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2.1 Gilwas Unglück

Die Lippen nach innen gedrückt, legte Gilwa eine braune Haarsträhne über die andere. Dabei warf er immer wieder Blicke auf Elina. Seine älteste Schwester flocht die roten Haare ihrer jüngeren Schwester, ganz langsam, während Gilwa versuchte ihre Bewegungen nachzumachen, um Dinas Haare zu flechten, die jüngste der Mädchen. Dina saß regungslos auf den gefallenen Baumstamm, während Neli immer wieder neugierige Blicke auf Gilwas Werk warf.

»Ist das so richtig?«, fragte er.

Elina, die direkt neben ihm stand, beugte sich zu seinem Zopf herunter.

»Ja, das machst du sehr gut!«

Gilwa freute sich so sehr über Elinas Kompliment, dass er die drei Strähnen losließ und ein Stück des Zopfs sich auflöste.

Er schnappte nach Luft, dann griff er nach den Strähnen und versuchte sie zurück zu flechten. So schnell wie möglich. Denn Elina war bereits fertig und stecke Gänseblümchen in Nelis rotes Haar. Ihr Zopf war gerade und glatt, seiner etwas krumm. Hinzu standen noch etliche braune Haarsträhnen aus dem Bündel heraus.

Doch Gilwa biss die Zähne zusammen und machte weiter, bis er die Mitte von Dinas Rücken erreichte und die Haare zu kurz waren, um sie weiter zu flechten. Elina war bereits zur Stelle und band die Spitze mit einem braunen Lederband zusammen.

Gilwa trat einen Schritt zurück und verglich sein Werk mit dem seiner ältesten Schwester.

»Es ist nicht so gut wie Elinas geworden. Entschuldigung, Dina.«

Dina drehte sich lächelnd zu ihm um und fühlte vorsichtig nach der Frisur.

»Ich mag es.« Dina drückte Gilwa einen Kuss auf die Stirn.

»Schau, Gilwa, wenn wir noch ein paar Blumen hineinstecken, dann wird es so schön wie Elinas.« Neli hielt ihm die offenen Hände hin, auf denen unzählige Gänseblümchen lagen.

Elina half ihm dabei, die kleinen Blumen in Dinas Zopf zu stecken.

»Siehst du? Jetzt sehen sie fast gleich aus.« Neli kräuselte die sommersprossige Nase, wie immer, wenn sie lächelte. Gilwa machte es ihr nach, dann warf er die Arme um Elinas Beine.

»Danke, Elina! Dass du mir Flechten beigebracht hast.«

Seine älteste Schwester beugte sich zu ihm, um ihn hochzunehmen. Er war der Einzige, der noch klein genug war, um getragen zu werden. »Kommt, wir dürfen die Wacholderbeeren nicht vergessen.«

Neli stand glucksend von dem Baumstamm auf, warf die Gänseblümchen in die Luft und lief ihnen hüpfend voraus in den Wald.

»Neli! Du verlierst die Blumen aus deinem Haar!«, rief Dina und rannte ihrer Schwester hinterher.

»Was macht man mit Wachbeeren, Elina?«, fragte Gilwa und sah hinauf in ihre blauen Augen.

»Heute Abend macht Mama einen Rinderbraten. Die Wacholderbeeren machen das Fleisch schmackhafter.«

»Kannst du mir später eine Blumenkrone flechten? Oder Blumen in meine Haare stecken?«

»Gerne. Aber wir müssen sie abmachen, bevor wir wieder im Dorf sind. Sonst machen sie die anderen Jungen wieder lustig über dich.«

Gilwa legte den Kopf auf ihre Schulter.

»Aber ich mag Blumen. Warum darf ich keine tragen?«

Elina drückte ihm einen Kuss auf sein braunes Haar.

»Natürlich kannst du Blumen mögen. Weißt du, manche denken, Blumen sind nur was für Mädchen. Aber das ist natürlich quatsch. Jeder darf Blumen mögen und tragen. Wenn die Jungs sich wieder lustig über dich machen, beachte sie nicht. Und sollten sie dich deswegen anrühren, dann läufst du schnell nach Hause und sagst uns, oder Mama und Papa Bescheid. Einverstanden?«

»Der Einzige, der mich deswegen hauen will, ist Alro. Ich habe immer etwas Katzenfell in meiner Tasche, wenn ich es ihm hinhalte, niest er ganz doll und rennt weg. Oh! Schau mal Elina! Ein schwarzes Eichhörnchen!« Das kleine Tier rannte gerade hinter Elina den Waldweg entlang, nur um dann rasch den nächsten Baumstamm hochzuklettern. Er mochte besonders die schwarzen gerne, da niemand in seiner Familie schwarze Haare hatte und auch im Dorf gab es niemanden mit schwarzen Haaren.

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Ein Schrei gellte durch den Wald und Gilwa drehte sich erschrocken um. Es klang nach Neli. Ganz sicher. Elina blieb stehen. Sein Herz klopfte immer heftiger, während Gilwa die Umgebung nach ihr absuchte.

Elina legte Gilwa mit zitternden Händen ab, als sie ein lautes Grollen hörten. Gilwa klammerte sich wimmernd an das Bein seiner Schwester.

»Elina!«, schrie Dina, die um die Ecke eines dichten Buschwerks auf sie zu rannte. Dann schoss ein schwarzer Kopf hinterhe, gefolgt von einem langen Hals. Ein Drache. Gilwa riss die Augen auf. Er hatte noch nie einen Drachen gesehen.

Elina klaubte Gilwa auf und schoss davon. Dina, mit ihren viel kürzeren Beinen, kam nicht hinterher.

»Dina!«, schrie Gilwa und griff mit der Hand in ihre Richtung, sie blieb immer weiter zurück. »Nein! Elina, halt an!«

Der schwarze Drache machte einen riesigen Satz und riss Dina zu Boden.

Gilwa schrie. Er schrie, bis sein Hals wehtat und wandte sich mit aller Kraft in Elinas Griff, die nur ihre Arme fester um ihn schlang.

»Elina! Halt an, halt an, halt an!«, heulte er.

Dina versuchte sich schreiend aus dem Griff der Bestie zu ziehen, da öffnete der Drache sein geiferndes Maul und schnappte nach ihrem Kopf.

»Nein!«, kreischte Gilwa.

Der Drache biss hinein, ein furchtbares Knacken echote durch den Wald, dann riss sie ihn ab.

»Dina!« Gilwas schrie. Immer und immer wieder. Heiße Tränen rannen ihm über die Wangen.

Elina drückte seinen Kopf auf ihre Schulter, sodass er nichts mehr sehen konnte.

»Gilwa. Ich flehe dich an! Hör auf zu schreien.«

Als Gilwa die erstickte Stimme seiner Schwester hörte, schluckte er schwer und drückte das Gesicht noch tiefer in ihre Schulter, sodass sie jeden Herzschlag spürte, der durch ihren Körper wummerte. Jeden Schluchzer, bezwang er mit einem Schlucken, aus Angst, dass es zu laut sein könnte.

Elina schlittere nach links, einen Abhang hinunter. Gilwa ahnte, wo sie waren. Er hob den Kopf und wandte sich um. Vor ihnen lang eine kleine Höhle, in einem riesigen Felsen. Der Eingang war so klein, dass nur Gilwa hinein krabbeln konnte.

Keuchend setzte Elina ihn ab und strich ihm über die Haare, ihre Wangen von Tränen benetzt.

»Gilwa ... versteck dich hier. Versprich ... versprich mir, dass du erst wieder rauskommst, wenn jemand vom Dorf nach dir ruft. Hast du verstanden?«

»Nein! Wo gehst du hin?« Gilwa schlang seine Arme um Elinas Hals und wollte sich wieder von ihr hochnehmen lassen, doch Elina riss ihn von sich los und drängte ihn auf die Höhle zu.

»Schnell!« Ihre Stimme war so schrill, dass Gilwa sich vor Schreck nicht mehr traute, ihr nicht zu gehorchen und kroch schnell in den engen, kalten Tunnel hinein. Er konnte sich gerade noch auf Knien wenden, um auf den Eingang schauen zu können. Elina war verschwunden. Er hörte nur noch ihre Laufschritte, die im Unterholz raschelten.

»Elina! Lass mich nicht allein!«, schrie Gilwa und kroch wieder auf den Eingang zu. Er streckte gerade den Arm aus der Höhle, als er den schwarzen Drachen sah. Das Tier begegnete seinem Griff, Geifer floss aus seinem Maul, dann donnerte es auf ihn zu.

Der Anblick erschreckte ihn so sehr, dass Gilwa sich nicht bewegen konnte. Auch nicht, als der Drache nach ihm schnappte.

Da wachte Gilwa auf und ließ sich zurück in die Höhle fallen, als die spitzen Zähne sich um seinen Arm schlossen. Ein schrecklicher Schmerz fuhr durch seinen ganzen Körper und Gilwa schrie so laut, dass ihm die Stimme abbrach. Seine Sicht verschwand für einen Augenblick und das flößte ihm so viel Angst ein, dass er noch einen Schrei von sich gab.

Das Knurren war so laut, dass es Gilwas Arm schüttelte. Dann fuhren die Zähne aus seinem Arm heraus, ganz kurz fühlte es ich an, als wären die Schmerzen verschwunden. Doch sie kehrten zurück und wurden mit jedem Herzklopfen schlimmer.

Wimmernd öffnete Gilwa seine Augen. Mehrere Steine landeten auf den Drachenkopf. Das Biest kräuselte die Schnauze und fauchte, den Blick nach rechts gerichtet.

»Komm her, du hässliches Biest!«, rief Elina, dann hörte Gilwa wieder ihre Schritte. Schluchzend streckte er seinen heilen Arm aus. Elina sollte ihn nicht verlassen. Er hatte so schlimme Schmerzen.

Gilwa fiel zu Boden, krümmte sich zusammen und drückte den pulsierenden, blutenden Arm an die Brust. Dicke Tränen kullerten aus seinen Augen und der Schmerz war nun so schlimm, dass Gilwa noch nicht mal die Kraft hatte, zu heulen.

Dann strömte eine Hitze durch seinen Körper, die alle Schmerzen auflöste. Er konnte nichts mehr hören, nichts mehr sehen. Alles war nur noch heiß.

Zu der Hitze kam nun ein Ziehen, zuerst leicht und vorsichtig, dann heftig und schnell, was Gilwa erneut zum Jammern brachte. Kurz darauf kam ein ganz heftiger Zug. Seine Knochen knackten und seine Haut brannte. Es war so schlimm, dass Gilwa vor Angst zitterte und fürchtete, dass er seine Familie nie wiedersehen würde. Doch dann verschwanden alle Schmerzen und die Hitze. Seine Augen fielen zu und er wachte für lange Zeit nicht mehr auf.