Am nächsten Tag mussten wir einkaufen gehen, also fuhren wir in die Stadt. Erst war ich mir nicht sicher, doch als Steve und ich uns vor der Apotheke trennten hatte ich den Eindruck, als würden wir komisch beäugt. In der Post, wo ich meine Aufträge abholte, fühlte ich mich, als würden mich alle anstarren, sobald ich ihnen den Rücken zu wandte. Und dann im Kramladen wollte man mir erst kein Lampenöl verkaufen, weil angeblich keines da war. Auch Kerzen gäbe es nicht, hieß es, doch da kam just eine Dame in den Laden, die kurz vorher Kerzen vorbestellt hatte, also 'fiel dem Krämer wieder ein', wo er sie hatte. Er bestand allerdings darauf, dass ich sofort bezahlte, statt mich wie gewohnt anschreiben zu lassen. Ich verließ den Laden mit einem unguten Gefühl und hörte beim Rausgehen noch, wie der Mann sagte: „Kann mir schon denken, was die mit Öl und Kerzen vor haben.“ Am Truck angekommen war Steve nicht da. Ich suchte ihn also und fand schließlich eine schreckliche Szene vor: in einer Passage zwischen zwei Läden, hinter ein paar Kisten, hatten drei Kerle ihn eingekreist. Sie hielten ihn auf die Knie gedrängt, einer hatte die Hand in seinen Haaren und riss so seinen Kopf hin und her. Die andern beiden standen davor und misshandelten ihn, gaben ihm Ohrfeigen und traten ihn. Dann sagte einer, dass 'die Schwuchtel' ihnen gefällig sein sollte und öffnete seine Hose.
Ich preschte ohne Vorwarnung in das Trio rein und riss sie zu Boden. Ich ließ den Typen auch keine Zeit, sich zu orientieren, sondern prügelte direkt wie ein Berserker auf sie ein. Einer der Kerle konnte schnell fliehen, ein anderer schaffte es, von mir weg zu kriechen, doch dem dritten, der direkt unter mir lag, schlug ich die Visage zu Brei, bis ich von Steve gestoppt wurde. Der hatte mir die Hand auf die Schulter gelegt und rief: „Bucky! Bucky lass gut sein, es bringt nichts, wenn du ihn tot schlägst!“ Der andere Kerl, der verängstigt an der Wand lag, stotterte: „D-d-du Monster! Das werd ich der Polizei sagen!“, doch ich keifte: „Tu das! Und vergiss nicht zu erzählen, wie ihr euch zu dritt zusammen getan habt, weil ihr starken Männer eure Schwänze in seinen Mund schieben wolltet!“ Steve hat mich dann hoch gezogen, sodass der Typ unter mir sich zur Seite drehen konnte, um Blut zu spucken. Ich hab denen noch eingeschärft: „Wenn einer von euch verdammten Wichsern Steve auch nur ein Haar krümmt, mach ich euch mit der Schaufel einen Kopf kürzer! Verstanden?“
Auf der Rückfahrt wollte ich wie gewohnt Händchen halten, doch Steve zog seine Hand weg. Ich war besorgt und fragte nach, ob noch mehr passiert wäre, als was ich gesehen hatte: „Steve... Haben sie dir noch irgendwas getan? Haben sie dich irgendwo angefasst?“ Doch er schüttelte den Kopf und murmelte: „Nein. Du warst rechtzeitig da. Es hat mich nur erschrocken. Und macht mich traurig. Ich kannte die ja nicht mal...“ Entschlossen fuhr ich einen Umweg, einen Ort weiter, wo ich einen kleinen Waffenladen kannte. Dort hatte man die Neuigkeit wohl noch nicht gehört, jedenfalls wurde ich so höflich wie immer bedient. Trotzdem nutzte ich die Chance direkt für einen Großeinkauf: Ich besorgte neue Patronen und Waffenöl für meinen Colt und die Schrotflinte. Außerdem kaufte ich einen Revolver für Steve, damit er sich verteidigen könnte. Er wollte das zwar nicht, doch ich beharrte: „Und wenn sie demnächst wieder zu dritt sind? Oder zu viert? Und ich bin nicht da?“ Als wir dann endlich heim kamen, hatten irgendwelche Kinder mit schwarzer Farbe anzügliche Strichmännchen auf unsere Haustür gemalt, mit der Überschrift: „Torpedojunge und Arschpilot“. Erst sah es aus, als würde es Steve sehr treffen und ich war betrübt und wütend, doch dann begann er zu lachen: „Klingt irgendwie nach Superhelden, oder?“
Ich wollte die Tür gleich wieder mit weißer Farbe übermalen, aber Steve hatte vor, etwas anderes zu versuchen. Mit einer quasi 'Jetzt-erst-recht!'-Haltung nahm er seine Farben und malte die ganze Tür voll, als sei sie die Titelseite für einen Comic. Er gab den Strichmännchen richtige Konturen, schöne, bunte Körper, dem 'Arschpiloten' lange dunkle Haare und ein Cape mit einem roten Stern und malte den Torpedo, der sich auf den Po des 'Torpedojungen' zu bewegte in rot-weiß-blau an und die Figur selbst zu einem kräftigen Krieger mit großem Schwanz aus. Außerdem malte er lauter Herzchen auf die Tür. Ich fand das Werk zwar gelungen, doch gab ich zu bedenken, dass dies als Provokation gesehen werden könnte, also willigte Steve ein, die Tür am nächsten Tag wieder zu übermalen. Am andern Morgen war die gelieferte Milchflasche geöffnet und der Inhalt mit Urin ausgetauscht worden. Steve war niedergeschlagen und ich fühlte mich hilflos bei dieser anonymen Bosheit. Steve skizziert dann die Tür ab und ich übermalte sie mit weißer Farbe. Doch das war erst der Anfang vom Ende. Einem Ende mit Schrecken.
Am Tag danach lag unser Francis tot vor der Tür, die mit seinem Blut beschmiert worden war. Steve war am Boden zerstört, weil das Tier doch keinem was getan hatte. Auf der Tür standen allerhand Gemeinheiten, ironischerweise etwa 'Mörder', doch auch Widerlichkeiten wie 'Kinderficker', 'Hinterlader', 'Scheißefresser', 'Psychos' und anderes. Ich putzte erst die Tür und strich sie wieder weiß, danach putzte und lud ich sämtliche Waffen, während Steve für Francis im Garten ein Loch aushub. Wir haben ihn unter dem Apfelbaum beerdigt. Steve sagte feierlich ein Gebet für den kleinen Kater auf und ich zündete eine Kerze an. Als er mir dann wieder heulend in den Arm fiel, schluckte ich alle hasserfüllten Worte runter und hielt ihn bloß fest, und es war mir scheißegal, ob uns jemand sah. Dafür war es eh zu spät.
Am nächsten Morgen wurden wir zwei von einem Stein geweckt, den jemand durch Steves Schlafzimmerfenster warf. Ich zog mir hastig Hemd und Hose über und steckte meinen Armeecolt ein, den ich auf den Nachttisch gelegt hatte. Steve hatte Angst, wollte aber deeskalieren: „Bitte Bucky, nicht schießen! Bitte pass auf! Ich will nicht, dass du verletzt wirst.“ Ich strich ihm übers Haar und versuchte selbstbewusst zu schauen, doch sein besorgter Gesichtsausdruck blieb, während er ebenfalls in seine Hosen schlüpfte. Als wir hinaus sahen, mussten wir feststellen, dass sich eine größere Gruppe im Vorgarten versammelt hatte. Ich ging an die Tür und nahm die Schrotflinte aus dem Schirmständer. Steve versuchte mich noch zurück zu halten, doch ich erklärte: „Steve, die sind nicht mit friedlichen Absichten her gekommen. Wenn wir ihnen nicht gleich klar machen, dass wir nicht kampflos aufgeben, wird sie das mehr provozieren, als ruhige Worte!“ Mit dem Gewehr im Anschlag stellte ich mich also in die Tür und schrie: „Was ist los, hat es euch nicht gereicht unsere Katze um zu bringen? Was wollt ihr?“ „Nur den Kleinen!“, rief jemand. „Den kriegt ihr nicht!“, brüllte ich wütend, doch da trat ein Mann hervor, der sich oft in der Kneipe mit mir unterhalten hatte. Er sagte: „Barnes, Sie sind doch ein guter Mann, Sie wurden bloß verwirrt von diesem kranken Schwein, das Sie für Ihren Freund halten! Wenn Sie sich von ihm los sagen, passiert Ihnen nichts, keiner hier will einen verdienten Kriegshelden wie Sie verlieren. Aber dieser Rogers, der ist gefährlich!“ „Jemand muss dem Manieren beibringen!“, rief einer. „Am Besten Kopf ab!“, ein anderer. „Er muss sich in Therapie begeben, dann kann er vielleicht wieder ein Mann werden.“, warf einer ein, doch direkt schrien zwei andere: „Der kranke Bastard ist es nicht wert. /gehört aufgeknüpft.“ Steve wollte mich beschützen und schlug tapfer vor: „Lass mich zu ihnen gehen, Bucky. Vielleicht verprügeln sie mich ja bloß und wir können danach zusammen weg gehen!“ Doch ich wollte nichts davon hören: „Die haben das Seil nicht umsonst dabei, ich lass dich da nicht raus! Die kriegen dich nicht, nur über meine Leiche!“ Dann bewegte sich jemand und etwas blitzte auf, sodass ich automatisch handelte.
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Ich habe zuerst geschossen. Ich weiß nicht, ob ich ein Messer oder eine Pistole gesehen habe. Vielleicht war es auch bloß ein Kamm, ein Spiegel oder ein Feuerzeug, was das aufgehende Sonnenlicht reflektierte. In jedem Fall war damit der Kampf eröffnet. Solange draußen noch Schock herrschte, schob ich meinen verängstigten Steve rein und schloss schnell die Tür. Ich holte den Revolver, den ich ihm in die Hand drückte mit den Worten: „Den steckst du ein und keine Diskussion!“, um ihn dann zur Küche zu scheuchen, damit wir durch die Hintertür fliehen konnten. Steve gehorchte einfach, er rannte wie der Teufel. Trotzdem konnte ich ihn sofort einholen, seine kurzen, krummen Beine trugen ihn einfach nicht so schnell, also ergriff ich seine Hand, um ihn hinter mir her zu ziehen. Wir waren gerade mal am Zaun zum Wald angekommen, als ich sie schon hinter uns hören konnte: „Da drüben sind sie!“ Ich trieb Steve zur Eile, obwohl er schon schnaufte wie ein D-Zug und drehte mich dem Mob zu.
Ich bin Soldat. Wenn ich im Kampf bin, kann ich fokussieren. Ich arbeite schnell, präzise und kühl. Also hob ich die Schrotflinte und schoss dem nächstbesten Verfolger ins Bein. Da die Flinte dann leer war, konnte ich sie genau so gut weg werfen und schwang mich über den Zaun. Steve stand dort und japste, die Hände auf die Knie gestützt. Das fehlte mir noch. „Steve? Steve, reiß dich zusammen! Du schaffst das, ruhig atmen, wir sind bald in Sicherheit, dann kannst du von mir aus rum keuchen, aber nicht jetzt!“, befahl ich ihm, wobei ich ihn schubste, damit er weiter rannte. Er versuchte es auch, aber er bekam immer weniger Luft. Also hob ich ihn hoch und rannte mit ihm weiter. Sein Röcheln an meinem Ohr trieb mich mehr an als die Schreie und der Krach, der sich hinter uns formierte. Wir waren schon fast im Wald, dort würde es dann schwerer werden voran zu kommen, doch das Problem hätten dann auch unsere Feinde. Irgendwas flog an uns vorbei. Vielleicht war es nur ein Vogel. Ich weiß es nicht mehr. Denn plötzlich was Steve still. Viel zu still. Ich hielt an dem ersten Baum und wollte ihn dagegen lehnen. Aber er war ganz schlaff. Die Beine trugen ihn nicht. Sein Kopf hing wie seine Arme einfach runter. „Oh nein. Nein Stevie, nein! Nein, jetzt nicht, tu mir das nicht an!“, flehte ich. Ich legte ihn auf den Boden und begann ihn zu beatmen. Es war schon vorgekommen, dass seine Atmung ganz aussetzte, wenn er einen Anfall hatte. Allerdings war er dabei nicht... so. Er starrte einfach in den blauen Himmel hinauf. Ohne zu zucken. Ohne zu strampeln. „Steve! Verdammt Steve, nein!“, schrie ich, während ich versuchte, sein Herz wieder zum Schlagen zu bringen, „Komm schon! Komm schon verdammt! Steve! Stevie.“ Jemand lachte. Jemand anderes sprach. Jemand war wütend und noch jemand anderes erleichtert. Vielleicht kamen sie auf uns zu. Oder sie standen die ganze Zeit hinter mir. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur noch, wie ich Steve den Revolver ab nahm, mich umdrehte, und schoss.
Als ich zu Steve zurück ging, war Blut an meinen Händen. Und nicht nur an meinen Händen, mein Hemd, meine Hose, meine Schuhe, alles war mit Blut besudelt. Steve wäre sauer gewesen, weil er sich um unsere Wäsche kümmerte. Aber das war jetzt nicht mehr wichtig. Jemand anderes würde das Blut weg waschen. Ein bisschen davon war meines. Ich wurde an der Schulter und an den Rippen erwischt, aber das behinderte mich nicht. Ich bin Soldat. Ich kann Schmerzen aushalten. Ich wusste auch schon, dass man über mich morgen nicht irgendwo im Mittelteil der Zeitung schreiben würde. Ich bekam die Titelseite. Ich sah die Schlagzeile vor mir: 'Armee Veteran verursacht Massaker in Kleinstadt'. Bei 12 Toten würden sie sicher ausführlich berichten. 14, wenn man uns mit zählte. 'Immer eine Kugel übrig behalten.' Ich hatte vorher gar nicht gesehen, dass Doktor Murdock auch bei dem Mob dabei war. Leider ist mir das erst spät aufgefallen, als ich schon die meiste Munition los war. Als er so vor mir weg kroch, habe ich dann an meine Drohung gegen diese Typen in der Gasse gedacht. Er hatte Steve weh getan...
Es hat zwar etwas gedauert, aber mit dem Spaten ging es dann. Ich hab jedoch darauf verzichtet, ihn zu verscharren. Die, die ich nicht direkt erwischt habe, hatten immerhin den Grips zu verschwinden. Sonst hätte ich doch nochmal ins Haus gehen müssen, um nach zu laden. 'Immer eine Kugel übrig behalten.' Ich legte mich neben Steve ins Gras. Er schaute immer noch in den Himmel. Sein kleiner Körper wurde bereits kalt. Als ich ihn an mich zog und mir bewusst wurde, dass ich ihn nie mehr würde wärmen können, kamen mir die Tränen. Ich begann zu weinen und hab mich bei ihm entschuldigt: „Es tut mir so leid Stevie, das hier ist alles meine Schuld! Wenn ich dich nicht umgedreht hätte, wäre das alles nicht passiert und du könntest ganz normal in Frieden leben. Dann wäre niemand wütend auf uns geworden und sie hätten dich nicht angegriffen und es wäre einfach ein ganz normaler Sonntag gewesen, an dem du lesen und malen und in der Kirche singen könntest. Ich weiß schon, ich komme in die Hölle, wenn nicht hierfür, dann für das, was ich dir angetan habe. Aber du nicht! Es ist nicht deine Schuld, also kommst du bestimmt in den Himmel. Du hast es verdient, du warst immer gut und artig und nett, du verdienst es, glücklich zu sein und gesund und keine Schmerzen mehr zu haben!“
Ich spürte nun doch die Wunden in Schulter und Rippen. Langsam ging das Adrenalin runter und ich merkte, dass es wohl mehr als nur Streifschüsse waren. 'Immer eine Kugel übrig behalten.' Ich zog Steve mit meiner blutigen Hand noch näher an mich, sodass nun auch sein Hemd von meiner Schusswunde durchtränkt wurde und flüsterte: „Ich wollte nicht, dass es so endet. Ich wollte immer nur, dass du glücklich bist. Weil du so lieb bist und so süß und nett und liebenswert und wundervoll und einfach, einfach...“, ich konnte nicht mehr, „weil ich dich liebe! Ich liebe dich, Stevie! Ich liebe dich! Ich liebe dich!“ Ich schrie es. Ich weinte es. Ich wisperte es. Wieder und wieder und wieder. Für all die Male, wo ich es nur gedacht, oder heimlich gesagt, oder in sein schlimmes Ohr geflüstert habe, statt es ihm einfach so zu sagen. Er wusste es bestimmt trotzdem. Er hatte es doch selbst gesagt. 'Ich dachte, wir machen Liebe, weil du mich liebst!'
Ich heulte und wimmerte. 'Immer eine Kugel übrig behalten.' Dann flüsterte ich: „Ich weiß, ich komme in die Hölle. Ich weiß es einfach. Es ist nur gerecht. Ich hoffe bloß, ich kann dir an der Himmelspforte Lebewohl sagen. Und mich entschuldigen. Es tut mir so leid, Stevie. Ich hoffe einfach, du hast jetzt keine Schmerzen mehr und musst nie mehr Angst haben oder traurig sein. Ich hoffe, du bist jetzt gesund und frei. Gott gibt dir sicher ein paar schöne Flügel, denn du warst immer schon ein Engel. Ich hab dich so lieb...“ Meine Stimme versagte, von Tränen erstickt. 'Immer eine Kugel übrig behalten.' „Ich sag dir gleich tschüss, okay? Bitte warte noch kurz auf mich.“, schniefte ich. Damals in der Ausbildung hatte uns mal der Captain gesagt: „Wenn ihr von eurer Einheit getrennt werdet und ihr habt wichtige Informationen, die der Feind nicht bekommen darf und ihr seid umstellt, kämpft bis zur vorletzten Patrone. Zur Vorletzten! Immer eine Kugel übrig behalten. Dann könnt ihr der Folter entkommen und eure Kameraden retten, verstanden?“ Ich hatte verstanden. Also gab ich Steve noch einen Kuss, schloss die Augen, nahm meinen Colt, schob ihn mir in dem Mund und...
----- P E N G -----