01.07.2026, 17:30Uhr, im Museum für antike Geschichte
Wie fast jeden Tag um diese Uhrzeit ging ich nach meiner üblichen Durchsage, dass das Museum in einer halben Stunde schließen würde, durch die Ausstellung. Wie immer waren nur noch wenige Besucher da. Oft hatte ich bereits in solchen Momenten Sanders, der Stimme in meinem Kopf, gelauscht, wie er mir von seiner Arbeit als Ingeneur für intertemporale und interdimensionale Kommunikationstechnik erzählte. Die letzten zwei Jahre war auch die Zeitreise von Eric und Dr. Kinger oft Thema gewesen. Wie schön, dass ich jetzt die ganze Geschichte kannte, und die Rätsel, die mir das Pergament, die Zeichnungen und die Bauteile aufgegeben hatten, endlich gelöst waren. Die Bauteile, die mich durch reinen Zufall mit Sanders verbunden hatten, die ich in seinem Auftrag Professor Kinger übergeben hatte, damit sie ihm helfen, die Zeitschleife aufrecht zu erhalten – wer weiß, wie das alles angefangen hat, aber ich hatte es für die Stabilität des Raum-Zeit-Gefüges getan, auch wenn es für die beiden, vor allem für Eric, keine schöne Erfahrung gewesen war. Aber ich wusste, er würde es verarbeiten können. Genauso wie damals die Sache mit seiner Lehrerin – nicht dass das vergleichbar wäre, aber trotzdem hatte ich wie damals so ein Gefühl. Da viel mir ein Mann auf, vielleicht Mitte siebzig, der eingehend eine Statue betrachtete. Ich stellte mich dazu. „Sagen Sie, soll das wirklich Hermes sein?“, fragte er. „Ja, das ist der Götterbote.“ Ich lächelte. „Naja“, meinte der Mann, während er das Kunstwerk weiterhin kritisch beäugte, „Wer auch immer der Bildhauer ist, er hat Hermes noch nie gesehen.“ Ich hob beide Augenbrauen. „Haben Sie ihn denn schon gesehen?“ Der Mann ließ ein leichtes Lachen von sich. „Natürlich, und ich kann Ihnen sagen, seine Wangenknochen sind deutlich markanter.“ Bisher hatte nur Sanders mit mir über die reale Existenz der verschiedenen Gottheiten gesprochen, aber der man neben mir war nicht Sanders, dieser klang jünger und hatte nicht so einen slawischen Akzent, von daher war ich erstaunt. „Und Hermes ist einer, der viele Geschichten erlebt hat.“ Interessiert sah ich den Mann neben mir an, der sofort fortfuhr: „Einmal, so hat er es mal erzählt, hat er die Sphäre des kanaanäischen Pantheons besucht, weil sich dort ein einfacher Stammesgott in sehr kurzer Zeit sehr viel Wissen über den Kosmos angeeignet hat. Den wollte Hermes natürlich unbedingt mal kennen lernen. Aber daraus wurde nichts, denn dieser Gott hatte kein Interesse am Austausch mit anderen Göttern. Schade eigendlich, der Typ hatte und hat auch immer noch ein paar interessante Ansätze, die man gerne mal hätte diskutieren können, aber er war mehr und mehr der Überzeugung, seine Ansichten über die Welt wären die einzig wahren und die anderen Gottheiten der Welt hätten kein Mitspracherecht. Da konnte selbst Hermes mit all seinem diplomatischen Geschick nichts mehr ausrichten. Die anderen zogen sich sogar irgendwann unauffällig in andere Sphären zurück, selbst El und Aschera. Baal hat es noch am längsten mit ihm ausgehalten.“ „Das ist ja was. Im griechisch-römischen Pantheon gab es ja auch die ein oder andere Meinungsverschiedenheit, aber das ist selbst dort nicht passiert.“ Der Mann nickte. „Herr Dr. Arkanov! Da bin ich wieder. Wie ich sehe haben Sie sich nett unterhalten“, hörte ich eine merkwürdig vertraute Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah einen Mann anfang vierzig. „Ja, ich habe dem netten Herrn hier gerade ein bisschen was über Hermes erklärt“, erwiederte der Ältere neben mir, der sich gerade abewendete, „Aber bevor wir fahren, geh ich auch noch mal auf Toilette.“ „Alles klar.“ der gerade Dazugestoßene sah nun mich an. „Entschuldigen Sie Dr. Arkanov, hat er sich wieder in seinen Märchen verloren?“ „Sind es denn wirklich Märchen, Herr Sanders?“ Überrascht sah er mich an. „Kennen wir uns, Herr…“ Erwarf einen Blick auf mein Namensschild. „… Mesgen? Ach du heilige…“ Ich nickte. Da hatte mich meine Intuition doch nicht getäuscht. Ich lächelte. „Schön, dass wir uns endlich mal in Person sehen. Und danke für die Sache mit Eric.“ „Ohne deine Mithilfe und die Informationen, die du mir bereitgestellt hast, hätte ich das wahrscheinlich nicht geschafft“, erwiederte Sanders. Nun, normalerweise bin ich niemand, der einfach Leute um den Hals fällt, aber jetzt, wo der Mann, der mir so viele Jahre in meinem Kopf Gesellschaft geleistet hatte, vor mir stand, überkam es mich einfach. Sanders schien etwas überrascht, verständlicherweise. Erst zögerlich, dann mit seinem üblichen Selbstbewusstsein erwiederte er die Umarmung. „Scheiße“, murmelte er, „Ich wusste gar nicht, dass ich das jetzt gebraucht habe.“ Nachdem wir uns voneiander gelöst hatten, sah er mich an: „Verdammt, da kommen mir ja ein bisschen die Tränen.“ „Herr Sanders, kommen Sie?“, hörte ich Arkanov vom Eingang aus rufen. „Ich muss dann mal.“ Sanders atmete tief durch. „aber ich komme wieder! Ich hab dir ja mal ein Telefonat mit den Göttern versprochen.“ „Ich freue mich darauf. Du weißt, wo du mich findest“, erwiderte ich. Dann ging Sanders Richtung Ausgang und ich machte mich daran, das Museum zu schließen.
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