Als sie zurückkehrte, liefen zwei Wachen in die Burg, um den König und den Kaiser zu holen, während Königs Elyons Jäger ihnen die Tiere abnahmen. Keiner der Jäger zeigte auch nur eine Spur von Erstaunen, als sie mit den Wölfen, dem Bären und dem riesigen Hirsch ankamen. Als wäre dies ein alltägliches Geschehen für sie, warteten die Männer, bis Elyon die Wölfe losgebunden hatte. Die Tiere hatten sich nur bis zum Rand des Waldes getraut und beobachteten die Menschen mit herunter gepressten Ohren. Elyon Schnitt ein Bein des Rehs ab und legte es vor dem Leitwolf hin. Dieser schnappte das Bein und trug es zurück in den Wald.
Als die Jäger gerade anfingen, den Bären mit sich in die Jagdhütte zu ziehen, kam Nevins Familie an, begleitet von König Elyon.
König Elyon seufzte, aber so unauffällig, dass es nur Nevin auffiel, denn seine eigene Familie war völlig von dem Anblick des Jagdguts eingenommen. Selbst sein Vater hob seine Brauen hoch und starrte abwechselnd den Bären und die Prinzessin an.
»Habt ihr den Bären ganz alleine erlegt?«, fragte sein Vater, an Nevin gerichtet.
Er schüttelte den Kopf. »Der Bär griff mich an, woraufhin die Prinzessin ihn mit einem Schwertstich tötete.«
Sein Vater musterte wieder die Prinzessin an. Sie bemerkte dies jedoch nicht, denn sie war ganz auf ihren Vater fixiert, die Stirn in leichten Falten gelegt. Dieser nickte zufrieden und befahl seinen Männern, beide Tiere auszunehmen. Dann bemerkte Nevin, dass ihr Blick nicht wirklich auf ihren Vater gerichtet war, sondern wieder auf die Peitsche an seinem Gürtel.
»Eure kaiserliche Hoheit, wäret Ihr bereit, das Bärenfell als Geschenk von uns anzunehmen?«, fragte König Elyon. »Sturmbären sind selten auf der Insel und dieser hat ein besonders dichtes, prächtiges Fell.«
Finans Augen leuchteten auf. Er liebte alles, was selten und teuer war. Er hatte bereits mit zwölf eine größere Edelsteinsammlung, als Nevin selbst.
Der Kaiser nickte. »Es wäre mir eine Freude, ein solch prächtiges Fell in meine Sammlung aufzunehmen.
»Sehr wohl.«
»Ihr hab mich stark beeindruckt, Prinzessin«, sagte der Kaiser und das Mädchen löste endlich ihre dunklen Augen von ihrem Vater, um dem Herrscher zu begegnen. »Ihr habt nicht nur zwei prächtige Tiere zurückgebracht, sondern anscheinend auch meinem Sohn das Leben gerettet. Ich danke Euch, dass Ihr den Thronfolger von Rovisland beschützt habt.«
Prinzessin Elyon verbeugte sich, ihr Gesicht zeigte wieder keinerlei Spuren von Furcht. Nevin hätte sich am liebsten an ihre Seite gestellt, statt neben seinem Vater zu stehen. Um etwas von ihrem Selbstbewusstsein aufzusaugen. Vielleicht würde er dem Kaiser anders begegnen, mit einem nicht so verknoteten Magen. Mit etwas mehr Atem in seinen Lungen.
Es begann wieder zu regnen und der König führte sie zurück in die Burg. Auf dem Weg dorthin näherte Nevin sich der Prinzessin an.
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»Ich muss mich noch bei Euch bedanken. Ohne Euch, hätte der Bär mit schwer erwischt. Vielen Dank.«
Sie nickte nur, ohne ihn anzuschauen, doch sie entfernte sich auch nicht von Nevin, sondern stapfte neben ihm auf ihr finsteres Zuhause zu.
–
Später saßen sie in einem Speisesaal, mit Platz für dreißig Gäste. Die Wände waren geschmückt mit samtenen Teppichen, in der gleichen, dunkelblauen Farbe wie die Tischdecke. Das goldene Geschirr blitzte im Kerzenlicht, das Reh lag auf einem riesigen, goldenen Präsentierteller und erfüllte den ganzen Raum mit seinem gebratenem Duft.
Der Kaiser setzte sich an die Spitze der Tafel. Links von ihm, saßen der König und einige Fürsten und ihre Frauen, rechts von ihm, Nevin und der Rest seiner Familie. Die Prinzessin war nirgends zu sehen.
»Wo ist Eure Tochter?«, fragte der Kaiser.
Der König schluckte leicht. »Bitte verzeiht ihre Abwesenheit, sie hat in letzter Zeit abends öfters Kopfschmerzen, wegen den vermehrten Regenfällen.«
Das klang nach einer typischen Prinzessin, die ihr Leben innerhalb von Schloss- und Burgmauern verbracht hatte. Aber nicht nach einem Mädchen, dass ihr halbes Leben in einem Wald verbracht hatte und eigenhändig einen riesigen Bären töten konnte.
Jesko beugte sich zu Nevin.
»Sie mag kein gekochtes Essen. Und hat bis heute noch keine ansehnlichen Tischmanieren. Hab ich von den Köchen erfahren«, flüsterte er.
»Erzähl Vater nichts davon.« Nevin beugte sich zurück, da der Diener gerade einen dampfenden Teller mit gekochtem Gemüse servierte.
»Du siehst gar nicht mehr so niedergeschlagen aus. Dabei bist du fast von einem Bären getötet worden«, flüsterte Jesko, als der Diener sich wieder entfernt hatte.
Nevin dachte kurz nach, horchte in sich, um seine Gefühle zu überprüfen. Jesko hatte recht. Er war nun etwas entspannter. Etwas zuversichtlicher. »Ich glaube, ich werde sie mögen.«
Jesko hob eine Augenbraue.
Prinzessin Elyon war nicht das, was er erwartet hatte. Er konnte es nicht genau in Worte fassen, aber ihre Worte, etwas in ihrem Blick, die Art, wie die Eichhörnchen sorglos auf ihren Schultern gerastet hatten, die Wölfe sie liebkost hatten. Etwas in ihr gab Nevin eine Sicherheit, die er schon lange nicht mehr in der Gegenwart von Fremden und besonders Adligen gespürt hatte. Als würde alles irgendwie in Ordnung werden.
Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es ein großer Vorteil wäre, sie zu seinen Verbündeten zählen zu können, vielleicht sogar zu seinen Freunden.
»Nun, dein Vater schein sie auch haben zu wollen. Das ist also von Vorteil. Übrigens, ich habe es geschafft, einem Gespräch zwischen deinem Vater und dem König zu lauschen«, flüsterte Jesko weiter und beobachtete den König dabei, wie er persönlich das Reh zerlegte. Um sie herum unterhielten sich die Erwachsenen über belanglose Dinge.
»Die Familie König Elyons, scheint irgendeine Verbindung zu Höhental und dem Fluch zu haben. Ich glaube, dein Vater hofft, dass sie dem Fluch irgendetwas entgegensetzen können.«
Nevin löste den blick von dem Braten und starrte Jesko an, fast in Erwartung, ein verschmitztes Grinsen zu sehen, als Zeichen, dass er scherzte. Doch er fand keine Spur davon. Jesko meinte es ernst. »Wir werden da nachforschen. Ich verspreche es. Sobald wir wieder zurück in Adlerstal sind. Vielleicht hat dein Vater recht. Ich hoffe, dass er recht hat.«
Nevin starrte seinen Teller an, ohne etwas von dem Essen darauf wahrzunehmen. Höhental, König Elyon und der Fluch. Konnte es sein? Konnte es tatsächlich sein, dass sie eine Spur zu dem Ursprung des Fluchs entdeckt hatten? Ein flatterndes Gefühl breitete sich in seiner Brust aus. Hoffnung. Es war so lange her, seitdem er sie das letzte Mal gespürt hatte. Und nun hatte er jemanden gefunden, der sie ihm vielleicht geben wollte.
ENDE