuhalten, als ihre matschigen Stiefel den Halt verlieren. Das klettern ist nicht so einfach, wie sie es sich erhofft hat, doch es geht immer noch besser, als am anderen Ufer und so schafft sie es nach ein paar mehr Anläufen, sich schließlich auf ebenen Grund zu ziehen.

Als sie zurückblickt, ist Malo bereits oben und versucht gerade wieder aufzustehen, ohne rücklings wieder zurück in den Bach zu fallen.

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“Lass sie los du dreckiger Bastard!”, brüllt er, bevor er sich mit gezücktem Schwert auf das Wesen stürzt. Dieses lässt Ruby tatsächlich los und die Ritterin sackt bewusstlos in sich zusammen.

Im nächsten Moment schlägt Malo auch schon nach ihm.

Schnell rafft sich Rhiscea auf, nimmt Anlauf und will springen, doch im letzten Moment rutscht ihr ein Bein weg.

Im selben Moment schreit Malo auf.

Rheas Aufprall wird durch die weiche Erde abgefedert, dennoch wird ihr alle Luft aus den Lungen gedrückt, als sie bäuchlings auf dem Boden aufkommt. Zu ihrer Überraschung ist sie bis ans andere Ufer gekommen und muss jetzt nur noch ihre Beine aus dem Graben hieven.

Sie gräbt ihre Hände in den Boden unter sich und drückt sich mit aller Kraft aus dem Bachtal heraus. Erst als sie sich in eine halbwegs stabile Lage gebracht hat, sieht sie auf.

Vom Angreifer ist keine Spur mehr zu sehen

Etwas verunsichert sucht sie alle Richtungen nach dem geflügelten Untier ab, doch das scheint wie vom Erdboden verschluckt. Sie steht auf und will ihr Umgebung weiter absuchen, doch ihr Blick bleibt an Ruby hängen. Deutliche, rote Handabdrücke zeichnen sich an dem Hals der leblosen Gestalt ab.

Mit einem Satz ist sie bei ihr und hält die zerbrechlichen Körper an den schmalen Schultern fest.

“Ruby…”, ihre zitternde Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Sie will den bewegungslosen Körper wachschütteln, das Leben mit Gewalt wieder in sie hineindrücken, doch die zarte Figur regt sich nicht.

Panik kriecht langsam in Rhiscea hoch und sie sieht sich hastig nach den anderen um. Etwas weiter rechts von ihr liegt Sith, ebenfalls reglos. Die Blutlache um den Stein, auf dem sein Kopf aufgekommen ist, wächst ein wenig mit jeder Sekunde. Erst jetzt bemerkt sie Viktor, wie er neben seinem Bruder kniet. Er ist beinahe genauso still, nur das leichte Zittern und die weit aufgerissenen Augen, die sich nicht abwenden wollen von Siths Körper, zeigen, dass er noch am Leben ist.

“Viktor?”

Rhea versucht seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und ihn damit in die Realität zurückzuholen, doch er reagiert nicht.

Sie will ihn gerade ein zweites Mal rufen, also sich der Körper in ihren Händen etwas regt.

Flatternd öffnen sich Rubys Augenlider ein Stück weit. Mit einer Hand greift sie sich langsam an den Kopf und blickt sich etwas desorientiert um. Sie blinzelt ein paar Mal, dann scheint ihr etwas einzufallen, denn ihre Augen weiten sich in Panik und sie greift Rhea am Arm. Ihr Mund öffnet und schließt sich, als wäre sie ein Fisch an Land, doch anstelle von Worten kommt nur ein heiseres Schaben heraus.

“Es ist alles gut, es ist vorbei, Es ist weg.”, versucht Rhea sie zu beruhigen, doch ihre eigene Stimme zittert und ist gefüllt mit Grauen.

Ruby schüttelt heftig den Kopf, hält sich aber augenblicklich die Hand an die Stirn und gibt einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich. Doch noch bevor sie etwas antworten kann, fallen ihre Augen wieder zu und ihr Kopf kippt willenlos zur Seite.

Gerade will Rhiscea erneut ihrer Ritterin schütteln, um sie bei Bewusstsein zu halten, als sich hinter ihr stöhnend Malo zu Wort meldet:

“Es… ugh… Es ist noch hier.”

Nächstes Kapitel: "gehört"