Außer Atem stand Komander Damian Lashenko in Angriffsposition, sein Gegner völlig auf ihn fixiert und auf nichts anderes.
“Ich muss sagen, Sie haben gute Reflexe, Komander. Arbeiten Sie noch etwas an der Deckung.” Daraufhin täuschte sein Gegner, Yotekom Mohamed Li einen Schlag an, auf den Lashenko prompt reagierte. Innerhalb von einer Sekunde geschah ein Schlagabtausch, der über mehrere Treffer und Ausweichmanöver auf beiden Seiten damit endete, dass Li seinem Vorgesetzten mit dem Handballen gegen das Kinn schlug und jener nach hinten taumelte.
“Ich verstehe, warum Sie der Sicherheitsoffizier geworden sind”, sagte Lashenko, nachdem er die Wahrnehmung seiner Umgebung wiedererlangte. “So kämpft niemand, den ich kenne!”
Der Komander rieb sich das Kinn. Zwar würde es nicht mehr lange schmerzen, aber die Wucht von Lis Schlag war noch ordentlich zu spüren.
Dann unterbrach ein Ton aus Lashenkos HAVI, das vor seinen Augen daraufhin eine Benachrichtigung anzeigte, ihren Übungskampf.
“Ah. Das ist der Kaptan”, sagte Damian Lashenko.
“Ja, scheint so, als hätten wir das System erreicht. Dann sollten wir uns fertig machen und zur Schiffsbrücke gehen.”
“Wir haben uns doch gerade schon fertig gemacht", erwiderte der Komander, während er sich die Trainingshandschuhe auszog, und konnte sich ein unverschämtes Grinsen nicht verkneifen.
Mohamed Li sah ihn an und musste sehr dagegen ankämpfen, nicht ebenfalls zu schmunzeln. Diese Genugtuung durfte er seinem Komander für so etwas nicht geben.
“Sehr witzig.”
“Kommen Sie, Sie haben fast gelacht.”
“Ja ja”, erwiderte er, während er aus der Schiebetür des Trainingsraums stieg.
Lashenko folgte ihm in die Gänge des Raumschiffs.
Einige Zeit gingen Sie auf dem Weg zum Aufzug nebeneinander her, grüßten einige andere Astronauten, die ihnen entgegenkamen, davon abgesehen schwiegen sie aber.
“Was glauben Sie, Yotekom?” brach Lashenko das Schweigen nach einigen Metern. “Denken Sie, wir werden diesmal hier fündig?”
Li überlegte. “Hm, schwer zu sagen. Wissen wir schon Neues zum alten Kolonieschiff?”
“Wir haben den Kurs des alten Kolonieschiffs überprüft und laut den historischen Aufzeichnungen muss es das Genet-System angesteuert haben. Wir wissen jedoch nicht, welchen Planeten. Das ganze Unterfangen war ja bekanntlich ein ziemliches Himmelfahrtskommando zur damaligen Zeit. Nicht nur im übertragenden Sinne. Die Menschen wussten zwar einiges über die Sternensysteme, aber fast nichts über die Planeten selber, die sie ansteuerten.”
Nach mehreren Abzweigungen durch die Schiffskorridore erreichten sie den Aufzug, der sich rasch in Bewegung setze, nachdem der Komander das Ziel eingab.
Eine weitere Zeit schwiegen sie, bis Komander Lashenko wieder die Stille durchbrechen musste. “Ich hoffe ehrlich gesagt, dass unsere Funde dieses Mal positiv ausfallen werden. Nicht nur weil ich diese Mission erfolgreich sehen will, sondern auch weil es immer wieder deprimierend ist, gescheiterte Kolonien zu sehen.”
“Ich verstehe das. Raumfahrt war ein schwieriges Unterfangen in der Vergangenheit. Die Pioniere haben hart daran gearbeitet, einen Weg zu den Sternen zu finden. Ihre Mühen dann allerdings ohne Früchte zu sehen, kann jeden fertig machen. Aber dennoch, ein Erstkontakt mit den Menschen, die so lange abgeschnitten gelebt haben, birgt immer auch Gefahren.”
“Wenn ich ehrlich bin, nach all den Ruinen und fehlgeschlagenen Kolonisierungsversuchen, die wir auf unserem Weg bis jetzt gesehen haben, bin ich bereit, dieses Risiko einzugehen.”
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Wenige Zeit später trat Komander Lashenko erfrischt und in einer neuen Aurora-Uniform auf die Brücke, die voller Aktivität war. Viele Offiziere und Wissenschaftler tauschten sich aus und analysierten Daten an den Arbeitsstationen. Lashenko ertappte sich, dass er wieder einmal vor der Aufzugtür stehen blieb, innehielt und die Energie des Gehirns des Schiffs in sich aufnahm. Ein Yotenan, dessen Weg er dadurch blockierte, brachte ihn wieder ins Jetzt. Der junge Offizier, der auf eine Datentafel vertieft war und seinen Komander dadurch nicht bemerkte, entschuldigte sich höflich, nachdem er kurz vor ihm stehen blieb. Lashenko gab die Entschuldigung zurück, ließ ihn durch und begab sich dann in die Richtung von Kaptan Jahan Gorbani in der Mitte der Brücke, welche sich in ihrem Sessel zu ihm drehte.
“Melde mich zum Dienst, Kaptan”, sagte Damian Lashenko.
“Setzen Sie sich, Komander. Wir bekommen gerade die ersten Daten.”
Ein paar Augenblicke später erreichte Mohamed Li ebenfalls den Aufzug und stieß zu den beiden.
“Nun, Kameraden, dann wollen wir doch mal sehen, was wir bis jetzt haben. Yotekom Arthur, welche Zeichen konnten Sie ausmachen?”
“Bisher haben wir leider noch keine signifikanten Signale entdeckt, die auf Besiedelung, beziehungsweise Maschinen deuten”, sagte der Wissenschaftsoffizier Arthur. “Wir denken, dass auf dem zweiten Planeten dieses Systems eine Kolonie am wahrscheinlichsten ist. Erdähnliche Atmosphäre, Anzeichen von Vegetation und eine leicht höhere Erdgravitation. Wir glauben, dass wenn es hier Siedler gibt oder gab, diese Genet 2 wahrscheinlich als Standort ausgewählt haben, daher haben wir dort unsere Sonden hingeschickt. Nur zeigen die Telemetriedaten bis jetzt noch keine positiven Zeichen. Die anderen Planeten stellten sich für den Bau einer potenziellen Kolonie als sehr widrig heraus. Genet 1 ist sehr nah am Stern und wird in den nächsten Jahrtausenden vermutlich von ihm verschluckt. Genet 3 ist klein und besitzt keine Atmosphäre und Genet 4 ist ein Venerier, dessen Atmosphäre hingegen sehr dicht ist.”
“Eine Venus-ähnliche Welt sagen Sie? Interessant”, warf der Kaptan ein.
“Etwas kälter, aber ja. Alle drei sind unwahrscheinlich für eine Besiedlung und der Rest liegt außerhalb der habitablen Zone. Es gibt in der inneren Region noch einige kleinere Planetoiden ohne Atmosphäre, sowie weitreichende Trümmer- und Asteroidenfelder.
“Dann sollten wir beim Manövrieren aufpassen”, meinte Li.
“Allerdings. Ich schlage vor, das Schiff nicht allzu nah an den Planeten heranfliegen zu lassen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass diese Trümmer für die Siedler eine große Herausforderung dargestellt haben und dass dieser Umstand ihnen die Besiedelung unmöglich gemacht haben könnte”, fuhr Arthur fort.
“Das ist eine Möglichkeit ”, sagte der Kaptan mit einer Tonlage, in der bereits eine Enttäuschung mitschwang. Lashenko merkte, dass sie ihre Hoffnungen nicht allzu groß hielt, nachdem sie in den zuvor besuchten Systemen nicht fündig wurden. Er empfand eine Art Mitleid mit ihr. Auch wenn sie mal hier und da eine antike Sonde oder ein altes Landemodul gesehen hatten, was ihr Archäologenherz sicherlich höher schlagen ließ, blieb ihre Suche nach den verlorenen Kolonien davon abgesehen in letzter Zeit recht erfolglos.
“Kaptan?” Arthurs Stimme durchbrach Lashenkos Gedanken. “Ich erhalte gerade Meldung von den Sonden. Wir vermuten einen positiven Fund von Strukturen auf dem zweiten Planeten.”
“Künstlich?” vergewisserte sie sich.
“Es scheint so, ja. Die Sonden konnten verschiedene verarbeitete Metalle und Kunststoffe ausmachen, die mit dem technologischen Level der damaligen Zeit übereinstimmen. Allerdings befinden sich dort auch Materialien, die aus lokalen Rohstoffen hergestellt wurden.”
“Lage?” Vorsichtige Vorfreude lag nun in Gorbanis Stimme.
Arthur projizierte ein Bild des Planeten auf den vorderen Projektorbereich. “Etwa in den gemäßigten Breiten. Alles unterhalb der Subtropen ist nahezu inhabitabel aufgrund der starken Strahlung des Sterns Genet. Der Planet hat außerdem ein vergleichsweise schwaches Magnetfeld, weshalb die Pole sehr stark von den Sonnenwinden betroffen und die Regionen dadurch für menschliches Leben sehr ungeeignet sind. Ich denke, da ist die Lage in den gemäßigten Breiten nur sinnvoll. Nur… nun, wir konnten keine weitere Aktivität dort feststellen.”
“Ich verstehe”, sagte Gorbani mit sich bereits anbahnender Enttäuschung.
Ob sie wohl all die Lichtjahre bis zu dieser entfernten Welt umsonst zurückgelegt hatten?
“Yotekom Nikos, senden wir ihnen trotzdem unsere Grüße.”
“Ja, Kaptan!” antwortete Nikos, die Kommunikationsoffizierin, von ihrer Arbeitsstation auf der rechten Seite der Brücke und begann mit Eifer eine Nachricht auf Terrango, der Hauptverkehrssprache der Terranischen Republik, sowie in anderen gängigen Sprachen aus der Zeit vor dem großen Exodus zusammenzustellen.
Die lückenhaften historischen Aufzeichnungen aus dieser Geschichtsperiode verrieten den Wissenschaftlerinnen zwar die grobe Anzahl und Richtung der damals aufgebrochenen Kolonieschiffe, allerdings blieb ihnen auch vieles verborgen. So zum Beispiel welche der damaligen Nationen oder anderen Organisationen aus alter Zeit die Schiffe in Auftrag gegeben und losgeschickt haben. So konnten sie nur grob abschätzen, welchen kulturellen Hintergrund die potenziellen Siedler hatten.
“In der Zwischenzeit bereiten wir alles auf eine Landung vor. Wir können uns erst sicher sein, dass es menschliche Bauwerke sind, wenn wir sie von Nahem gesehen haben.”
“Kaptan, wenn ich dürfte? Wenn wir runtergehen, würde ich für Sie Schutzanzüge empfehlen.”
“Wen meinen Sie denn mit uns, Arthur? Haben Sie nicht einmal gesagt, dass Sie auch einen Stoffwechsel haben, der Sauerstoff benötigt?” fragte Lashenko.
“Das schon, Komander. Allerdings kann ich auch einige Zeit auf andere Energiequellen zurückgreifen und in anderen Atmosphären auskommen. Dafür wäre ich in der Theorie die geeignetere Wahl als Sie.”
Gorbani spürte jetzt schon die Spannung, die sich zwischen den beiden Offizieren mal wieder aufbaute, als Lashenko ihn nach diesem Vergleich mit einem fragenden Ausdruck ansah.
“Aber darum geht es gar nicht,” fuhr er fort. “Wie schon gesagt, ist das Magnetfeld sehr schwach. Die Strahlung könnte möglicherweise zu einem Problem werden. Sie ist zwar nicht lethal, aber eine längere Aussetzung kann negative Auswirkungen haben. Mir würde es zum Glück weniger ausmachen.”
“Ist das neuronische System von SAI nicht noch viel anfälliger gegen Strahlung?” fragte der Komander.
“Das ist richtig. Aber mein Erschaffer hat mir damals Blei in den Schädel gegeben.”
“Was?” Lashenko kam diese Bemerkung recht unerwartet. Er bemühte sich, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
“Ich kann euch Blei im Kopf ebenfalls empfehlen”, fuhr der Androide fort.
Ein sehr unangenehmes Schweigen machte sich auf der ganzen Brücke breit.
“Yotekom, das sollten Sie vielleicht nicht so formulieren”, ergriff der Kaptan daraufhin das Wort.
“Oh, ich glaube, ich verstehe. Dann erkläre ich es anders. Nun, meine Teile sind vor Strahlung durch eine dünne Schicht aus einer Bleilegierung geschützt. Im Schädel…” Er zeigte auf seine Schläfe, “...in meinem lymbischen System im Torso und auch an anderen Stellen, wie zum Beispiel…“
“Ah, verstehe, das ist ein guter Punkt.” Als er auf eine Körperregion weiter unten an sich zeigte, versuchte Gorbani den Androiden zu unterbrechen, um die unangenehme Situation zu deeskalieren. “Wir werden Exo-Anzüge mit nach unten nehmen. Das hatte ich sowieso geplant. Nach unserer letzten Visite auf einer Kolonie will ich dieses mal auf Nummer sicher gehen. Sie, Yotekom, bleiben allerdings auf dem Schiff. Ich brauche Sie hier oben, um die wissenschaftliche Untersuchung dieses Planeten zu leiten. Ich möchte mehr über ihn und sein Ökosystem in Erfahrung bringen.
“Ja, Kaptan. Ich verstehe.”
“Lashenko, Nikos, Li, bitte bereiten Sie sich vor und begeben Sie sich zu Hangar 1”, befahl Gorbani.
Lashenko stand aus seinem Sitz auf und sah den Kaptan sehr dankbar und erleichtert an, aus diesem Gespräch wegzukommen.
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Wenig später startete ein Shuttle der Klasse ‘Falke’ aus dem Hangar der Kupe und flog in einem abnehmenden Orbit auf die Planetenoberfläche zu. Unter Komander Damian Lashenko, Yotekom Mohamed Li und Yotekom Reyhan Nikos offenbarte sich eine atemberaubende, aber schroffe Landschaft mit interessant geformten roten Felsen, Büschen mit schwarz-weiß gestreifen Verästungen, Sukkulenten und farnartigen Gewächsen. Der Boden war grob und nicht durchgängig bewachsen. Wie es bei einem Stern wie Genet der Fall war, hat sein Lichtspektrum dafür gesorgt, dass sich Pflanzen mit blaugrüner Färbung gebildet haben, die das meiste der intensiven Strahlung von sich weisen konnten. Bei ihrem Aufklärungsflug konnten sie eine Gruppe Gebäude ausmachen. Sie waren von oben schlecht zu erkennen, da sie genau unter einem großen Felsüberhang gebaut wurden und nur einige davon abseits seines Schutzes gebaut wurden. Doch bei näherem Hinsehen konnte man sehen, dass es sich dabei um von Menschen gebauten Häuser handelte. Das Shuttle näherte sich weiter der Oberfläche, bis es schließlich bei der Siedlung auf einer steinigen Ebene aufsetzte. Die Astronauten machten ein letztes mal ihre Geräte startklar und begaben sich in ihren Exo-Anzügen durch eine Landschaft karger Buschgewächse und Geröll in Richtung einer Häuserreihe, die von zwei kleineren Felsen zu einer Schlucht eingefasst wurde. Im Hintergrund thronte der Felsüberhang, der von unten noch sehr viel größer war, als wenn man nur darüber flog.
“Sieht zwar echt atemberaubend aus…”, meinte Nikos über Funk, nachdem sie sich die Umgebung ansah, “...aber ein Paradies ist das trotzdem nicht. Hier ist nur Schutt.”
Mohamed Li sah zu ihr herüber. “Sie machen Witze, Nikos. Sie kennen doch sicher das alte Sprichwort. ‚Jede Welt, auf der man frei atmen kann, ist ein Paradies.‘“
Nikos lachte kurz. “Das ist aber ein sehr altertümliches Sprichwort.”
“Und immer noch wahr, auch wenn wir gerade Anzüge tragen”, entgegnete Li. “Ich muss aber sagen, ich hatte schon echt lange keinen mehr an. Es fühlt sich gut an, wieder in der Sicherheit des Anzugs zu sein. Anders würde ich mich in dieser freien Umgebung auch gar nicht wohl fühlen.”
“Das sagen Sie aber nur, weil Sie ein Nomade sind”, stieg Lashenko in die Unterhaltung ein.
“Tja, für Menschen, die ihr ganzes Leben im All oder auf hostilen Planeten gelebt haben, bedeuten weite offene Flächen nun mal Gefahr. Jeder Raumnomade hat ein gesundes Maß an Agoraphobie und Respekt gegenüber den Weiten des Weltalls und seinem Vakuum.”
“Ich sag es mal so, für Nomaden aus der Antike Terras wäre das genau umgekehrt gewesen”, erwiderte Komander Lashenko. “Damals sind sie über weite Ebenen gezogen und waren nie lange an einem Ort.”
“Ganz ohne umschließende Habitate?”
“Richtig. Das einzige, was sie hatten, waren Zelte. Manchmal schliefen sie auch ganz im Freien.”
Der Komander konnte es nicht sehen, da er vor ihm ging, jedoch sah Li ihn ungläubig an, als erzähle er ihm gerade von einer Fantasy-Simulatorwelt.
“Ich bin auf Terra in der Region der Mongolei unter nomadischen Pferdezähmern aufgewachsen, von denen viele immer noch so leben wie in alten Zeiten”, fügte der Komander hinzu.
“Da sieht man mal wie sich die Zeiten gewandelt haben. So zu leben kann ich mir echt nicht vorstellen”, sagte Li lachend, während sie an den ersten Ausläufern der Siedlung vorbeigingen. “Die Weite Ebene wäre der Horror für mich.”
“Als Kind war die Mongolei das auch für mich, allerdings aus anderen Gründen. Mein Vater meinte unbedingt, dass wir dort hinziehen mussten. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich lieber auf Barnaria geblieben.”
“Ach, dann sind sie ja in beider Hinsicht ein Nomade.”
“Allerdings. Aber mal wieder im Freien zu schlafen wäre echt schön.”
Li schüttelte nur lächelnd den Kopf. “Und das Umherziehen? Vermissen Sie das auch?”
Lashenko lachte auf diese Frage. “Keineswegs!”
Die drei waren nun inmitten der Schlucht aus Häusern, von denen viele halb in die Felswände gehauen wurden. Die meisten von ihnen hatten eine etwas höher gelegene Veranda mit Ballustraden, sowie Treppen aus Stein und rotem Zement, die die Häuser, sowie unterschiedliche Stockwerke miteinander verbanden. Es war nicht auszuschließen, dass manche der Treppen sogar bis auf den großen Felsen hinauf führten. Bei einigen sah man außerdem angebaute Dachterrassen und runde Sonnenschutzdächer, die von gebogenen Stahlträgern gehalten wurden, welche sicherlich von mehreren alten Raumschiffen stammten. Scans zeigten, dass es noch mindestens zwei weitere solcher Schluchten gab, dessen Straßen aus verdichtetem Geröll zu einem Zentrum in der Mitte des Überhangs führten.
Niemand der Astronauten sagte für lange Zeit etwas und die dadurch entstehende Stille war unheimlich.
“Wo wir gerade vom Thema Verlassen eines Ortes gesprochen haben”, meinte Nikos. “Hier scheint wohl auch niemand mehr zu sein. Ob die ebenfalls weitergezogen sind?”
Eine weitere Stille machte sich unter ihnen breit.
“Also wenn auf diesem Planeten noch Menschen sind, sind sie an diesem Ort schon lange nicht mehr. Und das sind permanente Bauten, also haben sie sie vermutlich nicht unter normalen Umständen verlassen”, sagte Lashenko, der seinen Scanner auf die Gebäude hielt.
Li begutachtete die Fassaden, die langsam von der Flora des Planeten eingenommen wurden. Er hielt es für faszinierend, wie sich die pflanzenartigen Lebewesen in allen Ritzen des Gebäudes einnisten, obwohl dies kaum als geeigneter Nährboden für sie dienen konnte.
“Wie lange genau?” fragte Li.
Lashenko senkte seinen Scanner wieder und sah sich die verfallenen Bauwerke erneut an. “Schwer zu sagen. Mehrere Jahre denke ich. Die Frage ist aber nicht nur seit wann, sondern auch warum…“
Das Gespräch wurde schlagartig beendet, als unmittelbar neben Li eine mittelgroße Explosion losging. Wenige Millisekunden dauerte es, bis er verstand, was los war. Seine Kampfinstinkte zögerten nicht und setzten direkt ein. Schnell suchte er hinter einer der Ballustraden der Gebäude Schutz und Lashenko und Nikos taten es ihm gleich. Erneut kam eine Explosion. Und erneut. Dies waren ohne Zweifel Schüsse einer Strahlenwaffe. Die Astronauten zückten ihre eigenen Pistolen, während Sand und Geröll in einer weiteren Explosion um sie wirbelten.
“Können Sie etwas erkennen, Li?”
Noch ein Schuss. Diesmal schlug er in der Stuckfassade des Gebäudes ein.
Li schaltete den Scanner seines HAVI ein. “Ja! Der Feind befindet sich etwa auf zehn Uhr und 30 Grad über uns. Ich vermute, dass er sich auf einem der Felsen gegenüber befindet. Wieviele es sind, kann ich noch nicht sagen.”
Noch ein Schuss, mitten in eine der Ballustraden, gefolgt von einem Rufen, das ohne Zweifel menschliche Sprache war.
“Nikos? Haben Sie das?” fragte Lashenko.
Reyhan Nikos, die Linguistin, war von der Situation wie gebannt.
“Nikos?” fragte Lashenko erneut, wodurch sie wieder in die Realität gerissen wurde.
“Ich… Nein. Einen Moment bitte, Komander. Das reicht noch nicht, um seine Sprache zuzuordnen. Vielleicht können Sie versuchen, …”
Ein weiterer Schuss schlug vor ihnen ein.
“Sie wissen schon…” rief sie.
Lashenko verstand und schaltete den Lautsprecher seines Helms ein. “Stellen Sie Ihr Feuer ein! Wir sind Ihnen nicht feindlich gesinnt.”
Als Antwort bekam er nur noch einen Schuss.
Li fragte Lashenko mit einem Blick danach, ob er das Feuer erwidern dürfe. Jener nickte und Li zielte auf die ungefähre Stelle, bei der er den Feind vermutete. Dann schoss er und sprengte damit in einer menschengroßen Explosion einen kleinen Teil des Felsens weg.
“Die Waffe auf Explosion stellen zur Einschüchterung. Gut mitgedacht, Yotekom Li.”
“Danke sehr. Hoffen wir nur, dass er sich auch wirklich einschüchtern lässt.”
Das Ausbleiben erneuter Schüsse bestätigte ihn.
“Wir sind Astronauten der Aurora-Flotte und sind auf einer friedlichen Kontaktmission hier!” rief Lashenko einige Momente, nachdem sich der Staub ein wenig gelegt hatte, laut und auf klare Aussprache bedacht. “Aber wenn Sie uns angreifen, werden wir uns wehren und ebenfalls Waffen benutzen!”
Darauf hörten sie aus der Richtung, aus der ehemals die Schüsse kamen, ein weiteres Rufen.
“Was sagt er, Yotekom?”
Nikos war für einige Sekunden still, als sie auf ihrem HAVI Wörter hin und her schob.
“Hm, es könnte Mirikía sein. Obwohl es sich auch ein wenig wie altes Amharisch anhört. Ein Hybrid vielleicht. Aber ich brauche etwas mehr, um es mit Sicherheit zu sagen. Vielleicht sollten Sie Ihre Warnung erneut sagen und diesmal Mirikía verwenden.”
“Habe ich denn eine so alte Sprache installiert?” fragte Lashenko.
“Nun, ich habe vor einigen Wochen unsere HAVIs aktualisiert und dort alle möglichen eingefügt, die mir nützlich erschienen.”
Lashenko sah im HAVI nach und Nikos hatte recht. Er zögerte nicht und wiederholte seine Warnung an den Angreifenden, diesmal mithilfe des Rosetta-Moduls in Mirikía, der alten Sprache der Marsianer und einiger früher interstellaren Kolonisten.
Wieder Stille, doch dann kam eine Antwort, die Nikos sofort zu übersetzen versuchte.
“Ich denke, mit Mirikía kommen wir bestimmt weiter. Er scheint uns zumindest zum Teil verstanden zu haben.”
“Was sagt er denn?” fragte Li, der weiterhin aufmerksam den Felsen beobachtete.
“Es klingt wie ‘Ich sage euch, ich komme nicht mit euch, solange mein…’
da bin ich mir nicht ganz sicher. ‘meine… Männer’? Ah! ‘Meine Leute’… ‘solange meine Leute nicht sicher sind.’”
“Seine Leute? Also die sind sicher nicht bei uns”, meinte Li spöttisch.
“Nun, es ist klar, dass er uns verwechselt”, sagte Lashenko und hielt inne. Dann setzte er zu einer erneuten Antwort in der alten Sprache an. “Nun gut. Wir sind bereit, dir und deinen Leuten zu helfen. Ihre Leute verdienen es, in Sicherheit zu sein. Wir werden Ihnen helfen, diese Sicherheit zu gewährleisten. Aber nur, wenn Sie das Feuer einstellen und wir die ganze Sache friedlich klären. Wir wollen Ihnen nichts Böses!”
Weitere Herzschläge verstrichen und die Person auf dem Felsen erwiderte etwas.
“Er hält ihr Angebot für einen Bluff”, sagte Nikos. “So scheint es zumindest.”
“Dann müssen wir ihm zeigen, dass wir es ernst meinen”, sagte Lashenko und stieg langsam über die Ballustrade.
“Komander, was tun Sie denn da?” rief Li in einem lauten Flüsterton.
“Bleiben Sie ruhig, ich will sein Vertrauen gewinnen.” Lashenko war nun auf der anderen Seite und bewegte sich vorsichtig in Richtung des Felsens, die Hände über dem Kopf positioniert und die Pistole so am Lauf umgriffen, dass er sie nicht feuern konnte. Dann legte er sie behutsam auf den Boden. “Ich bin unbewaffnet!” rief er auf Mirikía. “Wir wollen Ihnen nichts tun. Wir sind nicht hergekommen um zu kämpfen!”
Lashenko sah sich um und entdeckte nun die Person, die sich auf dem Felsen befand, oder besser gesagt die Laufmündung seines Strahlengewehrs. Sie zielte geradewegs auf Lashenkos Kopf. So verharrten die beiden für unerträglich lange Momente. Der Staub hat sich nun genug aufgeklärt, dass sie freies Sichtfeld hatten und Li zielte unentwegt auf die Person auf dem Felsen. Das war eine riskante Aktion vom Komander.
“Was mit andere?” rief die Person in ihrer eigenen Sprache. Lashenko überlegte wohl einen Moment, was mit dieser noch ungeschliffenen Übersetzung gemeint war, die sein HAVI ihm auf seiner Visierscheibe anzeigte. Dann schaute er hinter sich und gab den anderen beiden das Zeichen, herzukommen und die Waffen abzulegen.
Li war nicht überzeugt von seiner Taktik. Was ist, wenn es noch mehr Menschen hier gäbe, die die Scanner zuvor nicht vernommen haben und sie die Astronauten überfallen würden? Dann hätten sie jetzt leichtes Spiel. Schließlich folgten die beiden Offiziere jedoch den Befehlen des Komanders.
“Wir sind unbewaffnet. Jetzt du”, sagte der Komander zur Person.
Sie sagte nichts und hielt ihre Waffe auf die Gruppe gerichtet.
“Wir…” Lashenko zeigte mit beiden Händen auf sich. “…ohne Waffe. Jetzt du auch ohne Waffe!”
Es vergingen mehrere Momente, in denen sie regungslos dastand. Dann hob sie das Gewehr und sah die Astronauten an.
“Ich lasse mich jetzt herab und rede mit euch. Ihr weiter bleiben” sagte die Person.
Oho! Eure Hohheit! musste Li denken und dabei doch trotz der zuvor noch so angespannten Situation innerlich lachen.
Offenbar ging Lashenkos Taktik doch auf. Aber es war ziemlich riskant.
Wenig später trat von einer der Treppen eine Person, die weit weniger königlich aussah, als die fehlerhafte Übersetzung des Rosetta-Moduls sie zuvor noch erscheinen lassen hatte. Zwischen den Häusern kam ein Mann hervor, mit zerzausten angegrauten Haaren, dunkler Haut, sowie ungepflegten grauen Bartstoppeln hervor. Seine Garderobe hat sicherlich auch schon bessere Tage gesehen. Das beige Oberteil, das vermutlich mal ein Mantel gewesen war, hatte mehrere Löcher und Risse, sodass es schlaff an seinen Schultern herunterhing. Die Hose, offenbar mal Teil eines Raumanzugs, sah nicht viel besser aus. Raumtüchtig war sie definitiv nicht mehr. Und die zerschlissenen dreckigen Stiefel, es waren zwei unterschiedliche, rundeten den ganzen Look ab. Die Person stand mit dem Gewehr unter den Arm geklemmt und zeigte den Astronauten damit, dass es ihnen keine Bedrohung war.
“Ich Antwan…” Die Person zeigte mit der freien Hand auf ihre Brust. “Antwan Eddin. Was tun hier auf Kena‘an?” Das musste wohl der Name des Planeten sein, den die Siedler ihm gaben.
Lashenko bedeutete den anderen Astronauten, herauszukommen, was sie nach einigen zögernden Blicken taten.
“Wir sind Astronauten. Astronauten der Aurora-Flotte”, sagte Komander Lashenko in der Sprache, die das Modul ihm gab.
Doch es dauerte einen Moment, bis Antwan in die notdürftige Rekonstruktion von Lashenko einen Sinn hineininterpretierte.
“Siedler?” entgegnete er dann. “Kolonisten im Raum?”
“Eher Forscher. Wissenschaftler”, sagte der Komander.
“Wissenschaftler hier außen? Was ist euer Sinn um hier zu sein?”
“Nun, wir suchen verlorene Kolonien, zu denen kein Kontakt mehr besteht”, erklärte er langsam. “Und dann möchten wir mit diesen Kolonien neuen Kontakt herstellen. Das sind Li… und Nikos.” Er zeigte zu seinen Kameraden, die freundlich, aber etwas betreten lächelten und die Hand zum Gruß hoben. Li überlegte, ob er ihm der Tradition entsprechend die Hand oder die Faust gab, bedachte den Zustand des Mannes jedoch erneut und entschied sich anders.
“Wo euer Ursprung? Was meint ihr mit ‚Ihr von Nordlichtern‘”, fragte Antwan, während Nikos indes eifrig einige Einstellungen an der Überstetzung vornahm.
Erneut erhob Lashenko das Wort. “Sie meinen Aurora? Aurora ist eine Raumfahrtsflotte.”
Nikos schüttelte den Kopf und sagte auf Terrango: “Einfachere Worte, Komander.”
“Oh, verstehe. Nun, wir sind eine… Gruppe… aus Wissenschaftlern… und Raumfahrern.” Er betonte diese Worte so, als würde er sich bei jedem vergewissern, dass Antwan sie versteht, allerdings blieb seine Miene unverändert fragend. “Und wir nennen uns ‚Aurora’. Was wir erforschen, sind die Raumkolonien hier draußen, damit sie wieder Kontakt zu Terra bekommen.”
“Terra? Ihr seid von Terra?” Seine Miene lockerte sich etwas.
“Ja, allerdings. Nun…” Lashenko schaute zu Li. “Die meisten von uns sind es jedenfalls. Einige kommen von woanders her.”
“Mein weiblicher Großvater hat mir Geschichten von Terra erzählt, dass Terra zerstört wurde durch eine schreckliche Katastrophe und dass die Menschen in den Raum geflohen sind.”
“Nun, die Menschen haben die Erde wieder aufgebaut.”
“Ja. Ja, ja ja! Die Menschen fügten sich zusammen und haben sie wieder aufgebaut. Gemeinsam. In einer Republik”, sagte er enthusiastisch, nun mit einem breiten Grinsen. “Eine Republik?”
“Das ist korrekt”, erwiderte Lashenko und verschränkte lächelnd die Arme dabei. “Scheint so, als wäre man hier draußen doch nicht ganz von der Welt abgeschnitten, wie wir geglaubt haben.”
Antwans Gesicht verhärtete sich auf diese Bemerkung. Man konnte Überraschung und Angst in ihr erkennen. Von Yotekom Nikos kam nur heftiges Kopfschütteln. Offenbar war Komander Lashenko vorschneller mit der Konversation als Nikos mit der Übersetzung war. Sie flüsterte dem Komander zu, wie das was er sagte aufgefasst werden konnte. Der springende Punkt war wohl das Wort ‚abgeschnitten‘.
“Oh äh… ich meinte…” versuchte der Komander das Vertrauen zu retten, doch Nikos sprang für ihn ein und erklärte in einer deutlich flüssigeren und sichereren Variante von Antwans Sprache:
“Wir haben nicht gedacht, dass Wissen um Terra bis hier hin wandert. Das wollte Lashenko sagen.”
Antwan schien zu verstehen, denn er entspannte sich wieder.
Der Komander sah Nikos würdigend, aber vor allem dankbar an und wandte sich dann wieder Antwan zu. “Wo sind die anderen? Leben Sie hier alleine?”
Antwan schaute finsterer, trauriger. Er senkte den Blick. “Ja.”
“Aber früher gab es noch mehr hier, oder?" fragte Nikos.
“Ja, das ist wahr. Früher mehr. Doch heute nicht mehr. Die hier gelebt haben Menschen tot. Ich der letzte.”
Die Astronauten blickten ihn traurig, aber verständnisvoll an. Es kam für sie keineswegs überraschend, denn sie wussten nur zu gut, wieviele Kolonien scheiterten. Es war die enttäuschende Realität. Das Leben hier draußen war hart.
“Früher eine lebende Stadt. Jetzt nur noch Skelett von früher. Ich komme nicht gern hierher, denn hier gibt es nichts mehr. Ich lebe von dem, was der Planet mir gibt”, erklärte Antwan und hob sein Gewehr zur Unterstreichung. “Mein größter Wunsch ist es, zu sehen diese Siedlung wieder lebendig, aber ich alt und krank. Und nicht weiß, wie lange ich noch bestehe.”
Mitgefühl machte sich unter den dreien breit. Antwan sah man an, wie sehr das Leben ihn verzehrt hat.
“Wie sind sie gestorben?”, fragte Nikos.
Antwan überlegte. Nach einigen Momenten sagte er etwas, das das Rosetta-Modul nicht direkt einordnen konnte. Direkt im Anschluss sagte er etwas anderes hastig hinterher, doch auch das konnte das Programm nicht übersetzen.
“Tod… Tod von Pflanzen. Ernte schlecht.”, fuhr er fort und diesmal war das Modul erfolgreich.
“Eine Missernte?” versuchte Yotekom Li auf Terrango mit einzusteigen. “Die Pflanzen, die ihr hier angebaut habt, sind gestorben und die Leute sind durch Hunger umgekommen?”
“Ja. Missante!” wiederholte Antwan mehr schlecht als recht das Wort das Li sagte.
“Was ist mit anderen Nahrungsquellen?”, fragte Li. “Bei einer Missernte würden doch nicht sofort alle sterben.”
Antwan schien zu überlegen. Dann sagte er wieder das erste Wort, das nicht übersetzt werden konnte und zeigte in den Himmel.
“Ich glaube, er meint Strahlung”, sagte Nikos zu den beiden anderen Offizieren.
Er klatschte in die Hände. “Ja, Strahlung. Viel Strahlung von der Sonne. Zuerst Missernte und dann Strahlung tötete die übrigen! Sehr wahr hatte ich Glück, dass mein Aufbau den widrigen Situationen dieser feindseligen Welt standgehalten haben.” Ihm kam ein Schuss Euphorie darüber, dass sie das Rätsel gelöst hatten, die allerdings schnell wieder abflaute, bedachte man die Thematik. Auch in diesem kurzen Anflug von Freude sahen seine Augen müde aus, so als läge die Last des Lebens schwer auf ihm. Doch neben Müdigkeit konnte man in seinen Augen auch noch einen Willen sehen. Einen starken.
“Erzählt mir von euch bitte. Ihr habt ein Raumschiff? Ich habe auch eins. Ist es sehr groß?”
“Nun,” sagte Lashenko. “Unsere Besatzung besteht aus einigen hundert Offizieren.”
Antwan sah verwundert aus. Er hielt Lashenkos Zahl wohl für einen Übersetzungsfehler.
“Ja, mehrere hundert Menschen und Androiden. Es ist eines der größten und schnellsten Schiffe, die die Menschheit je gebaut hat”, fuhr er stolz fort.
“So groß?” sagte Antwan mit Skepsis, die sich aber rasch in Gelächter verwandelte. Er schien ihm nicht zu glauben.
Lashenko zögerte allerdings kein bisschen und aktivierte den HAVI-Projektor an seiner Schläfe. Dieser erzeugte ein Modell der Kupe in seiner Hand, etwa so groß wie ein Rugby-Ball. Die müden Augen des Mannes wurden auf einmal groß. Wie andere Menschen, die bisher noch nie ein Hologramm zu Gesicht bekommen hatten, war auch sein erster Impuls, es zu berühren. Er war überrascht vom Widerstand in seinen Händen, als er dies tat.
“Ja, es ist fest. Du kannst es auch gerne in die Hand nehmen.”
Antwan tat wie geheißen, nahm sich das Modell und begutachtete es. “Es fühlt sich wie wahr an. Also das hier euer Schiff?”
“Nun, es ist schon etwas größer als das”, erwiderte Lashenko und erntete ein Lachen von Antwan, in welches der Komander einstimmte.
Li fand diesen Witz eher lahm. Aber er unterließ es, seinem Vorgesetzten gegenüber die Augen zu rollen.
Die Müdigkeit wich langsam wieder in das Gesicht des Mannes. “Wenn ich ein solches Schiff nur hätte, dann… Dann könnte ich vielleicht meinen Leuten helfen, hierhin zu kommen und diesen Ort wieder lebendig zu sehen.” Er sah die Astronauten neugierig an. “Sagt mir… Würdet ihr mir helfen? Wir sind außerhalb, im Asteroidengürtel. Es wäre nicht weit.”
Die drei sahen sich gegenseitig an.
“Wie viele Siedler sind es denn?” fragte Lashenko.
Nicht viele,” erwiderte Antwan. “zweihundert.”
Nikos überprüfte die Übersetzung und nickte.
“Das wird schwierig werden. zweihundert Siedler sind eine Menge”, sagte der Komander.
“Ist das denn nicht der Sinn, weshalb ihr hier? Ihr sagtet, ihr seid gekommen, um Menschen wieder mit Siedlungen zu verbinden.”
Perplex sah der Komander Nikos an, die mit einem ähnlichen Ausdruck zurück sah. Dann erwiderte er: “Das haben Sie vielleicht nicht ganz richtig verstanden. Wir wollen die Siedlungen erst einmal ansehen und mit den Menschen dort eine Beziehung aufbauen. Verstehen Sie? Wir wollen Verbindung mit uns aufbauen. Um bei Rekolonisierungen zu helfen, haben wir eigentlich nicht die Mittel.”
“Oh. Verstehe”, sagte Antwan mit Enttäuschung in der Stimme. “Dann könnt ihr nicht helfen?”
“Es tut mir leid”, sagte Lashenko und schüttelte den Kopf.
Antwan sah ihn etwas länger an, und winkte dann heftig ab. “Ich verstehe nicht, wozu ansehen, wenn nicht auch helfen zu siedeln. Was ist der Sinn damit?”
Der Komander überlegte. “Warten Sie bitte kurz, ja?” Dann drehte er sich zu den beiden anderen Astronauten und nutzte nun wieder Terrango: “Hm, zweihundert Kolonisten sind wirklich viele Menschen. Wir müssten einige Frachträume ausbauen um sie alle beherbergen zu können, aber machbar wäre es.”
“Innerhalb des Systems wäre es auch nur ein Katzensprung, was unsere Rohstoffe dann nicht zu sehr belasten sollte”, merkte Nikos an.
Li gefiel nicht, was er da hörte. “Komander, ich möchte nur anmerken, dass wir ihn vor einigen Minuten erst kennengelernt haben. Und seine Grußworte an uns waren Strahlenfeuer. Bei allem Respekt, wir wissen nichts über diesen Menschen oder die Kultur, der er entstammt. Wie können wir ihm vertrauen?”
“Yotekom, es war ein Missverständnis. Solche Dinge passieren bei Erstkontakten.”
“Da bin ich auch nicht nachtragend, ich denke einfach, wir sollten vorsichtiger sein. Auch wenn ich mit ihm sympathisiere, wir wissen nicht, welches Risiko zweihundert Menschen haben können. Der Planet hier und das System sind uns auch fremd und wir wissen nichts über seine Gefahren.”
“Es ist auch gut, dass Sie vorsichtig sind, nur denke ich auch, dass er Recht hat. Wenn wir Kolonien kontaktieren, dann können wir ihnen genauso gut helfen. Infrastruktur im All aufzubauen war immer eine Kernaufgabe von Aurora. Außerdem hätten wir etwas Positives nach Hause zu berichten, wenn wir ausnahmsweise mal keine tote Kolonie finden.”
Die drei sagten für eine Weile nichts und sahen sich nur in Überlegungen vertieft an.
“Ich denke,” fuhr Lashenko dann fort, “dass wir Antwan mit auf unser Schiff nehmen sollten und die nächsten Schritte mit dem Kaptan besprechen sollten. Danach können wir weiter entscheiden.”
Li schüttelte den Kopf. “Als Beauftragter für die Sicherheit des Schiffs muss ich da protestieren.”
“Ihre Bedenken sind zur Kenntnis genommen und wir werden in jedem Fall Vorsicht walten lassen. Bevor wir etwas unternehmen, werden wir einige Zeit damit verbringen, ihn kennenzulernen und seine Kultur zu verstehen”, versuchte der Lashenko Li zu beschwichtigen, der zögerlich nickte. “Ich werde mit ihm reden. Die Daten zur Sprache sollten fürs Erste ausreichen”, sagte der Komander und begab sich zu Antwan, während Nikos und Li zurückblieben, letzterer mit sehr unzufriedener Miene.
Nikos seufzte, nachdem er die beiden alleine ließ. “Uff, das ist doch noch einmal gut gegangen. Ich war vorhin wie gelähmt. Beinahe hätte ich euch alle in Gefahr gebracht.”
Li sah sie verwundert an. “Ich verstehe nicht. Durch Ihren Einsatz haben wir doch das ganze überhaupt erst friedlich lösen können”, sagte Li und lächelte.
“Jaa… vielleicht”, erwiderte Nikos zögerlich. “Trotzdem, das darf nicht wieder passieren. Gerade als Yotekom sollte ich solche Situationen besser in den Griff kriegen. Weshalb habe ich sonst den Rang?”
“Mag sein. Aber daran lässt sich arbeiten.”
Die beiden sahen zum Komander, der Mühe hatte, den schmutzigen Antwan davon abzuhalten, ihn voller Freude über ihren Entschluss zu umarmen.
“Nun, dann sollten wir langsam gehen”, sagte Li. “Ich würde ganz gerne von hier verschwinden. Für heute habe ich definitiv genug von der offenen Ebene.”
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“Vielen Dank für Ihren Input, Kameraden. Dies ist tatsächlich keine leichte Fage. Zweihundert Menschen zu transportieren wird ein Unterfangen.” Kaptan Gorbani und die anderen Astronauten des Landetrupps standen vor der Scheibe aus Matrixglas, die die Sicht von der Kontrollstation auf den luftleeren Hangar freigab, in dem mehrere Crewmember dabei waren, das ‚Schiff‘ von Antwan — eine sehr wohlwollende Bezeichnung für das Konstrukt, das mehr aus aneinander geschweißten Metallplatten als dem ursprünglichen Gefährt bestand — in den Hangar zu ziehen und ihn sicher herauszubringen, was sich als noch größere Herausforderung entpuppte. Mehrere Techniker waren vonnöten, um es sicher an die Schleusen im Hangar anzuschließen, ohne dabei einen kompletten Druckabfall zu riskieren. Es erstaunte viele, wie der Einsiedler es überhaupt geschafft hatte, mit diesem Ding zwischen den Planeten zu fliegen und lebendig an seinem Ziel anzukommen.
“Kaptan, ich finde wirklich, dass wir uns dies noch einmal überlegen sollten”, sagte Li.
“Wie gesagt verstehe ich die Bedenken des Yotekoms…” erwiderte Lashenko, “…und denke, dass wir definitiv Sicherheitsmaßnahmen ergreifen sollten, wenn wir die Kolonisten transportieren. Seine Interpretation unserer Mission ist nicht ganz das, was vorgesehen ist, aber ich denke, es würde sich für uns gut machen. Wenn wir ihm helfen, können wir dies als humanitären Einsatz werten und uns Sympathiepunkte dazuverdienen. Das würde die Reputation des Programms zuhause deutlich erhöhen.”
“Denken Sie aber auch an die Logistik, Kaptan”, sagte Li. “Es ist fraglich, ob sich zweihundert Kolonisten so einfach transportieren lassen, die dazu auch noch mit Nahrungsmitteln versorgt werden müssen.”
“Wir konnten die Adler nehmen”, argumentierte Lashenko und zeigte auf die großen Beiboote, die sich im Reservoir des Hangars über ihnen befanden. “Wenn unsere Kapazitäten nicht ausreichen, um eine so große Menschenmenge sicher zu transportieren, sollten wir in Erwägung ziehen, mehrfach zu fliegen.”
Gorbani sah sich die Adler-Beiboote an. Seit nun mehreren Jahrzehnten hatten die Adler den Schiffen von Aurora immer gute Dienste geleistet. Diese Boote sind dafür konzipiert, große Mengen von Last und Personen zu transportieren.
Gorbani überlegte. “Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir durch den Asteroidengürtel navigieren wollen. Die Kupe ist ziemlich groß und der Gürtel ziemlich dicht, also wären die Boote eine gute Option. Wir dürfen allerdings auch nicht unseren Zeitplan aus den Augen lassen. Sie sagten, dass sich die Kolonisten im äußeren Asteroidengürtel aufhalten?”
“Auf einem Zwergplaneten etwas abseits davon, um genau zu sein”, ergänzte Lashenko. “Antwan sagt, dass es eine unterirdische Raumbasis darauf gibt, worin sie sich aufhalten. Angeblich wurde sie von den frühen Siedlern als Zwischenbasis gebaut. Die jetzigen sind dort untergekommen und es war ursprünglich geplant, dass sie von dort mit einem eigenen Schiff nach und nach übersiedeln.
“Leben sie dort autark?”
“Weitestgehend. Aber Antwan sagte auch, dass die Rohstoffe nicht unbegrenzt sein würden.”
“Hm…” Gorbani blieb einige Momente nachdenklich vor dem Matrixglasfenster stehen. Sie dachte über die ganzen verlassenen Basen nach, die sie auf dem Weg gesehen hatten. Sollten sie diese Siedlung in ihrem Bericht an das Hauptquartier wirklich auch noch hinzufügen?
“Also gut”, sagte sie. “Bitte leiten Sie die Vorbereitungen in die Wege, Komander.”
“Ja Kaptan”, erwiderte dieser.
“Schätze, dann bin ich wohl überstimmt”, murmelte Li.
“Nein, Yotekom, überstimmt wären Sie, wenn das Schiff demokratisch geführt würde, was nicht der Fall ist.” Sie trat einen Schritt näher an Li, der sich ertappt fühlte und erfolglos versuchte, es sich nicht anzumerken zu lassen. “Ich respektiere, dass Sie vorsichtig sein wollen, da wir Antwan nicht kennen. Und genau aus diesem Grund werden wir, wie Sie vorgeschlagen haben, mehr über diese Person erfahren. Da dies eine Maßnahme der Sicherheit ist, werden Sie und Yotekom Nikos diese Aufgabe übernehmen. Haben Sie verstanden?”
“Jawohl, Kaptan. Bitte entschuldigen Sie”, sagte Li.
“Gut. Dann weggetreten. Es wird Zeit, dass wir unseren Gast willkommen heißen.”
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Kaptan Gorbani ging mit Komander Lashenko und Yotekom Li im Gefolge hinab an die Schleusen. Es schien so, als hätten die Techniker es endlich geschafft, das Gefährt von Antwan anzudocken. Nun erwartete sie jedoch noch eine weitere Aufgabe, nämlich den Einsiedler aus der Monstrosität eines Schiffs zu befreien und in die Dekontaminationskammer zu bringen. Doch dieser traute der Kammer wohl nicht. Es sah so als, als würde er heftig mit dem Personal diskutieren. Yotekom Nikos, die durch ihre sprachlichen Fähigkeiten am ehesten das Vertrauen des Mannes gewinnen konnte, schien auch nicht mit ihm verhandeln zu können, wie ihre wilde Gestikulation und ihr resigniertes Kopfschütteln darauf zeigte. Es verstrichen einige Minuten, in denen ein Techniker durch die Dekon-Kammer in der Schleuse ging, um ihm zu demonstrieren, dass sie sicher war. Offensichtlich zeigte dies Wirkung, denn Antwan versuchte dann doch, wenn auch zögerlich, durch die Kammer zu gehen, hinter der Gorbani und die anderen Offiziere warteten.
“Willkommen auf der Kupe”, begann Kaptan Gorbani, kurz nachdem er hervortrat. “Antwan war Ihr Name, richtig? Sie hatten ausreichend Zeit, mit Yotekom Nikos einen gemeinsamen Wortschatz aufzubauen, nehme ich an?”
Nikos, die aus dem Kontrollhaus der Kammer hervorgekommen ist, schaute peinlich berührt zu Boden. Offenbar wusste sie bis jetzt gar nicht, dass der Kaptan die kleine Szene mit angesehen hat.
“Ich bin froh, dass eure Luft atembar ist”, sagte der Mann, ohne darauf einzugehen.
“Wenn Sie Probleme beim Atmen bekommen, sagen Sie bitte Bescheid.”
“Nein, es ist angenehm,” sagte er und winkte ab.
“Nun gut, um so besser! Mein Name ist Jahan Gorbani. Ich bin der kommandierende Offizier dieses Schiffs. Neben mir sind Komander Damian Lashenko und Yotekom Mohamed Li, die Sie ja bereits kennengelernt haben.” Jahan reichte ihm die Hand zur Begrüßung, doch dieser blickte sie nur fragend an. Dann nahm er sie mit beiden Händen und schüttelte sie kräftig, unsicher ob das so richtig war. Offensichtlich kannte man in seiner Kultur diese Geste nicht.
“Nun, ähm, ich möchte Sie bitten, mitzukommen. Sie haben sicher großen Hunger nach der Reise.” Eine diplomatische Strategie, die seit der Antike bekannt ist. Bietet man einem Menschen Essen an, gewinnt man bei diesem Sympathie. Außerdem, so hatte Gorbani in einem Psychologiekurs gelernt, sind Menschen beim Essen meist sozialer, lockerer und gesprächiger, wodurch man mehr Dinge über sie herausfindet und die Bindungen zu ihnen stärkt.
Er räusperte er sich. “Eine Mahlzeit hört sich phänomenal an. Einmal nicht von geschossenem Wild zu leben… Ich danke Ihnen, dass Sie mich aufnehmen, Jahan Gorbani.”
Sie begaben sich in Richtung der Hauptaufzugsachse und die anderen drei Offiziere folgten ihnen.
“Und ich bin sehr beeindruckt von Ihrem Schiff”, fuhr er fort. “So etwas Großes habe ich noch nie gesehen. Wirklich erstaunlich!”, sagte er und begann, sich demonstrativ umzusehen.
“Ich danke Ihnen. Ich werde Ihren Lob unseren Ingenieuren ausrichten.
“Sehr gut, sehr gut. Wurde es auf Terra gebaut?”
Gorbani lachte. “Nicht ganz. Jupiter. Das liegt im selben System. Also nicht auf dem Planeten Jupiter selber, sondern in einer Werft in dessen Orbit.”
“Eine Schiffsfabrik?”
“Genau.”
“Werden dort noch mehr solcher Schiffe gebaut?”
“Ja, es gibt bisher sechs Schiffe, die genauso aufgebaut sind.”
Er staunte. “Sechs Schiffe?”
“Diese sind allerdings in anderen Ecken des Universums unterwegs. Ihr Auftrag ist ähnlich wie unserer. Auch sie sollen verlorene Kolonien suchen.
Er schwieg für einen Moment und nickte, so als müsste er das Gehörte verarbeiten. Allerdings wäre das nicht verwunderlich in dieser neuartigen Situation.
“Habt ihr bisher viele Kolonien gefunden?”
Der Kaptan schüttelte den Kopf. “Leider bisher nur Ruinen und verlassene Habitate.”
“Verstehe, verstehe. Das ist schade. Wirklich sehr traurig sowas. Sehr sehr schade, wenn eine Siedlung leer und verlassen ist, wenn die ganze Arbeit, die sich ihre Vorfahren damals gemacht haben, hin ist. Eine große Schade, oder?”
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“‘Eine Schande‘, meinen Sie bestimmt.”
“Ja, ja richtig!” erwiderte Antwan. “Aber was macht ihr, nachdem ihr sie lebend gefunden habt?”
“Wir stellen diplomatischen Kontakt her und entsenden Schiffe zum Handel mit der Terranischen Republik, damit eine neue Verbindung entsteht.”
“Ah ja, davon wurde erzählt. Die Republik. Eine Demokratie, richtig? Darf ich fragen, ähm, welche Werte werden dort hoch geschätzt?”
Der Aufzug war nur noch wenige Schritte entfernt.
“Unsere Werte?” fragte Gorbani mit besonderer Betonung auf dem letzten Wort. “Davon haben wir einige. Frieden, Freiheit, Gleichberechtigung, Toleranz…“
“Was ist mit… wie heißt es? Solidarität? Die Bereitschaft, anderen zu helfen, die in Not sind?”
Er entlockte Gorbani damit ein Lächeln, jedoch eines, das nur bedingt Zuneigung ausdrückte.
“Ich sehe, Sie kommen gerne gleich zur Sache. Offensichtlich ist es Ihnen eine wichtige Angelegenheit.” Daraufhin fiel ihr Tonfall leicht. “Nun, um offen mit Ihnen zu sein, wir möchten Sie erst besser kennenlernen, bevor wir uns entscheiden. Wir wissen kaum etwas über Sie oder andere Siedlungen hier im System. Uns interessiert außerdem sehr, welche Menschen hier auf Kena‘an einst siedelten. Das ist auch Teil unseres Auftrags hier. Sehen Sie es als Handel an.”
Er schien sich unsicher zu sein. Zwar war er kein völliger Einsiedler, so wie sich herausstellte, aber man merkte, dass er nicht viel Kontakt zu anderen Menschen hatte.
“Wenn ich Ihnen mehr von den Leuten erzähle, helfen Sie mir?”
“Ja. Natürlich nur sofern die Aktion für uns kein zu großes Risiko darstellt.”
Freude breitete sich in seinem Gesicht aus und verdrängte seine Altersmüdigkeit. Enthusiastisch nahm er wieder die Hand des Kaptans mit beiden und schüttelte sie. “Jahan Gorbani, ich werde Ihnen auf Ewigkeit dafür dankbar sein. Wirklich!”
“Das… bezweifle ich nicht”, sagte sie, von seiner Art total überwältigt. “Bitte, wenn Sie mir doch einfach folgen würden.”
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“Also stammen die Siedler von Genet 4, dieser Venus-Welt? Na kein Wunder, dass wir sie noch nicht entdeckt haben”, sagte Yotenan Vijar, während er zurückgelehnt an der Steuerstation auf der Brücke saß. “Die Atmosphäre ist dicker als die Suppe aus der Kantine. Und das will was heißen. Da kommen so leicht keine Funksignale heraus oder herein.”
“In etwa so ist es”, sagte Komander Lashenko. “Von Eadan, so heißt der vierte Planet dieses Systems, kamen auch die ursprünglichen Siedler nach Kena‘an.”
“Aber warum haben sie sich keine weiteren Mühen gemacht, Kena‘an zu besiedeln? Warum haben sie sich überhaupt dazu entschieden, zuerst einen Planeten zu kolonisieren, der offensichtlich keine atembare Atmosphäre besitzt und auch sonst viel weniger zu bieten hat, während es im selben System quasi eine zweite Erde gibt?”
Yotekom Li schnaubte amüsiert. “Sie haben wohl auch nie auf einer Raumkolonie gelebt, was?”
“Sie würden auch lieber dort siedeln?” fragte Vijar erstaunt und blickte über den Stuhl kopfüber zu Li hinter sich.
“Das werden Sie vielleicht nicht verstehen, da sie kein Raumnomade sind. Aber ja. Habitable Planeten können ziemliche Gefahren bergen. Die Biosphäre mit ungeahnten Krankheiten… oder Substanzen zum Beispiel.”
Vijar verstand die Anspielung auf eines ihrer letzten Abenteuer, zeigte sich aber nicht beeindruckt. “Raumkolonien sind doch viel aufwändiger. Man muss sich seinen gesamten Lebensraum selbst erschaffen. Und vor allem hat Eadan, wenn ich das richtig lese, einen Atmosphärendruck, der vergleichbar mit der Terranischen Tiefsee ist. Wenn ich an so etwas denke… Uff, nein danke!”
“Für welche würden Sie sich denn entscheiden, wenn ich fragen darf, Komander? Sie kennen beide Arten von Welten”, fragte Li.
Lashenko lachte. “Ich würde nicht sagen, dass das hier vergleichbar wäre. Auf einer Venus zu siedeln kann sicher seine Vorteile haben, gerade wenn man einen Stern hat, der eine Menge Strahlung produziert. Ich vermute, dass das auch der Grund war, warum die Menschen den vierten Planeten bevorzugen.”
“Sie glauben, das war der Grund?”
“Laut Antwan war Strahlung einer der Gründe, der die Kolonie scheitern ließ.”
Li lachte gehässig. “Ja. Wenn wir ihn da richtig verstanden haben.”
“Yotekom, haben Sie etwa kein Vertrauen in Nikos‘ Arbeit?” fragte Komander Lashenko.
“An Nikos zweifle ich ganz und gar nicht. Sie hat einen großartigen Job hingelegt. Wäre sie nicht gewesen, wäre da unten mindestens eine Person heute entweder schwer verletzt oder tot. Nein, ich zweifle eher an Antwan. Auch wenn wir mittlerweile eine gute Basis aufgebaut haben, habe ich immer noch ein sehr ungutes Gefühl bei ihm.”
“Welcher Natur ist dieses ungute Gefühl, Yotekom?” fragte Lashenko forsch. “Wenn es ein konkretes Risiko für das Schiff gibt, sollten Sie es uns verraten.”
Lashenko fragte sich, ob Li sauer war. Nahm er es Lashenko vielleicht übel, dass er sich unten auf dem Planeten in Gefahr begeben hat und dass seine Taktik damit sogar aufgegangen war? Oder lag es doch an etwas anderem?
“Nein. Einen konkreten Verdacht habe ich bisher nicht. Ich glaube allerdings, dass er uns irgendetwas vorenthält. Aber bisher ist es nur das. Ein ungutes Gefühl.”
“Ich verstehe”, sagte der Komander.
Lashenko verwarf seine Theorie wieder. So kleinlich ist er nicht. Und wenn Li eine Ahnung hatte, dann nie aus Vorurteilen. Lashenko kannte ihn und wusste, dass Li Menschen schnell einschätzen konnte.
“Informieren Sie mich, wenn sich die Annahme konkretisiert, Yotekom. Bis dahin bleibt er unser Gast und Sie behandeln ihn auch so, verstanden?”
“Ja, Komander. Verstanden.”
Vijar sah Li kurz verstohlen an, dann drehte er sich wieder nach vorne.
“Gut. Der Kaptan hat bereits entschieden, dass wir ihm helfen. Daher möchte ich noch einmal durchgehen, welche Atmosphäre-Lagerräume wir freiräumen können.”
In dem Moment öffnete sich die Aufzugtür und Gorbani trat ein, gefolgt von Yotekom Arthur, der sich allerdings direkt zu seiner Arbeitsstation begab.
“Meine Kameraden, wir haben den Standort der Basis.” Der Kaptan hob eine holografische Tafel, dessen Daten ohne Umwege auf die Anzeige der Arbeitsstation projiziert wurde. Sie zeigte das System Genet, sowie eine Zone, die den äußeren Asteroidengürtel darstellte. “Das hier…” Sie zeigte auf einen roten Punkt weit innerhalb des Gürtels. “... ist Genet 3, von den Menschen hier ‚Sayna‘ genannt. Dort befinden sich die Kolonisten, die wir zu Kena’an transportieren werden. Sie sehen, dass sich die beiden Planeten um diese Jahreszeit ihrer Konjunktion nähern? Gorbani hob die beiden Planetenbahnen farblich hervor und die Astronauten sahen, wie nahe sie beieinander lagen, im Gegensatz zu Platzhalter 3, der Venus-Welt, die sich relativ weit auf der anderen seite des Sternensystems befand. Für die Kupe war diese Distanz kaum der Rede wert. Aber für die Kolonisten hier, die ihres Wissens nach keine Warp-Antriebe kannten, abgesehen von einem einfachen Kontraktionsantrieb, und den sicher höchstens auf dem Papier, glich die Reise dorthin einer Odyssee. So haben sich wohl auch die frühen Astronauten des Sol-Systems gefühlt, als der Mars und der Mond Luna noch nahezu unberührt waren. Genauso wie damals sind auch diese Siedler heute noch an die Positionen und Jahreszeiten der Planeten gebunden, um eine möglichst geringe Energiemenge für ihre Reise zu verbrauchen.
“Ah, natürlich!” sagte Li. “Sie nutzen Genet 3 also als Transitwelt. Verstehe. Wenn sie vor ein paar Jahren Standardjahren losgereist sind, sofern man Antwan glauben mag, müsste dies ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als der vierte Planet dem dritten am nächsten war. Die klassische Raumfahrt ist schön. Irgendwie schade, dass wir das abkürzen.”
“Bedenken Sie, Yotekom”, sagte Komander Lashenko, “dass sie das möglicherweise nicht überleben könnten. Klassische Raumfahrt war zwar schön, aber lebensgefährlich. Ohne uns könnten sie es möglicherweise nicht schaffen.”
“Das ist mir bewusst, Komander.”
Lashenko gab Li einen ermahnenden Blick.
“Gut. Was mir nämlich vor allem zu schaffen macht, ist der Asteroidengürtel”, sagte Gorbani, ohne darauf einzugehen. “Wir werden dort nicht mit der Kupe einfach so durchfliegen können. Wir müssen unsere Shuttles benutzen. Um den Flug zu kontrollieren, benötigen wir fähige Piloten. Yotenan Vijar, können wir uns da auf Ihr Team verlassen?”
“Sie hatten mich bei ‚fähigen Piloten‘, Komander.”
“Na, dann bleibt denke ich nichts mehr zu sagen. Bereiten Sie bitte alles vor, bis wir da sind. Wir…”
Ein dumpfer, aber lauter Knall ließ die Offiziere aufschrecken. Es hörte sich so an, als hätte etwas die Hülle des Schiffs mit voller Wucht getroffen.
“Was war das?” rief der Kaptan. “Li, Schadensbericht!”
Li eilte zur Station für die Schiffssicherheit. “Ich glaube, uns hat ein Meteorit getroffen. Beim Aufprall ist er in mehrere Schuttpartikel zerfallen. Nach den Berechnungen war er um die zwanzig bis dreißig Zentimeter groß. Wir können aber beruhigt sein, der Schaden ist unerheblich. Die Schiffshülle normalisiert sich bereits.”
“Wie konnte das passieren?” fragte Lashenko. “Sind die Meteoritensensoren defekt? Normalerweise sollten die Abwehrsysteme solche Körper doch ohne Probleme erfassen und eliminieren können.”
“Die Systeme sind in Ordnung, nur diese Meteoriten haben eine extrem niedrige Albedo. Sie reflektieren kaum Licht, was sie schwer zu erfassen macht, selbst im infraroten Spektrum.”
Die Anzeigen auf der Station zeigten Diagramme des Einschlags auf der Schiffshülle, sowie eine chemische Analyse von einem der Meteoriten, die die Navigatoren zuvor gemacht hatten.
“Yotekom, sorgen Sie dafür, dass die Sensoren entsprechend angepasst werden. Sie und ihr Team sind für die Sicherheit verantwortlich. Je weiter wir in das Feld fliegen, desto mehr werden wir es mit ihnen zu tun haben. Ich möchte nicht, dass ein noch größerer seiner Kollegen die Hülle zertrümmert.”
“Jawohl, Komander! Wir tun unser Bestes!” sagte er, erstaunlicherweise relativ ruhig und konzentriert, obwohl er getadelt wurde. Man merkte, wie ernst er seinen Job nahm und das musste Lashenko bewundern, auch wenn er die KOs natürlich nicht so offen vor den anderen herausfordern durfte.
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Einige Stunden später näherte sich der Planet Sayna. Die Konzentration an Meteoriten nahm ebenfalls zu und die Kupe musste ihre Geschwindigkeit stark drosseln. Der Planet war relativ klein. Sein Radius war nur leicht größer als der vom Mond Luna, sodass der Planet dementsprechend ohne jegliche Atmosphäre und seine Oberfläche übersät von Kratern war. Die Station, auf der sich die Siedler aufhielten, war in einer Höhle auf Äquatornähe gebaut worden. Der Kaptan hat entschieden, die Kupe in einem hohen Orbit zu behalten, um die Geschwindigkeit so gut es ging zu reduzieren und nicht in weitere Objekte hineinzufliegen. Auch wenn sie die Sensoren mittlerweile auf die ungewohnte Gattung von Asteroiden einigermaßen anpassen konnten, konnten sie weiteren Zwischenfällen nicht völlig entgehen, weniger zum Leidwesen der Schiffshülle, die die Zusammenstöße weitgehend absorbieren konnte, sondern mehr zum Leidwesen von Yotenan Li.
Eine Herausforderung wurde das Asteroidenfeld auch für die Vielzahl an Adler-Shuttles, die nun zu Sayna aufbrechen wollten. In weiser Voraussicht hat man auf diese ähnliche Perimeter-Abwehrsysteme angebracht, wie auf der Kupe.
In den Hangaren machten sich die Piloten unter Yotenan Vijars Führung bereit. Kaptan Gorbani und Yotekom Li waren ebenfalls gerade dabei, einen letzten Systemcheck an ihren Raumanzügen durchzuführen, als sich die Tür zum Mannschaftsraum öffnete und ein Androide in weißer Uniform und einer Tasche um den Gürtel mit mehreren Instrumenten eintrat.
“Bitte verzeihen Sie die Verspätung, Kaptan. Ich hatte noch einen kleinen Notfall auf der Krankenstation, der meiner Aufmerksamkeit bedurfte.”
“Nur ein kleiner Notfall?” bemerkte Vijar beiläufig ohne den Blick von den Instrumenten seines Pilotenanzugs zu wenden.
“Ja, man könnte auch sagen, ein Notfällchen.”
Er sah zu ihr auf. “Hm, nein. So etwas würde glaube ich niemand sagen außer Sie, Doktor.”
Ein Lächeln zog über ihr schneeweißes Gesicht und wenn man wollte, hätte man Stolz in den pupillenlosen orangen Augen des Androiden feststellen können, nach dem, was sie einen Witz genannt hätte. “Nun, wie dem auch sei, da bin ich. Mein Team hat alles vorbereitet, um die Siedler zu versorgen, sollte dies notwendig werden. Strahlungskits, Behandlung gegen Staubvergiftung und auf Ihre Aufforderung hin auch Nahrungskapseln und Rationen.
“Sehr gut. Was unseren Gast betrifft, sind Sie mit der Untersuchung fertig?”
“Ja. Er ist soweit gesund und es besteht soweit kein medizinisches Risiko für die Crew. Alle weiteren Einzelheiten müssten wir mit ihm gemeinsam besprechen.”
“Ich verstehe, Doktor. Aber soweit reicht mir diese Information auch. Machen Sie sich bitte bereit, wir möchten in wenigen Minuten aufbrechen.”
AU 6-D5 nickte, begab sich zu ihrem eigenen Anzug.
Wenige Zeit später traten sie aus den Umkleideräumen heraus. Ebenso wie die Crewmitglieder, die sich vor den Hangardocks versammelten, war Antwan nun auch für den Weltraum vorbereitet. Er hatte einen der Crew-Anzüge an, aber immerhin ohne Insignien. Allemal besser als das schäbige Ding, welches er vorher an hatte, allerdings fragte sich Li, ob er diesen wieder abgeben würde, wenn die Mission beendet ist und er wieder mit seinem alten Kahn unterwegs wäre. Solche Anzüge waren teuer in der Produktion, das wusste er. Aber vielleicht war es besser so, wenn sie ihn Antwan überlassen und dies als Hilfeleistung sehen würden. Schließlich musste er auch überleben.
“Kaptan?” Antwan wandte seinen Blick von den Schiffen im Hangar, die ihn offensichtlich fasizinierten, als Gorbani mit Vijar und Li im Schlepptau zu den Docks kamen. “Diese Anzüge sind eine große Ingenieurskunst. Wirklich erstaunlich, wie beweglich man ist. Ich muss aber zugeben, dass es mir etwas schwergefallen ist, in ihn hereinzukommen. Aber dankenswerterweise hat mir ein sehr liebes Crewmitglied dabei geholfen.”
Der Person, die sich dazu erbarmt hat, sollte man eine Extrastunde im Simulator als Ausgleich geben, dachte Li und ihm fiel auf, dass Antwan offenbar von den Hygieneeinrichtungen des Schiffs Gebrauch gemacht hat. Er hat sich sogar die Haare schneiden lassen. Ob das noch unter die Sitte des Weltraum-Gastrechts fiel?
“Sind Sie soweit startklar, Antwan?” fragte der Kaptan.
Er nickte. “Ja ja. Von mir aus können wir starten. Ich frage mich aber, warum wir Waffen mitnehmen? Ihr seid doch auf einer friedlichen Expedition hier, oder? Auf Sayna gibt es nur unbewaffnete Zivilisten und Kinder.”
“Nur zur Sicherheit”, sagte Li. “Wir wollen uns und unser Schiff nur schützen, sollte etwas passieren.”
Antwan sah Li sehr lange in die Augen. Man merkte die Spannung zwischen den beiden. Li hatte vehement darauf gepocht, dass der Kaptan ihm erlaubt, Sicherheitsleute mitzunehmen und wenn es ganz nach ihm gegangen wäre, wären es viel mehr als nur vier pro Schiff gewesen. Er hatte angemerkt, dass sie auf dem kleinen Planeten ein Piratenversteck oder andere Vagabunden treffen könnten, daher seine Vorsicht.
“Aha”, fuhr Antwan dann fort. “Äh, wie war noch Ihr Name, Mister…“
“Li. Und man sagt hier nicht ‘Mister’. Nennen Sie mich bitte Yotekom. Yotekom Li.
“Ah, sehr gut, sehr gut, Yotekom Li. Sie waren mit unten auf Kena’an, richtig. Es freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen.” Er reichte ihm den rechten Arm. Li sah ihn und nahm den Händedruck an, ohne sich seinen Widerwillen anmerken zu lassen. Wie auch zuvor umschloss Antwan seine Hand mit beiden und schüttelte sie kräftig. Li gab ihm mit einem Gesichtsausdruck zu verstehen, dass er aufhören solle, allerdings ohne Erfolg.
“Nun, Yotekom Li. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie nichts zu befürchten haben werden. Ich habe ein Gewehr zum Jagen, aber davon abgesehen sind wir völlig unbewaffnet.
“Hm, na schön. Für den Anfang will ich dir glauben”, erwiderte Li von sich selbst überrascht.
“Das freut mich wirklich sehr. Ich hoffe, auch wir können noch Freunde werden.”
Li rührte keinen Gesichtsmuskel und sagte unauffällig einige Worte.
“Kaptan Gorbani?”
Der Kaptan richtete seine Aufmerksamkeit auf Antwan.
“Ich möchte noch einmal tiefst Dank ausdrücken, dass Sie solche Mühen auf sich nehmen, um Menschen Unterstützung zu geben”, sagte der Mann in gebrochenem, aber verständlichen Terrango. “Ohne Sie wäre meine Siedlung nur eine weitere leere Hülle. Von denen gibt es keinen Mangel im All, Sie haben gesehen.” Zwar hat er den Übersetzer auf dem eingebauten HAVI im Anzug benutzt, aber trotzdem war es erstaunlich, wie er die für ihn neuartige Technologie so gut für sich nutzen konnte, selbst wenn er etwas hochgestochen klang. Denn normalerweise braucht es etwas Übung, Rosetta richtig zu verwenden. “Ich meine es Ernst. Das Universum braucht mehr Menschen wie Sie, Kaptan”, fuhr er fort und schwenkte seinen Blick dabei für einen kurzen Moment in Richtung Li.
Gorbani hob ablehnend eine Hand. “Danken Sie mir bitte nicht zu früh. Noch sind wir nicht mal abgereist”, sagte sie in der Sprache von Antwan, die die Menschen in diesem System ‚Yaswech‘ nannten.
Gorbani ging los und bedeutete Vijar, Li, Antwan und D5, ihr zu folgen.
Antwan begab sich dabei an Li vorbei zu den Schleusen und für einen ganz kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber er fand diesen Menschen nach wie vor merkwürdig. Möglicherweise war es aber auch nur der kulturelle Unterschied oder sein Dasein als Einsiedler, was ihn so eigentümlich machte.
Was den Kaptan anging, sah ihr Gesichtsausdruck stoisch wie immer aus, jedoch glaubte Li, dass sie zumindest etwas erstaunt über seine neu gewonnenen sprachlichen Fähigkeiten war.
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Etwa 15 Minuten später setzte sich der erste Adler in Bewegung und schwebte nach vorn, gefolgt von den beiden anderen.
“Reibungslos. Man merkt ja kaum etwas!”, bemerkte Antwan. Er hielt sich an den Haltegriffen seines Sitzes fest, so als erwartete er jederzeit einen Ruck, doch dessen Erwartung wurde nicht erfüllt.
“Unter meiner Koordination auch nicht anders zu erwarten”, entgegnete Yotenan Vijar mit typischer Selbstsicherheit. Die Shuttles bewegten sich langsam aber sicher aus den Hangartoren heraus und sie entfernten sich immer mehr von der Kupe. In einer sicheren Distanz zündete Vijar dann die Expansionsantriebe und begann einen kontrollierten Abwärtsflug in Richtung des Planeten, während die anderen Adler im Geschwader folgten.
“Großes All, das sind echt viele”, sagte Vijar, als er zum ersten Mal Sichtkontakt zur beleuchteten Seite des Planeten aufbaute, die von den Millionen schwarzen Asteroiden verdunkelt wurde. “Also… natürlich nichts, womit ich nicht fertig werden würde.”
“Nun, sieht so aus, als würde nicht ganz so flüssig laufen, wie vorhin”, sagte Antwan.
Vijar winkte ab. “Sie unterschätzen mich. Die paar Kiesel halten mich nicht auf.” Er gab einen Code ein und ein Schalter mit der Aufschrift ‚Perimeter-Abwehr ' erschien, den er betätigte. Ein Surren ertönte, das bis auf die Maschinen des Antriebs das einzige Geräusch war, das den Raum erfüllte.
Vijar bedeutete seinem Kopilot, einem jungen Ensin, die kleinen Meteoriten im Auge zu behalten und ließ das Schiff den Rest machen.
“Wirklich erstaunlich, was Menschen tun können, wenn sie zusammenarbeiten, nicht wahr, Kaptan?” fragte Antwan.
“Allerdings. Auch wenn ich solche Flüge schon gefühlt tausend mal gemacht habe, ist es jedes Mal auf eine neue Weise faszinierend.”
“Meine Großmutter hat mir erzählt, dass dies in der frühen Raumfahrt nur möglich gewesen wäre, indem alle zusammengearbeitet haben. Die vielen Völker der Erde haben sich immer wieder bekriegt und gegenseitig zerstört, eine wirklich traurige Realität. Bis sie alle eines Tages aufgeschaut haben zu den Sternen und den Entschluss gefasst haben, ihre Waffen niederzulegen und zusammenzuarbeiten, um zu ihnen zu reisen. Und damit haben sie den Grundstein für die Raumfahrt und neuen Lebensraum für die Menschen gelegt.”
Li schmunzelte. Ganz so einfach war das natürlich nicht. Was seine Großmutter sicherlich nicht wusste, ist, dass die frühe Raumfahrt eher territorial und propaganda-motiviert war. Ja, die Menschen haben sich zusammengetan, aber auch nur, um gegen andere Menschen in einem Wettstreit zu kämpfen. Besser als Krieg allemal, aber trotzdem kein Zeugnis menschlicher Einigkeit. Und viele Technologien der Raumfahrt waren leider auch vor allem Kriegen zu verdanken.
Vijar widmete sich weiter der Steuerung der Schiffe, während Antwan fortfuhr: “Und auch wir führen dies nun fort. Kooperation ganz ohne Unterdrückung und Waffengewalt.”
Lis Skepsis wuchs. Warum lenkte er gerade so auf dieses Thema?
“Sagen Sie Kaptan, ich habe mitbekommen, dass Sie die Vergangenheit studiert haben, richtig?”
Gorbani nickte. “Das ist richtig. Ich habe Archäologie studiert.”
“Archäologie?”
“Die Erforschung der Vergangenheit sozusagen. Ich kenne mich mit einigen Epochen aus.”
“Darf ich fragen, wo sie von der Erde herkommen, Kaptan?”
Sie blickte ihn an und wunderte sich wohl, weshalb er gerade so etwas fragt.
“Ich komme aus der Region Iran.”
“Iran? Ah, davon habe ich gelesen. Ich habe mich in der Bibliothek des Schiffs etwas schlaugemacht über die Erde.”
“Ich kann mir vorstellen, dass Sie das interessiert”, sagte Gorbani und richtete ihre Aufmerksamkeit nebenbei wieder auf die Anzeigen.
“Ich habe gelesen, dass es auch dort Unterdrückung und Waffengewalt gab. Und dass die Menschen stark gekämpft haben, um sich gegen die gewaltsamen Unterdrücker zu behaupten und eine Demokratie aufzubauen, richtig?”
“Das ist richtig. Die Geschichte dieser Region ist turbulent, gerade was die letzten Jahrhunderte angeht. So wie viele Regionen Terras hatte sie ihre Regime und Verfolgungen.”
“Ja, stimmt. Aber die Region war später auch ein Hoffnungsschimmer für viele Vertriebene von den westlichen Kontinenten.”
Gorbani beäugte Antwan interessiert. “Nun, der Iran hat viele Christliche und Muslimische Flüchtlinge Anfang der 100er Jahre aufgenommen, nachdem sie in Amerika verfolgt wurden. Den Menschen ging es zu dieser Zeit darum, religiösen Fanatismus und Korruption zu bekämpen. Doch am Ende hat es nur dazu geführt, dass Unschuldige zur Zielscheibe wurden. Und dadurch waren viele gezwungen, zu fliehen.”
“Sie kennen sich also auch mit der Geschichte des alten Christentums aus?”
Gorbani lächelte.
“Selbstverständlich. Ich bin mit dieser Lehre auch aufgewachsen.”
“Ich verstehe. Die Christen haben eine lange Geschichte der Verfolgung. Da lässt Sie so etwas natürlich nicht kalt.”
“Es sollte jeden etwas angehen, wenn es Unschuldige trifft und die Schuldigen verschont bleiben. Die Oberhäupter von Kirchen, die selbst Hetze und Verfolgungen von anderen Gruppen in die Wege geleitet haben, sind nämlich ungestraft davongekommen.”
“Ein Geschehen, das es an vielen Zeitpunkten der Geschichte der Menschheit gab, wie ich gelesen habe.”
Gorbani lachte freudlos und seufzte. “Leider ja. Und ich denke, auch heute sind wir dagegen nicht immun.” Während sie nebenbei weiter die Anzeigen im Auge behielt, nahm sie einen Schluck Wasser aus den Reserven ihres Anzugs, dann sah sie wieder Antwan an. “Darf ich fragen, warum Sie gerade der Iran und das Christentum so interessiert hat?”
Antwan hob beide Hände defensiv. “Nur so. Ich bin nur zufällig darauf gestoßen, als ich in der Schiffsbibliothek gestöbert habe. Es gibt eine Menge Geschichte, die ich aufholen muss. Und ich möchte gerne viel über Terra lernen.”
Gobani nickte zustimmend “Das kann ich mir vorstellen.”
Vijar unterbrach das Gespräch der zwei: “Kaptan, wir erreichen jetzt den niedrigen Orbit und fliegen dann die Landekoordinaten an.”
“Sehr gut, Yotenan. Machen Sie weiter.”
Vijar gab ein Zeichen, dass er verstanden hat. “Sehen Sie, Kaptan? Was habe ich gesagt? Ganz ohne…” Seinen Satz brachte er nicht mehr zu Ende, da er von einem dumpfen Knall unterbrochen und aus der Fassung gebracht wurde. Offensichtlich ein weiterer Meteorit, den das Perimeter-System nicht erkannt hat.
“Ganz ohne was, Yotenan Vijar? Was wollten Sie sagen?” fragte Gorbani spöttisch.
Vijar hob einen Zeigefinger. “Fast ganz ohne einen Zusammenstoß!”
“Aha. Was sagen die Berichte?
Vijar winkte ab. “Der Schaden ist minimal. Der hat nur eine winzige Delle in die innere Hülle gemacht. Das kriegen wir schon wieder hin.”
“Naja gut. Fliegen Sie weiter und behalten Sie bitte Recht mit Ihrer Aussage, Yotenan”, sagte der Kaptan und lehnte sich zurück in den Sitz.
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Der Adler flog eine halbe Umrundung und bremste dann für einen Sinkflug ab, bis sie einige hundert Meter über der Oberfläche waren und schließlich die Landekoordinaten erreichten. Die Beschaffenheit der Oberfläche konnte man getrost ‘Mondlandschaft’ nennen, denn sie war, bis auf die rote Färbung des Himmelskörpers, sehr mit der von Luna vergleichbar. Milliarden von kleinen bis großen Kratern übersäten den kleinen Planeten. Dazwischen sah man Klüfte und uralte eingestürzte Lavakeller und -Röhren. Unterbrochen wurde diese Landschaft nur von einigen riesigen Grabenbrüchen, in denen das Land mehrere Kilometer in die Tiefe hinabstieg und nach langer Flugzeit erst wieder zu sehen war. Der Planet war vor Urzeiten mal tektonisch aktiv, doch diese Zeit ist längst vorbei. Berge, zumindest solche, die durch Kontinentalplatten entstanden sind, waren kaum mehr zu sehen. Alle waren sie von den abermilliarden eingeschlagenen Meteoriten abgetragen und nahezu geebnet worden.
Für Erdenmenschen wie Jahan Gorbani oder Manu Vijar, war der Planet ein phänomenales und skurriles Spektakel und das merkte man ihnen an. Für Weltraumleute wie Mohamed Li hingegen war er ziemlich eintönig und kaum der Rede wert.
Nahe der Koordinaten sahen die Astronauten Strukturen, die wie ein altes Landefeld aussahen. Sie befanden sich neben einer Rille, die in eine eingestürzte Lavahöhle überging.
Der Adler bremse ab und flog langsam auf Antwans Anweisung hinein in das Skylight. Die Öffnung in der Höhlendecke war mehrere hundert Meter breit und die Decke warf einen extrem harten Schatten. Während das Licht von Genet blendend hell war und sämtliche Formationen auf dem Planeten nur durch einen Filter gesehen werden konnten, sah man dort wo sie nicht schien absolut gar nichts und helle Scheinwerfer waren vonnöten um in der riesigen Höhle irgendetwas erkennen zu können.
Mit größter Sorgfalt navigierte Yotenan Vijar das Schiff und zusammen mit Antwan fanden sie schließlich eine gut versteckte, aber eindeutig künstliche Struktur inmitten der Höhle. Eine alte Raumbasis der allerersten Siedler, wie es schien. Es war schwer zu erkennen, da einige der modularen Segmente von Staub und Trümmern begraben lagen, aber die Basis sah weitestgehend intakt aus. Nun bestand noch die Frage, ob sie auch aktiv und bewohnt war. Höhlen und andere vor den Strahlen geschützte Bereiche waren in der Frühzeit der Raumfahrt ein beliebter Ort, um Basen zu bauen, lange bevor es die entsprechenden Technologien zum Schutz davor gab. Die erbarmungslose Sonne Genet muss den frühen Siedlern wirklich sehr zu schaffen gemacht haben, wenn sie eine Venus-artige Welt wie den vierten Planeten von allen im System bevorzugten.
Langsam schwebte der Adler in die Nähe einer der Schleusen der Basis und setzte auf. “Der Adler ist gelandet!” sagte Vijar und fuhr das Dockmodul aus der Seite des Bootes.
Das Morph-Material berührte das Schleusentor und verformte sich, bis es dieses vollständig luftdicht umschloss. Auf Befehl des Kaptans landeten die anderen zwei Adler auf der Plattform vor der Basis und warteten, bis sie die Lage geklärt haben. Dann begaben sich Antwan, Gorbani, D5, Li, sowie einige Techniker, Sicherheitsleute und medizinisches Personal zur Schleuse, während Vijar und die Piloten zurückblieben. Antwan und ein Techniker versuchten, das alte Terminal der Schleuse zu bedienen und den Innenraum unter Druck zu setzen. Danach konnten sie sie erfolgreich öffnen. Die Astronauten traten ein, Kaptan Gorbani voran. Die Basis hatte keine künstliche Gravitation, wie sie an der Schwelle zwischen dem Dock und der Luftschleuse der Station merkten. Nur die schwache echte Gravitation des Planeten und die Stiefel ihrer Raumanzüge, die ihre eigene Anziehungskraft generieren konnten, hielten sie am Boden. Kurz nach dem Tor erreichten sie einen Raum, in dem sich mehrere leere Suitports befanden. Mit ihnen konnte man aus seinem Anzug direkt in die Basis einsteigen, um möglichst wenig von dem gefährlichen Regolith der Planetenoberfläche mit in die Basis zu nehmen. Allerdings war nur einer angeschlossen, der ähnlich aussah, wie der alte von Antwan, und damit an die uralten Ritterrüstungen der frühen Raumfahrt erinnerte. Die anderen Ports waren alle verschlossen. Auf ihrer linken Seite befand sich ein Kontrollraum, der mit einer Glasscheibe von der Schleuse getrennt war.
Der Raum diente also sowohl als Port für Schiffe, als auch als Ein- und Ausgangspunkt für Außenaktivitäten. Für Jahan war es nun eindeutig, dass es sich bei der Basis um ein marsianisches Design handelte, so ähnlich wie viele der anderen verlassenen Basen und Schiffe, die sie auf dem Weg nach Genet gesehen hatten. Der Baustil, die altmodischen weiß-blauen Wände und die niedrige Technologiestufe, die der allgemeinen Isolation hier draußen geschuldet ist, sprach dafür. Das erklärte dann wohl auch die Einflüsse aus dem Marsianischen Mirikía in der Sprache von Antwan und wahrscheinlich auch den anderen Siedlern.
Zwar machten sich Abnutzungserscheinungen wie Oxidation machten sich auf den Metalloberflächen in diesem Raum bemerkbar und einige Lichter waren nur noch schwach oder leuchteten gar nicht mehr, aber man erkannte auch, dass die Basis seit kurzem wieder in reger Benutzung war. Im Kontrollraum befanden sich Dinge wie eine Tasse, die vielleicht mal gespült werden sollte, sowie eine Art Bilderband mit Arabischer Schrift darauf. Sie konnte die Schrift lesen, allerdings nicht die Sprache. Vermutlich ihre Version eines Magazins, allerdings auf einer Art Papier gedruckt. Ebenso war dort ein Papier, das wohl eine Liste zu beinhalten schien, auf der Namen handschriftlich notiert waren. Die unsaubere Schrift konnte Jahan nur schwer über Kopf lesen, aber neben den Namen auf der Liste – wahrscheinlich ein Manifest – standen noch weitere Dinge, die Jahan jedoch nicht verstand.
Entgegen der Erwartung befand sich kaum Staub auf dem Boden unter ihnen, was eine Erleichterung war, denn die Dekontaminationsmittel ließen zu wünschen übrig. Der Kaptan konnte nicht anders, als dankbar für den Luxus zu sein, dass die Kupe Schleusen hatte, die gefährliche Stoffe direkt auffangen und neutralisieren konnte. Hier hatten sie allerdings nur Luftdruckpistolen, eine UV-Lampe und Isopropanol in Kanistern. Chemische Neutralisatoren oder Erosoren gegen scharfkantigen Staub suchte man hier vergebens.
“Wartet, ich mache euch auf”, sagte Antwan, gab etwas an einem der Suitports ein, die sich prompt öffneten. “Inkompatible Raumanzüge. Wer hätte gedacht, dass das die Herausforderungen sind, die unsere Mission parat hält”, scherzte Li.
“Kommt mit. Wir sind ja nicht draußen gewesen und haben keinen Staub von dort mitgenommen. Sollte also halb so wild sein.” Antwan trat über die gelb-schwarz gestreifte Stufe durch die Luke und die anderen folgten. Danach befanden sie sich in einem länglichen Raum, an dessen Seiten sich Düsen befanden.
"Tut mir leid, dass die Dekon ist nicht mehr intakt ist. Aber bei den maroden Dingern… Ich äh… gehe davon aus, dass ihr vor dem Abflug ordentlich gescreent wurdet?” Seine Miene verdüsterte sich und er sagte ernst: “Das will ich doch hoffen, nicht dass ihr meine Leute ansteckt oder umgekehrt.”
Von seiner Reaktion verunsichert, sahen die Astronauten erst den Kaptan und dann Doktor D5 an.
“Ich mache nur Spaß!” sagte Antwan prompt darauf und lächelte. “Ich vertraue einfach mal eurer hochentwickelten Medizin. Bitte wartet noch einen Moment. Gleich will ich euch vorstellen.” Er öffnete eine Tür, die zum Kontrollraum führte und aktivierte etwas, das ein Interkom zu sein schien. Dann begann er, mit jemandem in einer umgangssprachlichen Version von Yaswech zu sprechen. Er grüßte die Person herzlich und berichtete von dem Besuch, der gleich kommen würde. Gorbani konnte sich nicht verkneifen, daran zu denken, wie ähnlich diese Person doch Yotenan Vijar in manchen Aspekten war. In der Zwischenzeit begann sie damit, ihren Helm auszuziehen und tat es damit ihren Untergebenen vor. Die Luft war stickig, aber durchaus atembar, bedachte man, wie alt die Sauerstoffanlage war.
Als Antwan mit seinem Anruf fertig war, zeigte er ihnen, ihm zu folgen. Sie gingen durch mehrere röhrenförmige Gänge, bis sie zu einem geschlossenen Schott kamen.
“Ich würde euch bitten, etwas zurückzubleiben. Ihr müsst verstehen, ihr seid ihnen fremd und Uniformen könnten ihnen etwas… Angst machen, wenn ihr versteht. Bitte seid nicht beleidigt.”
Jahan schüttelte den Kopf, so gut es in dem Anzug ging. “Das verstehen wir.”
Antwan nickte und begann, sich mit der Tür zu beschäftigen. Er kämpfte erst damit, sie zu öffnen und fluchte dabei leise, so zumindest die Interpretation der Crew. Schließlich gelang es ihm und ein großer erhellter Raum eröffnete sich der Gruppe. Und tatsächlich, Antwan hatte nicht gelogen. Hier befanden sich so einige Menschen, die keineswegs Gesetzlose sein konnten. Nicht nur Erwachsene waren hier, sondern auch Jugendliche und Kinder, die zwischen Kisten Verstecken spielten und umherturnten. Andere Menschen spielten Karten, kochten etwas auf mobilen Kücheneinheiten oder wärmten sich einfach nur daran.
Als die Ersten Antwan sahen, erheiterten sich ihre Gemüter. Mehrere Männer grüßten und ein Kind rannte sogar zu ihm und fiel ihm in die Arme. Danach gab er den lächelnden Erwachsenen und Jugendlichen der Reihe nach Handzeichen und Umarmungen und fragte, wie es ihnen ergangen sei. Seine Ankunft löste ein reges Treiben aus und er wurde schnell zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die jedoch schnell von den uniformierten Gästen übernommen wurde, die langsam durch das Schott nachfolgten.
“Hört her!”, sagte Antwan in die Gemeinschaft, als er merkte, wie ruhig es dann doch durch die Crew der Kupe wurde. “Ich habe Freunde mitgebracht. Sie werden uns helfen, unser Paradies zu erreichen. Mit ihrer Hilfe werden wir schneller eine neue Heimat finden und aufbauen können. Sie haben ein großes Schiff und es ist schnell.” Er unterstreichte seine Aussagen mit ausladenden Gesten.
Er zeigte Kaptan Gorbani, sich zu ihm zu stellen. “Habt keine Scheu vor ihnen. Sie sind sehr freundliche und hilfsbereite Menschen und unserer Sache wohlgetan.”
Gorbani trat langsam hervor und sah in die gespannten Gesichter der Siedler. Dann sagte sie im besten Yaswech, das sie zustande brachte: “Seid gegrüßt. Mein Name ist Jahan Gorbani und es ist schön, euch alle kennenzulernen. Unser Freund Antwan hier…”, sie zeigte auf ihn, “…hat mir von eurem Traum erzählt und dass ihr eine neue Heimat finden wollt. Und wir wollen euch dabei helfen.”
Unsicheres Gemurmel machte sich breit. Die Menge war skeptisch.
“Wir würden uns freuen, euch für die Fahrt nach Kena’an willkommen zu heißen. Zuvor möchten wir uns allerdings von eurer Gesundheit versichern. Solltet ihr irgendwelche Krankheiten oder Verletzungen haben, werden wir euch gerne unterstützen.”
“Glaubt mir, sie meinen es gut. Diese Menschen sind wirklich umwerfend! Und das Essen, das sie kochen. Oh, ich sage euch, etwas Besseres gibt es nicht!” Dass Antwan das Essen mochte, hatte er gezeigt, bei der Menge, die er auf dem Schiff vertilgt hatte. Die Leute schienen der Crew der Kupe nun positiver gesinnt zu sein.
Einige Zeit später begannen Doktor D5 und die medizinischen Kräfte die Kolonisten vorsichtig zu untersuchen. Die Bewohner dieses Systems kooperierten mit ihnen. Viele waren erstaunt, wie gut die Fremden, die angeblich von der Erde waren, ihre Sprache sprechen. Sie hatten viele Geschichten über die Erde gehört und es erweckte den Eindruck, dass sie für sie einen mythischen Charakter für sie hatte.
Doch nicht alle waren so bereitwillig. Ein Kind zum Beispiel schien Angst vor dem Androiden D5 zu haben. Bestimmt hatten die Menschen hier noch nie SAI in ihrem Leben gesehen. Während ihre Merkmale für die Erwachsenen jedoch höchstens eine Kuriosität waren, war das junge Kind von D5s Fehlen von Haaren, sowie ihrer unnatürlich schneeweißen Hautfarbe, die in starkem Kontrast zu der der Kolonisten stand, etwas verängstigt.
Auch D5 merkte dies und sagte zu dem Kind in seiner Muttersprache: “Pass auf, ich bin eine Zauberin. Willst du einen Zaubertrick sehen?”
Das Kind sah zu seinen Eltern, die es lächelnd ansahen, dann nickte das Kind.
“Okay”, sagte D5 und erschuf hinter ihrem Rücken eine holografische silberne Münze, ließ sie durch ihre Finger gleiten und in ihren Händen verschwinden. Dann wirbelte sie mit ihren Händen um das Gesicht des Kindes herum, holte auf geschickte Weise insgeheim die Münze so hervor, dass das Kind sie nicht bemerkte und tat so, als würde sie sie hinter seinem Ohr herausholen.
“Oh? Was haben wir denn da?” fragte D5 theatralisch. “Du solltest dein Geld besser verwahren.”
Das Kind zeigte kaum eine Reaktion. Falls eine Münze überhaupt etwas war, was man in ihrer Kultur kannte, war sie dennoch ziemlich unspektakulär für das Kind.
“Hmm, du hast Recht. Eine Münze ist nicht so beeindruckend. Vielleicht kann ich davon etwas schönes kaufen”, meinte D5 und schnipste sie sie hoch, fing sie mit beiden Händen und drückte sie ganz feste. In dem Moment, als sie die obere Hand hochhob, kam darunter ein holografisches Ei mit einem bunten Muster zum Vorschein.
“Ui, na schau mal einer an, ein Ei! Jetzt ist bloß die Frage, was da drin ist.” Sie schüttelte das Ei erst an ihrem Ohr, dann an seinem. “Wahrscheinlich ein Tier. Habt Ihr überhaupt Tiere, wo du herkommst?
“Das Kind schüttelte den Kopf.
“Wirklich? Gar keine Tiere?” fragte sie gespielt schockiert. “Sollen wir es ausbrüten?”
Das Kind nickte und strahlte dabei.
D5 umschloss das Ei fest, sodass es nicht mehr sichtbar war und hielt es dem Kind hin.
“Dann musst du einmal pusten”, sagte sie und in dem Moment als es das tat, öffnete sie ihre Hände und ein kleines Vögelchen mit einem besonderen Federmuster kam darunter zum Vorschein.
Das Kind lachte aufgeregt, sichtlich beeindruckt von dem Trick. D5 übergab das zwitschernde Vögelchen, welches von ihrer mechanoiden Hand auf die des Kindes sprang und seinen Weg auf dessen Schulter bahnte.
Die Erwachsenen taten ebenfalls erstaunt, man merkte aber, dass sie dies vor allem für das Kind spielten und diese Art von Tricks nicht unbedingt etwas wirklich Neues für sie waren.
“Den darfst du gerne behalten, aber dafür musst du etwas für mich tun. Ich möchte dich untersuchen. Das heißt, dass ich nachschaue, ob dein Körper gesund ist. Und das mache ich hiermit.” Sie nahm einen medizinischen Scanner hoch und zeigte es ihm. “Es tut nicht weh. Schau!” Sie wandte den Scanner auf sich selbst an und die Lichter durchfluteten ihren Körper.
“Oh-kee”, erwiderte das Kind schüchtern.
D5 sah die Eltern an, die zustimmend nickten. Dann führte D5 mit dem Scanner Untersuchungen durch und das Kind lachte jedes Mal, als die Lichter seine Haut berührten.
Erstaunlich, wie schnell die Eltern den Fremden vertrauten, dachte Gorbani.
So entstand ein reger Austausch zwischen den beiden Gruppen. Nur Antwan sah leicht nervös aus, vor allem als er die Mediziner beobachtete. Allerdings war Gorbani froh, dass zumindest Li sich bei der ganzen Sache etwas entspannte, da es hier zum Glück kaum Reibungspunkte gab.
Allmählich wurde es für die Kolonisten dann Zeit, auf das Beiboot der Kupe überzugehen. Sie nahmen die Innenfracht der Kolonisten nach und nach mit herüber. Manche Kisten waren ziemlich schwer durch die Gänge zu bekommen, allerdings wollte man vermeiden, die versehrten Dockhangare der Station zu verwenden, die eigentlich für einen solchen Austausch gedacht waren, da man sich, was ihre Integrität anging, nicht sicher war. Sodann wurden dann auch alle Habseligkeiten der Kolonisten übertragen, genauso wie die Außenfracht, die abseits der Basis in einem geschützten Bereich auf den Landepads gelagert wurde. Als die letzten Kolonisten allmählich die Basis verließen, überprüften sie, ob sie alles, was von Wert oder Nutzen war, mitgenommen hatten. Einige der Kupe, inklusive Kaptan Gorbani, verblieben ebenfalls noch.
“Was sagen Sie, Yotenan Li? Geht von den Kolonisten eine Gefahr aus?”
Li setzte sich auf eine leere Kiste, zog sich seine HAVI-Brille aus und rieb sich die Augen. “Nun, meiner Einschätzung nach nein. Mein Misstrauen war wohl am Ende unbegründet. Die Kolonisten machen mir keinen verängstigten Eindruck, sie sind wohlgenährt und voller Hoffnung.”
Jahan nickte. Sie war zwar nicht der Ansicht, dass Li dem vermeintlichen Anführer wirklich etwas abgewinnen konnte, aber immerhin sah er keine Bedrohung mehr in ihm.
“Kaptan?” Doktor D5 hielt eine Datentafel, als sie die anderen beiden antraf.
“Was gibt es, Doktor?”
“Ich habe etwas Interessantes über die Bewohner hier herausgefunden. Schauen Sie. Viele dieser Bewohner, also fast alle, haben genetische Anomalien. Bei manchen ist es besonders ausgeprägt und ich habe Grund zur Annahme, dass es sich dabei um die Überbleibsel von Genmanipuation handelt. Bei den jüngeren Mitgliedern sieht man es noch am deutlichsten.”
“Genmanipulation?” fragte der Kaptan mit gespielter Ruhe. “Wissen Sie denn, was die Auswirkungen dieser Manipulation sind?”
D5 schüttelte den Kopf. “Nein, leider nicht. Dazu fehlen mir Informationen. Ich weiß nur, dass diese Anomalien allerhöchstens ein oder zwei Generationen alt sind und dass sie sich alle sehr ähneln.”
“Macht sie das zu einer Gefahr für uns?” fragte Li.
“Soweit ich das beurteilen könnte, wüsste ich nicht warum, aber ich kann mich auch irren, da ich noch nicht genug Daten habe. Was ich damit meine ist, dass wir die Folgen nicht abschätzen können. Daher erzähle ich euch davon, auch wenn ich weiß, dass das grenzwertig ist, ohne deren Zustimmung. Aber möglicherweise ist die allgemeine Gesundheit der Siedler gefährdet und das sollten Sie wissen.”
“Ich verstehe, Doktor. Wir werden ein Auge darauf behalten.”
“Wir wissen aber auch nicht viel über deren Kultur”, sagte Li. “Vielleicht ist Genmanipulation ja etwas Normales für sie. Hier draußen, wo die Menschen ganz andere Bedingugnen zum Leben und Überleben vorfinden, wird es sicher positiver gewertet, ihren eigenen Aufbau zu beeinflussen. Ich weiß, ich schließe jetzt damit von meiner eigenen Kultur auf andere, aber bei den Raumnomaden ist das zumindest so.”
“Das macht definitiv irgendwo Sinn”, meinte D5, während sie zu einer grübelnden Haltung überging. “Menschen sind biologisch nicht auf das Leben im Raum angepasst, geschweige denn auf anderen Planeten. Dadurch sind sie einem großen evolutionären Druck ausgesetzt. Wenn man die Möglichkeiten hat, seinen Nachkommen das Leben leichter zu machen, indem man die Evolution von vornherein in die richtigen Bahnen lenkt…”
“Sonst lägen dazwischen zig Generationen, die extremen Widrigkeiten ausgesetzt sind, bis man die richtige Mutation hat, also kürzt man es lieber ab”, ergänzte Li.
Gorbani seufzte. “Das mag vielleicht sein, aber Genmanipulation ist kein Thema, mit dem leichtfertig umgegangen werden soll. Jeder Eingriff ist ein Schritt auf neues Gebiet. Du weißt im Zweifel nicht, welche Konsequenzen dies haben kann.”
Li nickte. “Da stimme ich Ihnen zu, Kaptan. Eingriffe können Unerwartetes mit sich bringen, aber ich denke, D5 hat auch Recht. Selbst wenn bei einem Eingriff Krankheiten mit sich kommen und das Kind darunter leidet, kann es genauso gut unter den Bedingungen des Raums leiden, wenn sein Körper darauf nicht angepasst ist.”
“Und wen beschuldigt man, wenn es schief geht?” Gorbanis Stimme wurde angespannter. “Es sind immerhin nicht Sie, die diese Entscheidung für sich selbst treffen können, sondern andere. Und mit den Konsequenzen der Entscheidungen anderer müssen jene ein Leben lang klarkommen. Ganz davon abgesehen, dass es dann nicht nur auf eine Person beschränkt sein wird.”
Li lachte kurz. “Tja, ich bin meinen Eltern dahingehend nicht böse, aber ich wünschte, sie hätten an mir vielleicht damals ein zwei Dinge angepasst, mit denen ich mich heute abfinden muss. Und das geht leider vielen ähnlich. Ich meine, ich kenne da…”
“Vielleicht ist das Ihrer Erfahrung nach so, aber es grenzt trotzdem an Körperverletzung”, unterbrach sie ihn. Sie kämpfte damit, ihre Ruhe zu bewahren. Nach einem tiefen Durchatmen sagte sie: “Ich denke, wir sollten die Diskussion hier beenden und langsam aufbrechen. Wir haben hier schon zu viel Zeit verstreichen lassen.”
“Kaptan, das…?”
“Gibt es denn noch etwas, Yotekom?”
Li verharrte für einen Moment und tauschte einen flüchtigen Blick mit D5 aus. “Ähm, nein Kaptan. Es ist nichts Wichtiges mehr…”, erwiderte er, sichtlich von der Situation aufgebracht, so als wüsste er nicht, ob er etwas falsch gemacht hätte, bedachte man auch die Situation auf der Brücke. Aber er schluckte seinen Ärger scheinbar herunter.
“Alles klar, dann zurück zum Adler allesamt!” sagte sie und trat ab.
Die Astronauten sammelten das Wenige zusammen, das sie mitgenommen hatten und machten sich mit den letzten Nachzüglern zurück zum Adler. Doch währenddessen beschlich Gorbani bereits ein schlechtes Gefühl über die Situation. Je mehr sie sich beruhigte, desto mehr begann sie, darüber zu reflektieren. Dennoch war dies etwas, worüber sie nicht jetzt grübeln konnte, daher schob sie die aufkeimenden Gedanken auf und konzentrierte sich auf die Arbeit vor ihr. Sie würde es irgendwann vielleicht nochmal mit dem Yotekom besprechen. Allerdings hatten sie jetzt noch Kolonisten zu transportieren.
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Diesmal verlief der Flug vollständig ohne Zwischenfälle. Ein Umstand, auf den Yotenan Vijar im Nachgang zu oft aufmerksam machte. Die Kolonisten und ihre Fracht wurden erfolgreich auf die Kupe verladen und es entstand ein reger Austausch zwischen ihnen und der Crew. Ältere wie Jüngere Kolonisten lauschten gespannt den Geschichten, die die Terraner zu erzählen hatten und umgekehrt. Beide Seiten hatten eine Menge aufzuholen. Und auch wenn manche Aspekte der Terranischen Kultur für sie neu und gewöhnungsbedürftig waren, wie zum Beispiel die Existenz von SAI, die als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft angesehen werden sollten, war der Austausch sehr freundlich und verlief dank der guten Vorarbeit, die die Kommunikationsabteilung mit Antwan zusammen geleistet hat, ohne sonderliche Zwischenfälle.
Das marode Transportschiff, mit dem die Bewohner eigentlich nach Kena’an transportiert werden sollten, ließen sie bei der Basis zurück. Man konnte sicherlich nicht einmal zählen, wie viele Sicherheitsstandards dieses Relikt vergangener Zeiten für heutige Verhältnisse bricht. Es hatte nicht mal einen einfachen Raumzeitantrieb, sondern nur antike chemische Triebwerke, sodass die Besatzung der vollen Gnadenlosigkeit der Physik ausgesetzt gewesen wäre, wollten sie damit starten.
Auf der Brücke wurden die letzten Checks für den erneuten Start der Kupe durchgegangen. Der dritte Offizier Yotekom Li, der aktuell noch das Kommando über die Brücke hatte, stand auf, als er die Aufzugtür hörte.
Gemäß seiner Erwartung kam der Kaptan in Folge von Komander Lashenko, sodass Li ein lautes “Kaptan auf der Brücke!” rief.
Gorbani gab das Zeichen zum Weitermachen und sagte, wie sie es mittlerweile für gewöhnlich tat: “Ich übernehme, Yotekom. Gute Arbeit.”
Li nickte und wollte sich gerade auf seinen eigenen Posten begeben, da sah er, wie sich die Aufzugtüren ein weiteres Mal öffneten. Yotekom Nikos stieg gefolgt von Antwan auf die Brücke und als Li ihn sah, ging dieser direkt auf ihn zu.
“Entschuldigen Sie bitte, aber Sie dürfen sich hier nicht aufhalten. Dieser Bereich ist Zivilisten nicht gestattet”, sagte er und hob seine Hand in aufhaltender Geste.
Antwan sah ihn mit Überraschung an, dann ging der Blick wieder in einen ruhigen Ausdruck über. Lis ungutes Gefühl hatte sich bisher noch nicht beruhigt.
“Ich muss Sie leider bitten, dieses Deck zu verlassen”, fuhr er fort.
Antwan hob beide Hände zur Beschwichtigung. “Es ist schon gut, mein Freund.”
Die letzten zwei Worte hatten das Gegenteil der gewünschten Wirkung.
“Der überaus zuvorkommende Kaptan hat mir zugesichert, dass ich mich euch hier oben zur Unterstützung anbieten darf. Ich muss sagen, euer Schiff erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Ich habe noch nie so eine Technik gesehen.” Antwan ließ seine Sicht um sich herum wandern, als wäre er in einem Museum.
Li sah zu Kaptan Gorbani und erfragte mit einem Blick, ob dies stimmte.
“Es ist in Ordnung, Yotekom. Antwan hat die Erlaubnis, hier zu bleiben und uns auf dem Weg nach Kena’an zu unterstützen.”
“Ich bin hier schon sehr oft geflogen und kenne das Sternensystem ähm… Wie sagt ihr nochmal? Ah, wie meine Westentasche. Was auch immer eine Westentasche ist.”
Li sah den Kaptan fragend an. Sicher verstand sie, dass er davon nicht begeistert war, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als den Befehlen zu gehorchen. “Nun gut, Antwan. Wir sind zwar schon einmal dort gewesen, von daher denke ich, dass wir klarkommen werden, aber wenn der Kaptan das sagt, dann geht es in Ordnung”.
“Ich danke dir vielmals für dein Vertrauen, ähm… Wie war nochmal…”
“Li. Yotekom Li,” sagte er.
“Ah natürlich. Yotekom Li.”
Er gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er Antwan im Auge behalten würde. Jener begab sich langsam von Li fort und seine Aufmerksamkeit ging auf die Anzeigetafeln über. Glücklicherweise haben sie ihm noch keine eigene HAVI-Brille gegeben, sodass der Text für ihn wahrscheinlich nicht lesbar war, allerdings schien er sich sowieso eher für die Morph-Hologramme an sich zu interessieren, als ihren eigentlichen Informationsgehalt, was gut war.
Kaptan Gorbani drehte sich nach einem letzten Blick Richtung Li um und ging danach zum Sessel des KOs. Lashenko, der den Yotekom keines Blickes würdigte und Antwan eher amüsiert ansah, setzte sich auf den Sessel daneben. Li merkte, dass diese beiden Offiziere aus einem akademischen Bereich kamen und nicht aus einem militärischen, beziehungsweise wie Li aus dem Justizvollzug. Auch wenn dies bei Aurora nichts ungewöhnliches war, sollte man seiner Meinung doch trotzdem ein Mindestmaß an Sicherheitsgespür haben und jemanden wie Antwan nicht hier herumlaufen und Offiziere bei der Arbeit stören lassen.
Die Brückencrew bereitete das Schiff auf den nächsten Sprung vor und durch Lis wachsames Auge konnte der Schaden, den Antwans Neugier anrichten konnte, in Grenzen gehalten werden. Gelegentlich musste sich Antwan einen mahnenden Blick von ihm gefallen lassen, da er es nicht lassen konnte, ein paar der Hologramme hier und da anzufassen.
Nachdem alle Systeme auf Go standen, wollte Kaptan Gorbani gerade den Befehl zum Abflug aus dem Orbit geben, wurde allerdings von Yotekom Nikos unterbrochen.
“Kaptan, vielleicht sollten Sie noch warten. Ich erhalte gerade eine Nachricht.
“Eine Nachricht?” fragte Gorbani überrascht. “Herkunft?”
Nikos hielt inne und überprüfte die Richtung erneut. “Es… sieht ganz danach aus, als wäre es ein Schiff.”
Li sah, wie Antwans Gesicht jegliche Freude verlor und sein Gespür wurde immer lauter. Irgendetwas war hier nicht richtig.
“Ein Schiff? Hm, sieht ganz danach aus, als hätten uns die Bewohner des vierten Planeten entdeckt. Na dann, Zeit, dass wir auch mit ihnen in Kontakt treten. Öffnen Sie…”
“Nein!” unterbrach Antwan sie.
“Nein? Was meinen Sie damit?” Gorbani sah Antwan sichtlich überrascht an, als er auf sie zugelaufen kam.
Li hielt seine Handwaffe griffbereit.
“Kaptan, bitte! Um alles in der Welt, antworten Sie nicht auf diesen Anruf. Diese Menschen…”
Gorbani drehte ihren Stuhl langsam zu ihm. “Ja? Was ist mit diesen Menschen?”
“Sie dürfen Ihnen auf keinen Fall trauen. Bitte, lassen Sie uns einfach weiterfliegen. Ansonsten sind wir alle in Gefahr!”
“Warum sind wir dann in Gefahr, Antwan? Das würde mich jetzt auch sehr interessieren”, sagte Li, so wie es ein Polizist tun würde und bewegte sich langsam auf Antwan zu.
“Diese Menschen sind Diktatoren. Tyrannen, die eine Herrschaft der Gewalt ausüben. Vor denen sind wir nicht sicher.”
“Und warum das?” Komander Lashenko verschränkte die Arme. “Was genau habt ihr vor ihnen zu befürchten?”
Antwan sah die Offiziere an, die seinen Blick streng erwiderten. “Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ihr Menschen seid, denen man vertrauen kann, also werde ich es euch verraten. Meine Leute und ich, wir sind nicht wie andere Menschen von Eadan. Anders.”
“Inwiefern anders?” fragte Lashenko.
“Wir… nun, die Menschen, die ich von Eadan genommen habe, sie sind anders aufgebaut. Mehr angepasst an Strahlung und den Weltraum. Ich habe das Wort vergessen, welches Sie dafür nutzen, die biologische Beschaffenheit, Sie wissen schon…”
“Genetik?” versuchte der Komander ihm auf die Sprünge zu helfen.
“Ja, das war es. Unsere Genetik ist anders.”
“Und daher werdet Ihr von ihnen verfolgt?”
“Ganz genau.” Antwan gestikulierte nun sehr aufgeregt, was man ebenfalls an seiner angespannten Stimme merkte. “Unsere Genetik macht uns Schutz vor Strahlung, wodurch wir den Raum erforschen und besiedeln können. Ich schätze, genau das macht ihnen Angst. Angst, ihre Macht zu verlieren, da sie nicht die Vorherrschaft im Weltraum einnehmen können.”
“Machtstukturen basierend auf genetischen Eigenschaften, also. Und weil die Siedler die falschen Gene haben, werden sie zur Zielscheibe?”, sagte Lashenko leise. “Na großartig. Die Geschichte wiederholt sich mal wieder, auch wenn so etwas früher noch viel unbegründeter war. Aber das macht diesen Fall hier nicht besser.”
Li schüttelte den Kopf. “Einen Moment mal, das haben Sie uns verschwiegen!? Wieso erfahren wir das erst jetzt? Wenn das wahr ist, sind wir nun genauso auf der Zielscheibe eines Regimes. Wissen Sie überhaupt, in welche Gefahr Sie uns damit gebracht haben, Antwan?”
“Bitte verzeiht mir, dass ich euch dies vorenthalten habe, aber in unserer Position müssen wir Vorsicht haben. Es…” Er seufzte. “...tut mir wirklich sehr leid. Es war eben sehr wichtig, dass wir den Übertritt auf Kena’an schaffen, denn da sind wir vor ihnen sicher.”
“Verdammt nochmal, ich wusste doch wir hätten dir nicht trauen dürfen.”
“Geht es Sie etwa nichts an, was mit verfolgten Gruppen passiert? Vielleicht mögen Sie es nie erlebt haben, aber hier draußen ist das die Wirklichkeit.”
Antwans Appell an Lis Gewissen blieb vergebens. “Kaptan, bitte um Erlaubnis, unseren Gast unter Arrest zu stellen?”
“Nein, Yotekom. Warten Sie,” sagte Gorbani.
“Kaptan, diese Person hat uns hintergangen. Sie hat uns und unsere Crew bewusst in Gefahr gebracht und wir sollten dafür sorgen, dass sie keinen weiteren Schaden mehr anrichtet!”
“Das ist richtig, durch Antwan wurden wir in diese politische Angelegenheit involviert, aber ich fürchte, in dem Fall nützt er uns nichts, wenn er inhaftiert ist. Wir kümmern uns später um ihn. Jetzt sollten wir uns erst mal unseren Verfolgern annehmen.”
“Ich bitte Sie, fliegen Sie einfach weiter. Eurem Schiff können sie ohnehin sicher nichts anhaben”, flehte Antwan beinahe.
Gorbani saß einige Zeit im Kaptan-Sessel und dachte nach. Schließlich sagte sie: “Yotekom Nikos, bitte stellen Sie die Verbindung her. Setzen Sie den Fokus auf mich und schirmen den Rest ab.”
Antwan schwieg und sah nur noch zu, wie der Kaptan Kontakt mit dem Feind aufnahm. Er wirkte enttäuscht, doch gleichzeitig schien es auch so, als warte er ab, was der Kaptan wirklich vorhatte. Schließlich veränderte sich das Bild im vorderen Projektorbereich und das Profil einer Frau erschien darin. Sie hatte zusammengebundenes schwarzes Haar und trug eine Uniform, die für die Astronauten unbekannt war.
Sorge machte sich schlagartig in Antwans Miene breit. Es war klar, dass er diese Frau oder zumindest diese Uniform kannte.
“Dies ist Kaptan Jahan Gorbani von der ATS Kupe. Mit wem habe ich das Vergnügen?” Ihre Vorstellung wirkte höflich, aber nicht freundlich.
“Aya’ Khalil. Kommandantin der Ye’eadan-Raumflotte. Eure Schiffskonfiguration ist mir unbekannt.”
“Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Unsere Schiffskonfiguration ist Ihnen unbekannt, weil wir nicht aus diesem Sternensystem kommen.”
“Nicht aus diesem Sternensystem?” fragte sie und betonte es wie eine Aussage. “Wo kommen Sie denn her, wenn ich fragen darf?”
“Aus dem Sol-System.”
“Soso, das Sol-System also? Und wieso sollte ich Ihnen das abkaufen?”
Gorbani stieß einen stimmlosen Lacher aus und schüttelte dabei den Kopf. “Wieso ist das so abwegig? Wir sind im Auftrag der Terranischen Republik hier um zu Kolonien im weiten Raum neuen Kontakt herzustellen.”
“Mhm, also ihr seid nicht hier um Kriminellen Unterschlupf zu gewähren?”
Die Miene des Kaptans verhärtete sich. “Das wäre sehr beunruhigend, wenn wir das täten. Doch meines Wissens nach hat sich niemand hier an Bord meines Schiffs etwas zu Schulden kommen lassen. Wenn ich fragen darf, Kommandantin Khalil, um welches Verbrechen handelt es sich dabei?”
Khalil übergang ihre Frage. “Also, Sie behaupten, dass Sie aus dem Sol-System sind, das unzählige Lichtjahre weit entfernt ist. Wenn es dort wirklich noch Menschen gibt, sind diese sicherlich ziemlich anders als wir, während Sie allerdings mit mir perfektes Yaswech sprechen? Halten Sie das nicht für merkwürdig?”
“Eure Sprache ist sehr ähnlich wie eine andere, die im Sol-System noch gesprochen wird”, erwiderte Gorbani gekonnt.
“Mhm.” Die Frau war von ihrer Argumentation sichtlich nicht beeindruckt. “Vor einiger Zeit haben Sie mehrere Schiffe auf den dritten Planeten entsandt. Was haben Sie dort geladen?”
Gorbani schwieg einen Moment und wägte ab, was sie sagen sollte, aber die Kommandantin wartete nicht ab. “Aus welchem System auch immer Sie kommen mögen, das Transportieren von Menschen an Orte, die unsicher, gefährlich und nicht lebenserhaltend sind, ist hier strafbar.”
Verdammt! Sie wussten bereits von den Kolonisten. Wenn das, was Antwan sagt, wahr ist, dann sieht es schlecht für sie aus. Li glaubte nicht, dass eines der Schiffe der Kommandantin ihnen etwas anhaben könnte, allerdings würden Sie die Kolonisten jagen, sobald sie wissen, wo sie sich aufhalten. Als einziger anderer Planet, der annähernd habitabel war, würden sie schnell die richtigen Schlüsse ziehen. Die Bewohner müssten sich verstecken.
“Nun, ich kann Ihnen versichern, Kommandantin, dass wir niemanden an einen gefährlichen Ort transportieren und vor allen Dingen keine Kriminellen.”
Die Frau starrte Gorbani tief in die Augen. “Mhm. Bleiben Sie, wo Sie sind. Wir kommen an Bord und sehen uns dies selbst an.” Damit verschwand sie vom Projektor und das vertraute Bild der Sterne machte sich wieder breit.
“Das haben Sie ja geschickt eingefädelt. Sie haben uns direkt in den Ärger hineingeführt, sodass uns jetzt nichts mehr übrig bleibt, als zu beenden, was wir angefangen haben. Das ist von Anfang an Ihr Plan gewesen, oder?” schimpfte Li.
Antwan bestätigte ihn mit seinem Schweigen.
“Antwan…” setzte Kaptan Gorbani an, ohne den Blick vom Projektor zu wenden. Jener sah zu ihr auf. “Ist der zweite Planet für die Kolonisten sicher oder schicken wir diese Leute gerade in ihr sicheres Verderben?”
“Ja! Ja er ist sicher”, sagte er nach einigem Zögern und klang von der Frage regelrecht aufgebracht. “Kaptan, ich würde niemals meine Leute unnötig gefährden. Ja, der Planet hat seine Gefahren, aber das hat jeder.”
“Was ist mit der Strahlung und der Missernte? Gibt es da etwas, das Sie uns verschweigen?” fragte Komander Lashenko, der ihn anders als Gorbani interessiert ansah.
Antwans Augen weiteten sich und er schwieg.
“Lassen Sie mich raten, es gab keine Missernte, oder? Die Ye‘eadan sind für ihren Tod verantwortlich, stimmt’s?”
Der Einsiedler nickte betrübt und presste seine Fäuste zusammen.
Na großartig, dachte Li.
“Antwan, was mich noch viel eher interessieren würde, ist ob die Menschen dort auch vor ihr sicher sind. Wenn wir sie auf dem Planeten abladen, wird dieses Regime sie weiter verfolgen. Wenn sie schon einmal ein ganzes Dorf auslöschen konnten, Wie wollen sie sie vor ihnen schützen?” fragte Gorbani ihn.
Er hielt inne. “Diese Überfahrt haben wir lange geplant. Und in dieser Zeit waren wir nicht untätig, glauben Sie mir. Wir haben entsprechende Vorbereitungen getroffen, um auf unserer neuen Welt zu überleben.”
“Und diese Vorbereitungen reichen auch aus?” fragte der Komander.
“Sie haben mein Wort.”
“Ah. Und Sie glauben ernsthaft, dass uns dieses noch etwas wert ist?” fragte Li.
Der Kerl hat wirklich unglaubliche Nerven, jetzt noch Dinge zu versprechen.
“Ich sorge dafür! Es gibt unter der Siedlung Höhlen, wie… Bunker”, korrigierte er sich. “Wo ich Waffen gelagert habe. Da können sie sich fürs Erste verstecken und sich tot stellen, bis die Ye‘eadan eine andere Politik entwickeln. Sicherer als auf ihrem Planeten, wo diese Tyrannen sie verfolgen, sind sie allemal. Außerdem…” Er hielt inne. “…würden die Ye’eadan es in der Strahlung nicht aushalten. Ihre Atmosphäre hat sie weich gemacht. Einen Bodenangriff müssten wir nicht fürchten.” Er flehte Gorbani durch seinen Blick mit einer Leidenschaft an, die die Müdigkeit von damals, als sie ihn kennengelernt hatten, komplett verdrängte.
“Kaptan!” Ein Sicherheitsoffizier meldete sich zu Wort. “Es sieht aus, als setzen sie zum Waffenbeschuss an.”
“Schilde sofort verstärken!” rief Li.
Sie waren schon dabei, doch da war es bereits zu spät. Die Sensoren sahen aus der Richtung der feindlichen Schiffe etwas aufblitzen und keine Millisekunde später rüttelten die Crew mehrere Explosionen über die gesamte hintere Sektion des Schiffes verstreut durch.
“Schaden?” fragte der Kaptan.
Li sah sich das Modell des Schiffs und die eingehenden Meldungen an. “Geringfügig. Keine Verletzten. Der Feind hat Lasergeschütze abgefeuert und dabei den vorderen und hinteren Antrieb, sowie die Achsen des Warp-Rings angezielt. In dieser Intensität machen sie uns damit kaum ein paar Kratzer, allerdings besteht die Möglichkeit, dass dies nur Warnschüsse waren und nicht ihre gesamte Feuerkraft. Ich schlage vor, wir sollten von hier verschwinden und springen, bevor sie zu einem neuen Angriff ansetzen.”
“Sehe ich ebenso. Steuerpilot, Sprung vorbereiten!” befahl der Kaptan.
Der Pilot tat wie geheißen und machte ein paar letzte Einstellungen und Handgriffe, während das Summen der Maschinen im ganzen Schiff hallte. “Auf Ihr Zeichen, Kaptan!”
“Sprung!”
Der Himmel draußen verzog sich, während das Schiff sich mit konstanter Beschleunigung in Bewegung setzte. Wenige Zeit später erreichten Sie bereits die Lichtgrenze und die Ereignishorizonte entstanden vor und hinter dem Schiff. Sie reisten nun mit Überlichtgeschwindigkeit. Die Strecke zu Kena’an, für die das Licht mehrere Minuten gebraucht hätte, legten sie in Sekunden ab und bremsten kurz vor dem hohen Orbit des Planeten. In dieser Schnelligkeit auf so kurze Distanz zu fliegen erforderte extreme Präzision. Das Manöver war also nicht ohne Risiko, aber sie schafften es. Die Raumzeit außen normalisierte sich wieder und der Planet, den die Astronauten zu Anfang bereits besucht hatten, tat sich vor ihnen auf. Das atemberaubende Bild von Kena’an offenbarte sich den Astronauten erneut im Projektor vor ihnen, nachdem das Schiff wieder stillstand.
“Wenn wir davon ausgehen, dass sie Überlichtgeschwindigkeit und Raumzeitantriebe nicht kennen, werden wir sie überrascht haben, aber es wird sicher nicht lange dauern, bis sie unsere Position wieder ausfindig machen”, sagte Lashenko. “Wir müssen jetzt schnell sein.”
Gorbani nickte. “Geben Sie den Piloten Bescheid, dass sie sich bereit machen sollen.”
Der Komander erwiderte nichts. Er saß regunglos und in sich gekehrt in seinem Sessel und starrte auf Kena’an auf dem Projektorschirm vor ihm.
“Was haben Sie, Lashenko?” fragte Gorbani.
Er schüttelte den Kopf. “Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich kann nicht genau sagen was, aber ich habe das Gefühl, als würde hier einiges nicht zusammenpassen. Antwan verschweigt uns noch mehr.”
Gorbani hielt inne und sah ihren Kollegen und Freund in die Augen, während dieser jedoch weiterhin in Richtung der neuen Welt blickte. “Ich habe ein ähnliches Gefühl.” Sie setzte sich neu auf den Sessel. “Aber können wir es jetzt darauf ankommen lassen? Wir können nur mit den Informationen arbeiten, die wir aktuell haben. Und diese sagen uns, dass wir von einer Flotte Raumschiffe verfolgt werden, die die Bewohner gefangen oder tot sehen will. Wir müssen sie um jeden Preis beschützen.”
“Ich stimme Ihnen zu, Kaptan.” Einige weitere Sekunden hielt Lashenko inne, dann drehte er sich zu Gorbani. “Bitte lassen Sie Yotekom Li und mich mit Antwan in einem Schiff auf den Planeten landen.”
Gorbani nickte. “Dann machen Sie sich startklar. Wir haben nicht viel Zeit.”
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Die vier Adler starteten. Der Kaptan hatte Recht, dass die Flotte von Eadan nicht lange auf sich warten ließ. Schon bald spürte die Besatzung der Kupe mehrere Salven konzentrierte Laserschüsse, die die Hülle und die holografischen Schilde des Schiffs aber noch locker wegsteckten. Das größere Problem waren die Adler. Zwar würden sie nach ihren Berechnungen in jedem Fall einige Zeit brauchen, bis die Schiffe sie einholen würden, aber sie wussten nicht, welche Waffen die gegnerische Flotte noch hatte. Daher entschied man sich, die Schiffe über die Nachtseite des Planeten bis auf die Oberfläche an das gewünschte Ziel zu bringen, da diese Seite auch zur Flotte abgewandt war.
Lashenko und ein Pilot saßen nebeneinander zusammen mit Li und Antwan hinter ihnen im Cockpit des Adlers, der den Geschwaderführer bildete. Li ließ Antwan seit der Offenbarung nicht aus den Augen. Viele der Siedler waren verwirrt und stellten Fragen aufgrund der angespannten Situation, doch es blieb keine Zeit für Erklärungen.
Das Geschwader flog von Osten über die Nachtseite und näherte sich in abnehmendem Orbit der Oberfläche. Die Boote waren bereits einige Kilometer vor der Mesosphäre, als Lashenko plötzlich ein lautes Geräusch und den plötzlichen Verlust seines Gleichgewichtssinns spürte. Ein enormer Druck wirkte sich auf seinen ganzen Körper aus. Es vergingen Sekunden der Verwirrung. Anzeigen leuchteten rot auf, der Alarm ertönte und die Menschen im hinteren Abteil schrien. Bevor die Stimme des Bootes sagte, was passiert war, verstand Lashenko bereits. Sie wurden getroffen und rotierten nun rasant der Planetenoberfläche entgegen.
“Ein Feindbeschuss?” fragte Li unter Anstrengung.
“Nein! Das klang mir eher wie etwas größeres. Ein Asteroid mal wieder.”
“Verdammt, was ist das mit den Asteroiden bloß in diesem System!?”
Der Hautptpilot des Adlers im Sitz neben Lashenko hatte seine Hände nicht mehr am Steuer, sondern in die Luft erhoben. Der Komander wollte ihn bereits ermahnen, dass das hier keine Achterbahnfahrt war, kurz bevor die Offiziere realisierten, was mit ihm nicht stimmte.
“Er ist bewusstlos!” rief Lashenko zu Li, der den Piloten entsetzt für einige Sekunden anstarrte und verstand, dass nicht er selbst seine Arme hob, sondern die G-Kräfte des rotierenden Schiffs dies für ihn taten.
“Ich kann das Boot stabilisieren!”, sagte der Komander angespannt, als er sowohl gegen die G-Kräfte als auch gegen einen Würgereiz ankämpfen musste. “Aber der Asteroid hat uns direkt an den Antrieben getroffen. Wir sind vollständig im Sinkflug.” Er versuchte, die Stabilisatoren umzuleiten und die Rotation auszugleichen und er schaffte es, mit dem Steuer das Boot wieder in eine stabile Position zu bringen. Dennoch wagte er es nicht, sich zu freuen, denn der Planet kam ihnen immer näher. Er versuchte alles, den Einfallswinkel so flach wie möglich zu halten, doch es gelang nicht.
“Fertigmachen zum Aufprall!” rief der Komander in das Interkom des Bootes und wenige Sekunden später geschah genau dies.