Kapitel 2: Bester Freund
Heute ist nicht so viel zu tun. Mutter und Vater haben ihre Arbeit für heute schon erledigt. Sie müssen auf die Lieferung neuer Stoffe warten, die erst heute Abend eintrifft.
Und so habe auch ich einen freien Nachmittag. Eigentlich wollte ich wieder allein in meinem Zimmer lesen. Doch da heute ein so schöner Tag sein soll, meinte Vater, dass ich etwas draußen tun könnte. Also schnappe ich mir eines meiner Bücher und gehe nach draußen.
Es gibt eine schöne Weide mit unseren Nutztieren auf einem kleinen Hügel. Von dort kann man das ganze Dorf sehen. Ich setze mich unter den einzigen Baum auf der Weide. Vor mir erstreckt sich eine malerisch schöne Landschaft.
Unser Dorf, das aus siebenunddreißig Häuser besteht, bietet für alle Bewohner ein gutes Zuhause. Durch unser Dorf geht eine der wichtigsten Handelsrouten. Daher haben wir immer genügend Käufer für unsere Waren und genügend Nachschub für unsere Vorräte. Wir exportieren aber eher und kaufen unsere Nahrung von den umliegenden Bauern, da die meisten Händler eher exotische Waren mit sich führen. Sie sind mit diesen auf dem Weg zur Hauptstadt und erhoffen sich hohe Preise für diese teuren und edlen Stücke zu erwirtschaften.
Durch den vielen und guten Export geht es uns nicht schlecht. Unsere Häuser sind alle aus Steinziegeln und ordentlich gedeckten Dächern. Gepflasterte breite Straßen sorgen für eine gute Infrastruktur. Geschützt werden wird von einer kleinen und aber drei Meter dicken steinernen Mauer.
Außerdem haben wir hier eine Abenteurergilde. Diese ist ein Knotenpunkt in ihrer Organisation. Darum herrscht hier häufig ein reger Betrieb. Es ist also eine sehr gute Lebensgrundlage und die Ideen der Mächtigen lassen uns in eine Zukunft schauen, in der wir bald zu einer Stadt austeigen könnten.
Unser Dorf ist zwischen einer Gebirgskette, einem See und einigen Wäldern eingebettet. Der Meyerbach sorgt für frisches Wasser. Ich lasse aber nicht lange meinen Blick über durchaus schöne Landschaft schweifen, sondern beginne zu lesen.
Diese Welt ist so wie sie ist und das kann ich nicht ändern. Aber diese Traumwelten sind anders. Sie sind schön und einfach. Alles folgt einem Willen und höherem Zweck, nämlich dem Ziel des Buches. Der Protagonist bekommt immer die Hilfe, die er braucht, um seine Probleme zu lösen.
Die Hintergrundgeräusche verschwinden in weiter Ferne. Weder die Schafe, noch die Winde werden mich stören. Ich bin beim letzten Mal bei einer ganz spannenden Stelle stehen geblieben. Der Held, ein Prinz, ist in der Festung des bösen Dämons eingetroffen. Sie stehen sich gegen über und ein hitziges Wortgefecht ist der erste Schritt zum Endkampf.
Gerade als der Held endlich sein Schwert zieht und dieses auf den Dämon richtet, legt sich eine Hand auf meine Schulter und schüttelt mich sanft. Ich schaue auf und sehe, wie ein Junge vor mir steht. Ich glaube, sein Name ist Lesren, kann mich aber nicht genau erinnern. Mit Namen habe ich ein Problem, aber Gesichter kann ich mir gut merken und sein Gesicht habe ich schon oft gesehen.
Er ist etwas älter als ich, ist aber weder besonders groß, noch klein. Hat schwarzes verwuscheltes Haar und tiefbraune Augen. Aus diesen strahlt eine Lebensfreude, die ich nie so ganz nachvollziehen kann. Seine einfache Kleidung, bestehen aus einer Hose, Hemd und Schuhen, ist ziemlich verdreckt. Schweißperlen laufen über seine Stirn. Mit einem Lächeln schaut er auf mich herab. Dann setzt er sich neben mir ins Gras und seufzt erleichtert auf, als er sich endlich mal setzen kann.
"Anstrengender Tag heute?", frage ich.
Er nickt: "Ja, Vater hat mich jedes einzelne Unkraut zupfen lassen, das auf dieser gesamten Welt existiert."
"Dann hast du doch morgen nichts mehr zu tun."
"Bis morgen, ist doch schon wieder alles nachgewachsen", jammert er und legt sich in das weiche Gras.
Schweigend sitzen wir eine Weile nebeneinander. Ich genieße den Schatten des Baumes und eine kleine Brise. Langsam wandern meine Augen zu den Buchstaben, die immer noch ein spannendes Geheimnis verstecken. Doch die Unterhaltung ist doch noch nicht vorbei.
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"Ich habe gestern einen Brief bekommen"; platzt es dann plötzlich aus ihm heraus.
"Du meinst für das Praktische Jahr?", frage ich, während ich mich etwas kleiner mache. Das Thema hat mir gerade noch gefehlt. Ich will mich nie wieder damit befassen. Doch Lesren bemerkt meinen Stimmungswechsel nicht und erzählt von dem aufregenden Moment, als die Hand aus dem Portal kam und sein Fleukitz sich auf sie stürzte.
Das ist eine kleine vierbeinige Raubkatze mit zwei Schwänzen, Schlappohren und einem feurigen Atem. Ich lächle ein wenig. Ein Fleukitz ist eigentlich ein liebes Haustier, doch sollte man es nicht erschrecken. So niedlich es auch ist, so gefährlich ist es auch. Seine Eltern waren sehr überrascht und haben sich riesig über ein solch besonderes Schreiben gefreut.
„Für welchen besonderen Weg haben sie dich den Nominiert?“, frage ich.
Er dreht sich zu mir und das breiteste Grinsen, dass ich jemals gesehen habe, ziert sein Gesicht. "Askari, ich wurde zum Waldläufer nominiert!", sagt er.
Ich schrecke hoch. "Du auch?", frage ich verwirrt. Verdammt jetzt habe ich es ausgeplaudert. Aber ich hatte alles erwartet. Sogar, dass er im Königspalast abreiten darf. Nicht habe ich aber erwartet, dass er ebenfalls die gleiche Nachricht bekam wie ich. Was mache ich nun?
"Wir können gemeinsam ein Team bilden!", freut sich Lesren und lässt sich mit ausgestreckten Armen und einem Freudenschrei nach hinten ins Gras plumpsen. Eine Gruppe nahstehender Milks, vierbeinige behufte Wiederkäuer mit gestreiften Fell und großen schweren Hörnern, schreckt bei seinem Aufschrei auf und trampelt davon. Scheue Tiere, aber durchaus lecker.
Konzentriere dich. Bleib beim Thema und den wichtigsten Fragen. Wir können ein Team bilden? Will ich überhaupt ein Waldläufer werden?
„Ja, das wird super.“, versuche ich mich mitzufreuen. Meine Gedanken aber rasen und versuchen einen Ausweg aus diesem Gespräch zu finden.
„Du willst es eigentlich gar nicht, stimmt?", fragt Lesren.
Ich zucke zusammen. Wie kann er so schnell meine Gedanken erraten? Er hat sich wieder aufgesetzt und beobachtet mich.
"Also ich äh...", stammele ich.
"Das ist wieder mal typisch du. Da ist die Gelegenheit deines Lebens und du wirfst sie weg. Und wofür? Für die Bücher, in den genau von den Helden erzählt wird."
Ich starre zu Boden. War das wirklich so offensichtlich? "Wir treffen uns schon seit so langer Zeit und sind Freunde. Bist wirklich überrascht, dass ich das so schnell herausgefunden habe?", sagt er.
Ich schüttele mit dem Kopf. Meine Gedanken bleiben aber bei einem anderen Fakt hängen: Wir sind Freunde? Seit wann?
"Ich will dir keine Standpauke halten. Es ist dein Leben, tu damit, was du für richtig hältst. Doch ich stehe hier und biete dir meine Hand an.“
Er steht auf und reicht mir seine Hand. Ich starre sie an. In mir ist ein Instinkt, der sie unbedingt annehmen will, doch…
„Denke darüber nach. In zwei Tagen werden wir abgeholt. Ich werde bis zum letzten Moment hier auf dich warten."
"Lesren, wo bist du!", ruft eine kräftige Stimme über die Weiden. "Das ist mein Stichwort. Vater ruft. Wie gesagt ich werde warten, solang ich kann. Aber ich werde diese Gelegenheit ergreifen"
Er rennt los und winkt mit seiner Hand zum Abschied. Ich schaue ihm hinterher. Ich bleibe noch eine Weile sitzen. Das war fast zu viel. Schnell widme ich mich wieder den Worten meines Buches, aber Lesrens Worte schwirren noch immer durch meinen Geist.
Ich kann mich nicht konzentrieren, also schlage ich das Buch wieder zu. Stattdessen schaue ich den Milks zu. Diese Fressen Seelenruhig ihr Gras und unsere Essenreste aus den Futtereimern. Ein leises Schmatzen begleitet die Tiere ständig.
Weiter in der Ferne eilen kleine Gestallten durch die Gegend und rennen ihren Aufgaben hinterher. Nicht jeder hat so viel freie Zeit wie ich. Die Sonne beginnt sich wieder zu neigen. Bald wird auch dieser Tag zu Ende gehen. Ich sollte so langsam mal wieder zurück nach Hause gehen.