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Aufbruch [DE]
Pilot 1 - Amrita

Pilot 1 - Amrita

Er pausierte seine Aufnahme. Hatte er Bedenken? Noch konnte er umkehren. Noch konnte er das alles hier abblasen und zurückkehren. Aber konnte er auch so weitermachen wie bisher?

Er montierte ein Panel unter dem Steuermodul seines Schiffs ab, griff einige Kabel und riss sie aus dem Schacht heraus. Damit war es zu spät, umzukehren. Seine Entscheidung war gefällt.

Er fuhr mit seiner Aufnahme fort: “Und liebe Sarah, ich möchte vor allem dir sagen, dass ich für dich immer nur Liebe empfunden habe…” Ein paar Sekunden Pause. “...Und es tut mir leid, dass ich dir das hier antue. Ich hoffe du verstehst. Was immer du tun wirst, ich respektiere es.” Dann schaltete er ab.

Er wusste genau, dass dies auch ihr Tod sein würde.

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Logbuch-Eintrag des Kaptans, 12. Februar ‘672:

Vor einigen Tagen haben wir menschliche Aktivität anhand von Radiowellen im Eravata-System verzeichnet. Den historischen Daten zufolge soll es in den späten ‘200ern ein Kolonieschiff gegeben haben, das in Richtung dieser Raumregion vorgestoßen ist. Da es zu dieser Zeit noch keine superluminaren Raumschiffe gab, müsste das Schiff etwa ein Jahrhundert gebraucht haben, um das System zu erreichen. Sollte es sich also tatsächlich um die Nachkommen dieser Raumfahrer handeln, könnten wir dort eine Kolonie vorfinden. Natürlich ist auch nicht auszuschließen, dass es sich auch um Astronauten aus jüngerer Zeit handelt. Die aktuelle Devise lautet, das System nach Signalen und anderen Zeichen künstlicher Natur abzusuchen.

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“Hey, Jahan! Na, Kaptan-Dinge am machen?” sagte Manu Chandra Vijar, ein Pilot, der vor kurzem erst in den Dienst der Aurora-Flotte getreten ist und in den Rang eines Ensin befördert wurde, mit der für ihn typischen Unverfrorenheit. Sie waren gerade im Begriff, ihre jeweiligen Posten auf dem geschäftigen Raumschiff aufzusuchen und trafen sich auf dem Gang.

“Vijar, ich habe Ihnen doch gesagt, während der Schicht sollen Sie mich siezen.”

“Ach komm, wir kennen uns seit der Uni. Muss das denn sein?”

Jahan Gorbani, der Kaptan dieses Raumschiffs, eine hochgewachsene Frau, sah Vijar mit verschränkten Armen in der üblichen Manier an, wenn sie ihn ermahnte.

“Ist ja schon gut”, sagte er und fügte demonstrativ ein langes “Kaptan!” dahinter.

“Vijar, Sie sind und bleiben eine Nervensäge.”

“Das war schon immer mein Job.”

“Möglich, aber Ihr Job ist es auch, mit Ihrem Team auf Bereitschaft zu sein.”

“Ich war gerade auf dem Weg zum Hangar.”

“Gut. Und ich zur Brücke.”

“Da fällt mir ein, ich weiß gar nicht, ob ich je auf der Brücke war. Würde es dir– ich meine Ihnen etwas ausmachen, wenn ich einen kurzen Abstecher auf die Brücke machen dürfte? Nur kurz. Ich bin danach auch direkt bei den anderen Piloten.”

“Warst du nicht schon in der Werft dort?”

“Ja, ber ich habe es noch nie so richtig in Aktion gesehen.”

Er formte seine Hände zu einer bittenden Geste.

Was konnte es schon schaden? Er mochte dieses Schiff. “Na gut”, sagte sie lächelnd. “Mach aber nichts kaputt, ja?”

“Ich passe auf. Dieses mal zumindest.”

Beide stiegen in den Aufzug, der sich mit einem Summen in Bewegung setzte und die beiden Raumfahrer nach oben führte.

“Sag mal– Sagen Sie mal, glauben Sie, wir werden hier in diesem System eine Exodus-Kolonie finden? Die Chancen sollen ja eher gering für damalige Kolonieschiffe sein, überhaupt an ihrem Ziel angekommen zu sein. Und da ihre astronomischen Beobachtungen sehr inakkurat waren, hatten sie ja auch sehr limitierte Informationen über die Beschaffenheit von Planeten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, mit viel Glück in einem neuen Sternensystem anzukommen und herauszufinden, dass der Planet, auf dem du dich niederlassen willst, nicht habitabel ist.”

“Im Eravata-System gibt es unseren Daten zufolge einen habitablen Planeten. Ob sich dort Menschen niedergelassen haben, bleibt abzuwarten. Es wäre aber schön, wenn wir dort unkontaktierte Kolonisten treffen. Das wäre ein erster Erfolg für unsere Mission.”

“Absolut. Mich würde sehr interessieren, wie sie sich hier draußen entwickelt haben. Diese Leute könnten ganz andere Technologien haben als wir. Oder die gleichen nur anders interpretiert. Nach Jahrhunderten ohne Kontakt mit Terra kann sich so einiges anders entwickelt haben.“ Vijar pausierte kurz. “Oooder– wir finden endlich mal eine nichtmenschliche Zivilisation hier draußen.”

Gorbani lächelte amüsiert. “Sie kennen doch das alte Sprichwort. ‘Es sind niemals Aliens…’”

“Ja ja, solange es nicht wirklich Aliens sind. Ich weiß.”

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Die Aufzugtür öffnete sich und machte ihnen den Weg auf die Brücke frei, die Kommandozentrale des Schiffs. Von hier aus wurde alles gesteuert und kontrolliert. Überall an den Arbeitsstationen waren Anzeigen, die Daten zum Schiff, zur Navigation und Kommunikation, sowie Karten und Modelle von Sternensystemen anzeigten. Signale piepten an allen Stellen auf. Brückenoffiziere gingen ihren Geschäften nach, verarbeiteten Daten und kontrollierten Systeme an ihren Stationen. Vor Gorbani und Vijar, noch auf der Galerie der Brücke befanden sich zwei Tische mit volumetrischen Displays. Eines davon zeigte eine Sternenkarte, das andere das große Raumschiff und seine internen Systeme in seiner Gänze. Die Aufschrift zeigte den Namen des Schiffs: “ATS Kupe”, eines der größten bisher gebauten Warp-Schiffe. Vijar verblieb an dem Tisch und betrachtete das Modell für eine Weile. Vielleicht würde er dieses Schiff bald selber einmal als Steuerpilot fliegen, sofern er Jahan nicht allzu sehr auf die Nerven ging natürlich. Aber auch Kaptan Gorbani, der dieser recht neue Arbeitsplatz schon etwas vertrauter war, fand es großartig hier oben. Sie war immer wieder von der Größe ihres neuen Schiffs fasziniert.

“Kaptan auf der Brücke!” sagte ein junger Offizier und ging in Stillstand, kurz nachdem er Gorbani sah.

“Lassen Sie das doch. Wir sind hier ja nicht beim Militär”, erwiderte der Kaptan, doch der Offizier rührte sich nicht. “Weitermachen”, sagte sie, als sie sah, dass sie so eher bei ihm weiterkam.

“Jawohl, Kaptan!” sagte der Offizier und trat in strammem Schritt zurück an seine Arbeitsstation.

Von der Galerie gingen zwei Treppen jeweils links und rechts hinunter und führten zu den anderen zwei Ebenen der Brücke. Ganz unten befand sich die Station des Steuerpiloten, der für die Manövrierfähigkeit des Schiffs zuständig ist, sowie seines Kopiloten. Auf dieser Station befand sich ein weiteres Modell des Schiffs. Dieses diente jedoch hauptsächlich zur Navigation und dazu, es in seiner unmittelbaren Umgebung anzuzeigen.

Davor führte eine weitere Treppe nach unten zu einem großen Panorama-Fenster, das die atemberaubende Sicht auf die Leere des Weltalls freigeben konnte. Vor ihnen waren die Sterne, der hellste davon Eravata, ihr aktuelles Ziel.

Auf der Ebene zwischen den Steuerpiloten und der Galerie befanden sich drei Sitze, in der Mitte davon der Sitz des kommandierenden Offiziers. Auf ihm saß ein großer Mann mit kurzen schwarzen Haaren und einem gestutzten Vollbart, der aufstand, kurz nachdem er von der Anwesenheit des Kaptans erfuhr.

“Komander Lashenko, etwas zu vermelden?”

“Allerdings, Kaptan. Wir haben ein Objekt nahe des Zentralsterns Eravata gefunden, das sich ihm rasant nähert.”

“Ein Schiff?”

“Ja, höchstwahrscheinlich. Das Objekt sendet ein Signal aus, allerdings ist es durch die Interferenz des Sterns schwer zu erahnen, welcher Natur es ist.”

Der wissenschaftliche Leiter des Schiffs, ein Androide mit blau-violetter Haut und grünen Augen, meldete sich zu Wort. “Komander, wir konnten Sichtkontakt herstellen”, sagte er von seiner Station auf der Galerie aus.

“Dann auf den Schirm damit, Arthur”, befahl Komander Damian Lashenko.

Ein dreidsimensionales Bild des Objekts, wie es vor dem Stern flog, wurde in den Projektorbereich im vorderen Teil der Brücke projiziert. Das Fenster, oder besser gesagt die Fensterrahmen des Panoramas verschwanden. Die Grenzen zwischen dem kalten Raum und der schützenden Geschlossenheit der Kupe verschwammen und es sah so aus, als stünde der vordere Teil der Brücke nun komplett offen. Dann wurde das vergrößerte Bild des Sterns Eravata in den Bereich hineinprojiziert und es wirkte so, als wäre die Kupe in einer Sekunde unmittelbar vor die Sternenoberfläche geflogen. Dort war das Objekt, von dem Wissenschaftlicher Leiter Arthur gesprochen hatte. Durch die weite Entfernung war das Bild leicht verschwommen, aber es war eindeutig ein konstruiertes Objekt.

“Es sieht mir aus, wie ein Schiff, das noch einen alten Ionenantrieb besitzt”, sagte Vijar.

“Sie haben Recht”, sagte der Androide. “Es hinterlässt auch eine Ionenspur und es ist kaum größer als eines unserer Shuttles.”

“Übernehmen Sie, Kaptan?” fragte Komander Lashenko.

“Ja.” Gorbani setzte sich auf den Sitz des KOs, auf dem Lashenko zuvor gesessen hatte. Dieser nahm den Sitz zu ihrer Rechten.

“Ich kann das Modell allerdings nicht zuordnen", sagte Arthur. “Es könnte sich um eine Eigenkonstruktion handeln."

“Es sieht ähnlich aus, wie Ionen-Schiffe, die in den ‘200ern und ‘300ern noch verwendet wurden. Aber es scheint eine neue Konstruktion zu sein, denn ich habe es so auch noch nie gesehen,” sagte Vijar. “Und es ist auch viel schneller, als damalige Modelle. Kaptan, diese Raumregion wurde doch bisher noch nie von der Republik kontaktiert, nicht wahr?”

“Das ist richtig, Ensin. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass Kolonien hier draußen untereinander Kontakt haben und Handel treiben. Damit könnten sie ebenso indirekt mit den Kernwelten in Kontakt stehen und Technologien austauschen. Yotekom Nikos, wie sieht es aus? Hat das Schiff bereits auf unsere Rufe reagiert?”

Reyhan Nikos, die Leiterin für Kommunikation und Linguistik im Rang eines Yotekom, eine kleinere Frau mit mittellangen schwarzen Haaren und einer Projektorbrille, die sie immer trug, sah auf ihre Armatur, auf der sich zahlreiche Daten und Graphen mit Signalkurven befanden. “Keine Antwort bisher, Kaptan. Die Rufe werden auf allen Frequenzen und in allen Handelssprachen ausgestrahlt, auf Funk- und auf Tachyonen-Kanälen.”

“Kaptan, wir haben den Kurs des Schiffs berechnen können. Es hält… Es hält direkt auf den Zentralstern zu,” sagte Arthur.

“Was?” fragte Kaptan Gorbani fassungslos. “Gelber Alarm! Vijar, machen Sie sich bereit. Stellen Sie ein Rettungsteam zusammen und fliegen Sie mit einem Phönix zu diesem Schiff, maximale Geschwindigkeit. ”Nikos, weiterhin Ruffrequenzen aussenden. Machen Sie dem Piloten klar, dass wir ihn sehen und ihm zur Rettung eilen.”

“Ja, Kaptan!” sagten Nikos und Vijar.

“Steuer, maximale Geschwindigkeit!”

Die Alarmleuchten pulsierten gelb und signalisierten der Crew, dass sie sich in Bereitschaft halten solle. Das tiefe Brummen der Maschinen wurde heller und lauter. Die Raumkrümmungsfelder vor und hinter dem Schiff vergrößerten sich und es gewann rasant an Geschwindigkeit. Bis auf das Dröhnen der Antriebe merkte man jedoch nichts von der Pseudo-Beschleunigung, die durch die Manipulation der Raumzeit enstand. Doch auch wenn die Besatzung im Schiff von der Positionsveränderung bis auf das Brummen der Maschinen kaum etwas spürte, war die Anspannung groß.

“Einsatzkommando, formieren Sie Rettungsmannschaften und halten Sie sich bereit,” sagte Gorbani. Auch wenn sie ruhig blieb, merkte man ihr dennoch die Nervosität an. Solche Situationen waren immer eine Herausforderung für sie. Und da diese Mission sehr wichtig war und man ihr viel zumutete, hing viel davon ab, wie sie sich jetzt als Kaptan anstellte. Obwohl diese Gedanken im Moment zweitrangig waren und sie sich allein auf die Rettung des anderen Schiffs fokussierte, fühlte sie den Druck dennoch unterbewusst.

Das Schiff gewann weiter an Geschwindigkeit. Die Welt draußen verzerrte sich.

“Kaptan,” sagte Arthur. “Unseren Berechnungen zufolge wird es sehr knapp werden, das Schiff rechtzeitig zu erreichen.”

“Dann hoffen wir, dass Ihre Berechnungen falsch sind.”

“Ich liege selten mit Berechnungen daneben.” sagte er, worauf er von Komander Lashenko einen unwirschen Blick einfing.

“In diesem Fall hoffe ich jedoch auch, dass ich damit falsch liege,” fuhr er daraufhin fort.

Das Schiff bewegte sich nun mit der höchsten Geschwindigkeit fort, die die Sicherheitsrichtlinien zuließen und erreichte innerhalb von zwanzig Minuten den inneren Ring des Systems. Würden sie schneller fliegen, würde der Treibstoffverbrauch exponentiell ansteigen, ganz zu schweigen davon, dass die Krümmungsfelder das Schiff beschädigen würden. Die Stimmung im Schiff blieb angespannt, als sie die Bahnen der inneren Planeten des Systems passierten. Die Sensoren und der Projektor kompensierten für die Raumkrümmung der Antriebe und zeigten nun ein deutlicheres Bild von dem Schiff. In der Tat sah es ähnlich aus, wie alte Schiffe mit Ionen-Antrieb. Es hatte Flügel und bildete ein Dreieck.

“Die Strahlung des Sterns ist enorm, aber die Sensoren erkennen ein Lebenszeichen”, sagte Arthur.

“Wir erreichen kritische Distanz zum Stern in t minus drei Minuten”, meldete der Steuerpilot.

“Lenken Sie so ein, dass wir die maximal mögliche Geschwindigkeit beibehalten und sicher bleiben.”

“Ja, Kaptan”, sagte der Steuerpilot und berechnete auf siener Armatur einen Kurs. “Stetige Geschwindigkeitsabnahme in t minus einer Minute. Danach wird’s trotzdem holprig.”

“Rettungskommando, wie sieht es aus?” fragte Kaptan Gorbani durch die Kom-Verbindung.

Die Piloten haben sich im Hangar versammelt und machten ein Schiff mit einer dicken schneeweißen Ummantelung bereit, in dem vier Piloten Platz hatten.

Ein Yotenan meldete sich. “Die Schiffe sind einsatzbereit, Kaptan. Ich will allerdings anmerken, dass die neuen Phönixe bisher noch in der Prototypen-Phase sind. Wir können noch nicht sagen, ob sie sicher genug sind um in der Korona standzuhalten.”

Einen Moment lang sagte niemand etwas. Gorbani und Lashenko tauschten einen angespannten Blick aus. Am liebsten hätte sie ihm jetzt das Kommando abgegeben. Aber das ging nicht. Sie war der Kaptan.

Schließlich nahm sie sich zusammen und sagte: “Dieses Risiko müssen wir eingehen.”

Vijar erkannte die Chance. “Lass mich das tun, Kaptan. Ich wollte schon immer Ikarus spielen.”

“Vijar, das ist ein riskantes Manöver. Das ist dir doch bewusst, oder?”

“Natürlich ist es das. Auch wenn es so wirkt, glaube nicht, dass ich so etwas nicht ernst nehme." Er sagte es in einem ganz anderen Tonfall als dem, den er zuvor immer hatte. Gorbani und Lashenko wussten, dass er diesmal keinen Sarkasmus von sich gab.

Eine sehr lange Sekunde verging. “Gut. Machen Sie sich bereit.”

Am Phönix, dem stark vor Strahlung gepanzerten Flugzeug, das extra für einen Einsatz in der Nähe von Sternen konzipiert wurde, wurden wenige Minuten später letzte Einstellungen und Checks von Technikern vorgenommen. Vijar und die Sanitäter saßen im Flugzeug in voller Montur, mit Pilotenanzug und Helm.

“Startklar!” sagte er über Kom.

“Gut, halten Sie sich bereit”, befahl der Kaptan von der Brücke aus. “Steuer, auf sichere Geschwindigkeit runtergehen”

Der Steuerpilot tat wie geheißen. Die Raumkrümmung vor und hinter dem Schiff wurde geringer und man konnte nun wieder ohne Kompensierung sehen.

“Das Schiff ist in einem engen Orbit und bereits sehr weit im Gravitationsbrunnen des Sterns. Es wird schwierig sein, es noch rechtzeitig abzufangen”, sagte Arthur.

Der Kaptan schien es zu überhören. “Ensin Vijar, abfliegen in zehn!”

“Die Piloten starteten den Contdown. Nachdem er abgelaufen war, schossen Vijar und die Sanitäter im Phönix los in Richtung des Sterns. Er passierte den neutralen Bereich des Krümmungsfeldes der Kupe und war aus ihrer Einflusszone heraus. Dann schaltete Vijar den eigenen Antrieb des Phönix an und schoss hinfort.

“Kaptan, ich bekomme einen Funkspruch des Piloten durch. Es ist stark verzerrt, ich versuche zu kompensieren,” sagte Nikos.

“Ja, stellen sie es laut.”

Daraufhin hörten sie die Interferenzmuster des Sterns auf dieser Frequenz. Nikos hörte sich eigentlich gerne die Musik der Sterne an. In einer anderen Situation wäre dies auch sehr schön gewesen, aber nicht unter diesen Umständen.

“Kommandant des unbekannten Raumschiffs, versuchen Sie, Ihren Kurs umzulenken. Wir haben ein Schiff ausgesendet, das Ihnen Hilfe leistet.”

Die Crew vernahm etwas, was scheinbar Worte gewesen sein könnten.

“Kommandant des unbekannten Raumschiffs, dies ist Kaptan Gorbani von der ATS Kupe. Können Sie mich verstehen? Lenken Sie Ihr Schiff um!”

Der Pilot war schon besser, aber immer noch sehr undeutlich zu hören. Die Interferenz der Strahlung war extrem. Nikos nahm einige Einstellungen vor.

“Seh… ... e…i… …ei!” kam es aus den Sprechern.

“Geht das noch besser, Nikos?” fragte Gorbani ungeduldig.

“Ich versuche schon, die Nachricht mit Algorithmen zu verbessern, aber die Strahlung ist zu stark. Ich gebe mein bestes!”

“Gut. Machen Sie weiter! Phönix, Status?”

Vijar meldete sich: “Einhunderttausend Kilometer vor der Photosphäre. Berechneter Einfallswinkel: 40 Grad. Die Temperatur steigt sehr schnell an, aber die Schilde halten.”

“Weiterfliegen.”

“Kaptan, selbst bei maximaler Beschleunigung wird es sehr knapp, das Schiff zu erreichen. Es könnte sehr kritisch werden, das Schiff dann auch noch umzulenken und beide Besatzungen aus der Gefahrenzone zu bringen", meinte Arthur.

“Phönix an Kupe! Hier ist gerade etwas durchgeschmort. Das Flugzeug scheint doch noch nicht für diesen Einsatz geeignet zu sein. Die Temperatur hier drinnen steigt!” sagte Vijar über Funk.

Einen Moment lang war Stille auf der Brücke. Gorbanis Blick verharrte auf dem Bildschirm.

“Kaptan, wir schwitzen so langsam hier drinnen!”

“Yotenan, schicken sie die Rettungskräfte zurück,” sagte sie schließlich mit schwerem Gemüt. “Wir können ihn jetzt nicht mehr retten.” Ihr Tonfall klang resigniert, aber in ihren Augen war Wut. Wären sie nur etwas schneller gewesen.

“Das unbekannte Schiff ist etwa dreißigtausend Kilometer vor der Photosphäre und rasant an Geschwindigkeit zunehmend,” meldete Arthur.

Die Interferenzen des Sterns überlagerten die fürchterlichen Schreie des Piloten, bis die Verbindung abbrach. Das Kom-System des Schiffs musste mittlerweile durchgebrannt sein. Mithilfe der Filter sahen sie das Schiff vor der Sternenoberfläche auf dem Panorama. Doch auch ihre hochentwickelten Kamerasensoren verrieten ihnen nicht, wie das Schiff im Inneren anfing zu glühen und zu verbrennen.

“Kaptan! Der Pilot scheint etwas abgeschickt zu haben, eine Art Drohne. Soll ich noch versuchen, sie einzusammeln?” rief Vijar aus dem Phönix heraus. Die Interferenz von Vijars Funksprüchen nahm zu.

“Ja Ensin, tun sie das. Aber nur, wenn sie danach noch sicher zurückkommen.”

“Verstanden!” kam es aus den Sprechern.

“Die Außentemperatur des unbekannten Schiffs ist nun auf mehreren Tausend Kelvin", sagte Arthur.

“Schalten Sie die Ansicht ab, Yotekom. Was nun passieren wird, müssen wir nicht sehen.”

“Verstanden” sagte der Androide und tat wie befohlen. Die Ansicht verschwand und die Standard-Außenansicht nahm wieder das Sichtfeld der Brücke ein.

Die Minuten der Stille kamen der Brückenbesatzung sehr lange vor. Was sie in diesem Moment nicht mehr vom Schiff vernahmen, war, wie es sich der Korona-Basis näherte, der heißesten Region der Sternen-Atmosphäre, und wie die sich schnell ausdehnende Luft das Schiff des Piloten zum Platzen brachte. Die Reste verglühten in der Korona und wurden eins mit dem Stern.

“Das Schiff ist zerstört,” sagte Arthur ruhig.

Gorbani ließ sich in den Sitz fallen und stützte ihren Kopf mit den Armen ab. “Ist das Rettungskommando in Sicherheit?” fragte sie in monotoner Stimme.

“Der Phönix hat umgedreht und wird sich in Kürze mit uns treffen. Das Objekt aus dem Schiff wurde erfolgreich eingesammelt,” sagte Komander Lashenko.

“Gut,” sagte der Kaptan ohne Enthusiasmus. “Immerhin. Arthur, Nikos, lassen Sie die Daten zusammen auswerten, sobald unser Einsatzkommando zurück ist. Ich möchte herausfinden, wer dieser Pilot war, woher er kam und was er in seinem Funkspruch gesagt hat.”

“Ja, Kaptan!” sagten beide.

“Lashenko, Sie haben das Kommando. In einer halben Stunde treffen wir uns im Konferenzraum.”

“Ganz im Ernst, glauben Sie das war ein Unfall?” fragte Lashenko.

Sie schüttelte den Kopf. “Nein. Das bezweifle ich. Das Schiff ist geradewegs und kontrolliert in den Stern geflogen. Bei einem Unfall wäre der Kurs doch anders gewesen, oder nicht? Irgendetwas ist hier faul und ich möchte wissen, was.”

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Der Konferenzraum lag auf der gegenüberliegenden Seite des Decks, auf dem die Brücke lag. In der Mitte war ein langer Tisch, an dem sich Gorbani, Lashenko, Arthur, Nikos und Vijar versammelt hatten. Die volumetrischen Displays in der Mitte des Tischs zeigten den Stern mit einem Diagramm der Flugbahn des unbekannten Raumschiffs.

“Also, Kameraden, lassen Sie uns zusammentragen, was wir herausgefunden haben. Vijar, haben sie etwas zu der Bauweise des Schiffs herausfinden können.”

“Naja, ich habe die Enzyklopädien befragt, aber ich habe kein Modell gefunden, das exakt darauf zutreffen würde. Die Antriebe waren definitiv ionenbasiert, allerdings sah das Schiff sehr zusammengeschustert aus. Von daher könnte es, wie ich schon vermutet hatte, ein Modell sein, das hier draußen gebaut wurde, vermutlich auf einer unkontaktierten Kolonie oder einem Nomadenkreuzer, wo es keine hochentwickelte Industrie gibt.”

“Das heißt, über den Erbauer finden wir nur etwas heraus, wenn wir die Region weiter erforschen,” sagte Gorbani. “Was ist mit dem Objekt, das er ausgesendet hat?”

“Es enthielt eine Art Blackbox. Ich habe sie Nikos gegeben.”

“Verstehe. Yotekom Nikos, wie sieht es damit aus?" Konnten Sie herausfinden, was der Pilot gesagt hatte?”

“Es ist uns leider nicht gelungen, mit Sicherheit etwas zu rekonstruieren, Kaptan. An der Blackbox sind wir noch dran, aber sie hat einigen Schaden davongetragen. Was die Funksprüche angeht, konnte ich seine Sprache weder mit Sicherheit erkennen, noch übersetzen. Es tut mir sehr leid. Aber die Stimme hörte sich– irgendwie euphorisch an. Um ehrlich zu sein, finde ich das ziemlich schauderhaft.”

“Das geht nicht nur Ihnen so, Yotekom,” sagte Gorbani.

“Also könnte es doch ein Suizid gewesen sein?” fragte Lashenko nach einigen Sekunden Schweigen in die Runde.

“Aber Komander, denken Sie nicht, für einen Suizid wäre diese Methode sehr drastisch? Es gibt weitaus angenehmere Methoden, sein Leben zu beenden, als in einem Schiff durch einen Stern bei lebendigem Leibe gebacken zu werden,” sagte Arthur. Auf diese Bemerkung erntete er einen vernichtend mahnenden Blick von Lashenko, den er jedoch erst nicht als solchen wahrnahm. “Allein die lange Zeit, die es dauert, bis man ankommt, wäre eine enorme psychische Belastung, wenn man weiß, dass der sichere Tod auf einen wartet. Ganz zu schweigen davon, dass es ziemliche Ressourcenverschwendung wäre, ein Raumschiff dafür zu zerstören. Und…”

“Ich denke, Sie haben Ihren Punkt zur Genüge ausgeführt, Arthur,” fiel ihm Lashenko scharf ins Wort. Wieder folgte darauf Schweigen. Gorbani sah Nikos in die Augen, die sich während der Konferenz sehr unwohl zu fühlen scheint.

“Sie haben aber Recht,” unterbrach Gorbani die folgende Stille. “Es wäre ein sehr umständlicher und ungewöhnlicher Weg. Aber meistens ist bei sowas auch eine psychische Instabilität involviert. Womöglich war der Pilot nicht bei voller geistiger Gesundheit, traf diese Entscheidung jedoch trotzdem bewusst. Wir müssen mehr über ihn herausfinden, bevor wir uns ein Urteil erlauben können.”

“Sie schließen einen Unfall vollständig aus, Kaptan?” fragte Arthur.

“Nun, den Analysen zufolge ist dies unwahrscheinlich, es sei denn, Sie und ihr Team haben neue Erkenntnisse gewonnen.”

“Es wäre zumindest immer noch möglich, dass es einen Fehler in seinem Navigationscomputer gab, wodurch er vielleicht von seinem Kurs abgewichen ist,” sagte der Androide.

“Wo wir davon sprechen, konntet Ihr die Flugbahn des Schiffs zurückverfolgen?”

“Ja,” sagte Lashenko. “Nach den Berechnungen kam der Pilot entweder vom ersten Planeten des Systems, Eravata I, oder nutzte ihn für ein Slingshot-Manöver.” Er stand auf, stützte sich am Tisch ab und zeigte mit einem Stift auf die Visualisierung der Flugbahn im Display. “Im zweiten Fall könnte er vom zweiten Planeten oder von weiter außerhalb hierhergeflogen sein.”

“Eravata II befindet sich aktuell auf der gegenüberliegenden Seite des Zentralsterns und liegt innerhalb des extrapolierten Ursprungskurses,” übernahm Arthur. “Ich halte es für wahrscheinlicher, dass er von dort kommt, als eine Herkunft vom ersten Planeten. Eravata II befindet sich zwar recht nahe an Eravata-Stern, allerdings immer noch in der habitablen Zone für T-Klasse-Planeten, weshalb hier gute Bedingungen für eine Kolonie wären. Alle nachfolgenden Planeten liegen sehr weit außerhalb.”

“Und in der Nähe dieses Systems hier sind laut den historischen Daten auch Kolonieschiffe entlang geflogen,” fügte Vijar hinzu.

“Gut. Dann hätten wir einen neuen Anhaltspunkt. Setzen Sie einen Kurs auf den zweiten Planeten. Falls der Pilot Angehörige hatte, sollten wir sie über diese Entwicklung unterrichten.”

Die Offiziere standen vom Tisch auf und bereiteten sich auf ihre nächsten Aufgaben vor.

“Eine Sache noch, bevor wir fortfahren. Ich verstehe, dass diese Erlebnisse sehr verstörend sind. Wenn Sie die Angelegenheit hier zu sehr belastet, nehmen Sie sich bitte eine Auszeit. Und das meine ich Ernst. Ich will keinen falschen Präsentismus hier.” Gorbani blickte in die Runde und sah vor allem Nikos dabei an, welche lächelnd nickte.

“Jawohl, Kaptan!” sagten alle.

“Gut. Dann weggetreten!” sagte sie und die Offiziere verließen den Konferenzraum.

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Der Flug zum zweiten Planeten verlief ohne Ereignisse, was der Crew eine willkommene Pause gab. Bald darauf hatte die Kupe Sichtkontakt mit dem Planeten. Scans mithilfe von Sonden, die in den niedrigen Orbit geschickt wurden, zeigten, dass der Planet für Menschen tatsächlich habitabel war, wenn auch etwas heiß. Die Atmosphäre war atembar, der Planet hatte etwa drei Viertel der Erdanziehungskraft und nur etwa 34% der Oberfläche war mit Wasser bedeckt, weshalb der Planet von Wüsten und Trockengebieten dominiert war. In höheren Breitengraden gab es einen dichteren Bewuchs von Pflanzen. Die Vegetation war orange, wie es bei Planeten um einen Stern wie Eravata oft der Fall war. Und nach einiger Zeit fanden die Wissenschafts-Teams der Kupe tatsächlich Spuren von menschlicher Aktivität.

Gorbani betrat die Brücke und ging zu einem der Display-Tische, an dem Arthur stand.

“Nun, was haben Sie entdeckt, Arthur?” fragte Gorbani.

“Eine Ansammlung mehrerer Stützpunkte weit im Süden, Kaptan.”

“Also tatsächlich eine planetare Kolonie. Sind die Stützpunkte bewohnt?” Ihre Stimme klang nicht sehr enthusiastisch. Unter anderen Umständen hätte ihr diese Nachricht viel mehr Freude bereitet.

“Es scheint so. Ich würde die Population auf einige tausend bis etwa zwanzigtausend schätzen.”

“Was meinen Sie, wie alt die Kolonie sein könnte?”

Lashenko und Nikos gesellten sich zu ihnen.

“Es ist schwer zu sagen. Die Gebäude scheinen aus dort vorkommenden Materialien gebaut zu sein, allerdings scheint die Verarbeitungstechnik auf fortgeschrittenere Technologie hinzudeuten. Ich würde die Kolonie auf etwas mehr als zweihundert Jahre schätzen.”

“Eine Kolonie aus der Exodus-Zeit?”

“Möglich, die Kolonieschiffe aus den späten ‘100ern und frühen ‘200ern hatten noch keine Warp-Antriebe. Deshalb wäre es denkbar, dass das Schiff einige Jahrhunderte gebraucht haben könnte. Und es gibt bisher keine Anzeichen, dass sie Warp-Technologie besitzen.”

“Ich höre ein Aber kommen.”

“Nun, wenn diese Kolonie wirklich älter ist als zweihundert Jahre, frage ich mich, warum dort nur so wenige Menschen sind.”

“Vielleicht leben nicht alle in den Außenposten. Vielleicht sind einige wild geworden und leben mit den Tieren,” merkte Vijar scherzhaft an.

“Hm, tatsächlich doch ein interessanter Gedanke, wenn auch offensichtlich nicht Ernst gemeint. Wie geht das Sprichwort? Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn?” sagte Arthur.

Lashenko musste ein Schmunzeln unterdrücken. Arthur schien auch zu bemerken, was er gesagt hat.

“Oh tut mir leid, war das Sprichwort für diese Situation doch unpassend? Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich halte es in der Tat für einen guten Punkt,” sagte er.

“Ja, ja.” erwiderte Vijar abwinkend. “Alle meine Ideen sind gut, die meisten verstehen sie nur nicht.” Daraufhin mussten die Offiziere der Runde doch etwas lachen. Lashenko sah, dass Nikos es auch tun musste. Ihre Miene erheiterte sich ein wenig.

“Also…” sagte Gorbani lächelnd und bedeutete den Offizieren, wieder zur Sache zu kommen. “...ich glaube, von hier oben werden wir nicht mehr tun können, außer zu mutmaßen. Wir sollten uns die Sache von Näherem ansehen. Verlorene Kolonien zu kontaktieren ist schließlich unsere Mission. Denken Sie, dass wir runtergehen können, Arthur?”

“Laut der Exobiologie scheint es keine ernsten Krankheitserreger oder gefährliche Stoffe zu geben. Eine Landung sollte möglich sein.”

“Zuvor sollten wir die Kolonie jedoch kontaktieren und herausfinden, wie ihre aktuelle politische Lage ist,” sagte Lashenko.

“Gut, Nikos, schalten Sie bitte die Ruffrequenzen ein.”

“Hm? Oh, ähm, ja Captain.” Nikos schien die letzten Minuten geistig abwesend zu sein. “Wird sofort erledigt,” sagte sie und begab sich zu ihrem Posten. “Alle Frequenzen sind offen, in alle gängigen Sprachen wird übersetzt, Kaptan. Sie können jetzt sprechen.”

Das Zeichen für ‘Aufnahme’ ertönte.

“Dies ist die ATS Kupe aus der Aurora-Flotte. Ich bin Kaptan Jahan Gorbani und wir rufen Sie an, weil wir friedlich mit Ihnen in Verbindung treten möchten. Unsere Mission ist es, Kolonien der Menschheit in den Weiten des Weltalls ausfindig zu machen und wieder einen Kontakt zu ihnen herzustellen. Wir erreichen bald den Orbit des Planeten. Wenn Sie diese Nachricht erhalten, bitten wir Sie, uns zu antworten.”

Gorbani begab sich in den vorderen Bereich der Brücke. Die Frontscheibe legte den Blick frei auf Eravata II, in dessen Orbit die Kupe gerade einflog. Bei der orange-gelben Färbung der Landoberfläche und den rötlich schwarzen Ozeanen, die durch das Licht des Sterns schimmerten, musste Gorbani an das erste Mal denken, dass sie den Mars aus dem Orbit gesehen hatte. Es war lange her, doch zur damaligen Zeit war es ein Lebenstraum gewesen, einen anderen Planeten zu bereisen. Es hatte sich surreal angefühlt, mit eigenen Augen eine andere Welt von Nahem zu betrachten, von der sie vorher immer nur Bilder und Modelle gesehen hatte. Heute hatte sie bereits viele Planeten von Nahem gesehen. Auch wenn das unbeschreibliche Gefühl von damals, als die Raumfahrt für sie neu und aufregend gewesen ist, nur noch eine nostalgische Erinnerung war, war sie dennoch von der Schönheit und Skurrilität des Planeten fasziniert.

“Jetzt heißt es abwarten. Vijar, bereiten Sie alles für die Landung vor.” Sie setzte sich in ihren Sitz. Sie, Lashenko, Arthur und Nikos, Sie alle werden mich auf den Planeten begleiten. Wir treffen uns in einer Stunde in Hangar 1.”

“Ja, Kaptan,” sagte Vijar.

“In der Zwischenzeit überwachen wir noch ein wenig die Funkkanäle und erforschen die Planetenatmosphäre weiter.”

Die Offiziere der Brücke widmeten sich ihrer Arbeit. Lashenko sah von seinem Platz hin zur Kommunikation, wo Yotekom Nikos saß. Sie sah besser aus. Er ging zu ihr.

“Yotekom?”

Sie sah von den Anzeigen auf, auf denen diverse Frequenzmuster und Nachrichtentexte abgebildet waren. “Ja, Komander? Gibt es etwas?”

Lashenko stützte sich an den Armaturen ab. “Wie geht es Ihnen? Sie machen mir den Eindruck, dass es Ihnen etwas besser geht, als vorhin?”

Sie lächelte. “Danke der Nachfrage. Ich denke, es ist okay.”

“Seien Sie ruhig ehrlich.”

“Nun, die letzte Nachricht von diesem Piloten, das war schon etwas heftig", sagte sie zögerlich.

“Ja, da stimme ich Ihnen zu,” sagte er nickend.

“Normalerweise macht mir das Thema nichts aus, aber so nahe damit konfrontiert zu werden, ich meine, ich war damit am allernächsten von uns, da ich die Nachricht so häufig gehört habe um sie zu analysieren… das hat mich dann doch etwas mitgenommen,” sagte sie und lachte dabei unsicher.

“Sie haben den Kaptan vorhin gehört. Wenn es Ihnen zu weit geht, geben Sie ruhig ab. Keiner würde Ihnen einen Vorwurf machen.”

“Ja, Komander. Ich denke allerdings, dass ich es jetzt unter Kontrolle habe.”

“Mhm,” antwortete er.

Sie strich sich ihre halblangen schwarzen Haare nach hinten und lehnte sich im Sitz zurück.

“So davonzugehen, ich kann mir nicht vorstellen, was dazu führen könnte. Ich habe noch nie einen Suizid miterlebt, außer bei meiner Großmutter damals, aber das war weil sie alt war und sich dazu entschieden hatte, dass ihre Zeit vorbei war. Das hier ist nicht dasselbe,” sagte sie, ihre Arme noch am Hinterkopf.

“Nein, das glaube ich auch nicht.”

“Gibt es denn einen Grund, warum sie mich das fragen?”

“Einen Grund? Nun, ich will natürlich, dass es meiner Crew gut geht. Und nur weil ich Ihr Vorgesetzter bin, müssen wir nicht so distanziert miteinander umgehen, finde ich. Außerdem werden wir noch lange hier draußen im All unterwegs sein. Ich bin schon einige Zeit Astronaut und die Weiten des Alls, nun, sie haben eine gewisse Wirkung auf die Psyche. Gerade hier sollten wir als Kameraden in der Lage sein, miteinander zu reden.”

“Ich verstehe, was Sie meinen.”

Er richtete sich wieder auf. “Also, merken Sie sich die Worte des Kaptan. Kein Präsentismus.”

Sie sah ihn lächelnd an. “Ja, Komander. Danke für das Gespräch.”

Er nickte ihr zu und begab sich zurück an seinen Posten neben dem Sitz des Kaptan.

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Es verstrich einige Zeit, jedoch kam keine Antwort von der Planetenoberfläche.

“Vielleicht ist ihre Funkzentrale aktuell nicht besetzt, falls sie so etwas haben” sagte Lashenko schließlich.

Gorbani sah zu ihm. “Das kann sein, aber wir haben auf allen Frequenzen gesendet. Sie haben moderne Technologie, also sicherlich auch Funk- und Radioempfänger. Wir senden eine neue Nachricht. Nikos?”

"Ja, Kaptan." Sie gab etwas auf ihren Konsolen ein. Erneut ertönte das Signal. “Frequenzen offen.”

“Dies ist Kaptan Jahan Gorbani. Sofern Sie diese Nachricht hören, bitten wir Sie, eine Antwort zu senden. Wir haben den Orbit erreicht und würden Ihnen gerne auf der Planetenoberfläche einen Besuch abstatten, um in Freundschaft Kontakt zu schließen.”

Ein weiteres Signal ertönte, nachdem Nikos auf Senden drückte. “Die Nachricht wurde abgeschickt."

Wieder verging einige Zeit, diesmal fast zehn Minuten.

“Vielleicht ignorieren sie uns. Wer weiß, vielleicht gab es Invasoren und sie sind zurückhaltend, was den Kontakt mit Fremden angeht,” sagte Lashenko.

“Ich hätte noch eine andere Theorie,” sagte Arthur. “Vielleicht kommen unsere Signale überhaupt nicht zu ihnen durch. Das Magnetfeld dieses Planeten ist ausgesprochen ungewöhnlich und recht stark. Unter Umständen müssen wir die Signale verstärken.”

“Tun Sie das, Yotekom.” Gorbani sah zu Nikos. “Wiederholen Sie die Nachrichten nacheinander alle fünfzehn Minuten.”

“Ja, Kaptan.”

“Nun, scheint aber so, dass die Stunde auch bald um ist. Ich schlage vor, wir gehen dann mal zum Shuttle-Hangar. Standardausrüstung für habitable Planeten und nur Betäubungswaffen zur Verteidigung. Wir wollen keinen Zwischenfall.”

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Das Shuttle mit dem Landetrupp flog aus dem Hangar der Kupe und schwenkte in die Atmosphäre ein. Sie landeten schließlich auf der Südhalbkugel in der Nähe des Siedlungsclusters, den das Forschungsteam zuvor ausgemacht hatte. Von Nahem betrachtet ging die Vegetation des Planeten eher ins Rötliche, was vermutlich an der Atmosphäre lag, die das Licht Eravatas in ein helles Gelb brach, wodurch die Pflanzen durch den Kontrast in einem noch wärmeren Farbton erschienen. Auf dem südlichen Kontinent waren viele Wälder, in denen hohe und dünne Bäume aufragten und die von Nahem betrachtet ganz anders als irdische Bäume aussahen. Der Stamm sah aus wie Bündel von Lianen, die verkehrt herum gewachsen sind. Nur ab und zu waren die Wälder durch einige Lichtungen unterbrochen. Je näher das Shuttle dem berechneten Landepunkt kam, desto größer wurden die Lichtungen, die nun eindeutig von Menschenhand geschlagen waren. Um die Bevölkerung nicht zu verunsichern, aktivierten sie die Tarnhülle des Shuttles und landeten in einem Wald etwas abseits des größten Siedlungszentrums. Dann stiegen sie auf Quads, die sie mitgebracht hatten und fuhren in Richtung des Ballungsraums. Über Erdwege kamen sie an Feldern vorbei, auf denen Pflanzen wuchsen, die dunkelrote Früchte trugen, welche an große Preiselbeeren erinnerten. Erntereif? Vereinzelt dazwischen lagen kuppelförmige Gebäude, die aus einer Art Sandstein gebaut wurden, die größeren davon mit Glasbedachungen. Sie beherbergten wahrscheinlich mehrere Familien. Viele der kleineren hatten nur gewöhnliche Fenster und kein Glasdach. Meist standen diese Gebäude allein und nicht im Verbund mit anderen. Dennoch gab es noch kleinere Strukturen dazwischen, die nur einfache Bedachungen hatten, um Landmaschinen und Equipment unterzubringen.

“Erstaunlich idyllisch hier draußen,” sagte Nikos durch das Kom in ihrem Helm.

“In der Tat. Ich habe bisher noch keine anderen Menschen gesehen,” erwiderte Lashenko.

“Ja, das erscheint mir merkwürdig. Auch wenn es hier sehr ländlich ist, bisher sehe ich überhaupt keine Aktivität,” sagte Gorbani.

“Meinen Sie, die Siedlung sei verlassen, Kaptan?” fragte Arthur.

“Das ist möglich. Wir sollten wachsam bleiben.”

Schlussendlich kamen sie in einem größeren Siedlungskern an, der aus mehreren Kuppelgebäuden nebeneinander bestand und ihre Vermutung widerlegte sich. Auf einer Straße, die die verschiedenen Kuppeln miteinander verband, sahen sie einen Menschen.

“Sehen Sie das, Kameraden?” sagte Gorbani.

“Ja, ich habe Sichtkontakt,” sagte Vijar. “Trotzdem sehr einsam hier für einen Spaziergang.”

“Die Person scheint uns gesehen zu haben,” sagte Arthur, als sie stehen blieb.

“Also schön, denkt an euer Erstkontakt-Training. Wir steigen hier ab und versuchen einen Dialog mit ihr aufzubauen. Nikos, Lashenko, Sie kommen mit mir, Vijar und Arthur, Sie bleiben etwas weiter hinten.”

“Verstanden,” sagten beide.

Die fünf taten wie geheißen und stiegen vor der Siedlung von ihren Quads ab. Sie zogen ihre Helme ein, legten sie zur Ausrüstung auf den Fahrzeugen und begaben sich in die Nähe der Person, die immer noch wie angewurzelt dastand. Nikos machte einige Einstellungen auf ihrem HAVI, das ihr die linguistischen Daten vor ihre Augen projizierte. Die Person, ein Mann, der nicht älter aussah als Mitte 30, starrte die fünf Aurora-Offiziere mit einer Art von Faszination, gemischt mit etwas, was man für Empörung oder vielleicht auch Angst halten konnte, an.

“Seid gegrüßt,” sagte Kaptan Gorbani auf Terrango, der Handelssprache Terras, zu der Person, die nur ein erstauntes Stirnrunzeln erwiderte.

“Wir sind Astronauten von der Aurora-Flotte und im Auftrag der Terranischen Republik hier, um zu Kolonien im Weltall den Kontakt wiederherzustellen.”

Die Person sagte weiterhin nichts und gab den fünf denselben Gesichtsausdruck ohne irgendeine Veränderung. Sie trug eine Art Anzug oder Mantel, der vor einigen hundert Jahren im Sol-System wahrscheinlich der letzte Schrei war, für die Astronauten der Kupe jedoch ziemlich altmodisch erschien. Etwas unpassend dazu trug er eine Stoffmütze, obwohl es recht warm hier war.

“Wir sind außerdem hierher gekommen, weil wir auf unserem Flug jemanden getroffen haben, der vermutlich von diesem Planeten kam.”

Endlich erwiderte der Mann etwas, auch wenn es nur zwei Sätze waren. Natürlich war es für die Astronauten zuerst unverständlich, jedoch war dies für die Linguistin Reyhan Nikos bereits genug, um zu arbeiten. Sie bediente ihre HAVI-Brille, die Text, Daten und Bilder auf die Gläser projizierte. Der Mann schien sehr perplex auf ihre Gestik zu reagieren.

“Ich glaube, das ist eine Sprache, die noch um die ‘200er in Europa gesprochen wurde. Allerdings brauche ich noch ein bisschen mehr, um sicher zu sein. Bitte reden Sie etwas weiter, Kaptan.”

Gorbani nickte. “Ähm… Wir haben eure Sonne umkreist, Eravata.”

Von dem Mann kam keine Antwort.

Gorbani zeigte zum Zentralstern hin. “Eravata.”

“Zaaubhle?” erwiderte der Mann und es folgten weitere Worte, die die fünf aber nicht verstanden.

“Reicht das?” fragte Gorbani Nikos.

Sie nickte. “Ja, ich denke, es handelt sich hier um eine Sprache aus einer Familie, die aus der Baltischen Region oder dem damaligen Russland kommt.

“Haben Sie die linguistischen Daten dieser Zeit und Region?"

“Natürlich. Wir haben alle verfügbaren Daten der uns bekannten Sprachen ab den '100ern. Damit sollten wir in der Lage sein, mit allen Kolonisten zu kommunizieren, es sei denn, sie haben hier draußen eine ganz neue Sprache entwickelt. Sollte hier aber nicht der Fall sein.

Der Mann sagte noch etwas und klang dabei etwas verärgert.

“Tatsächlich. Und sie ist sogar ziemlich gut erhalten,” sagte Nikos erstaunt. “Ich denke, wir können nun mit den Menschen hier ohne Probleme kommunizieren. Ich schicke euch die Sprachdaten auf euer Rosetta-Modul. Damit sollte es die neue Sprache rekonstruieren können." Nikos startete eine Datenübertragung an die anderen Mitglieder ihrer Truppe. Diese empfingen die linguistischen Daten und ihr Sprachmodul aktivierte sich.

Gorbani sah die Daten auf ihrem HAVI. Ihr Modell war keine Brille, sondern ein knopf-artiger Projektor an jeder Schläfe, der ein Bild direkt vor ihr Gesicht projizierte. Sie dachte an einen Satz, den sie sagen wollte und das Rosetta-Modul im HAVI fing an zu arbeiten. Das Gerät zeigte ihr vor ihrem Auge eine Übersetzung auf Terrango, inklusive einer Glossierung, die die Satzstruktur erklärte. Dann versuchte sie, langsam vorzulesen:

"Hallo! Mein Name ist Gorbani."

Der Mann schaute erstaunt.

"Hallo?" wiederholte sie.

"Möchten Sie mir eine Beleidigung hinzufügen?" sagte der Mann in seiner Sprache und eine Übersetzung erschien auf den HAVIs der Crewmitglieder.

Schockiert und peinlich berührt schaute Gorbani zu Nikos.

Sie überprüfte ihre Daten und nickte. "Ja, das wurde richtig übersetzt, dem Sinn nach zumindest. Er glaubt, Sie hätten ihn beleidigt."

"Was habe ich gesagt um sie anzugreifen?" dachte Gorbani und sagte die vom Programm vorgeschlagene Übersetzung wieder in seiner Sprache.

"Hören Sie, es gibt hier keinen Grund, mich einen Hallo zu nennen, ja? Der Planet ist groß, na und? Trotzdem müssen wir irgendwie miteinander eine Einheit bilden. Was gibt Ihnen die Berechtigung, einfach hierher zu gelangen und die guten Personen hier als Hallo zu bezeichnen und im Anschluss irgendwelchen Unfug zu reden. Woher sind Sie eigentlich abstämmig? Sind Sie aus der Wüste?"

Nikos realisierte, was gerade passiert ist. "Oh je, scheint mir so, als gab es einen Bedeutungswandel. Das Grußwort ‘Hallo’ klang wohl wie ein beleidigendes Wort.”

"Ich dachte, die Sprache sei gut erhalten," erwiderte Gorbani.

"Ist sie auch, aber trotzdem haben sich einige Worte im Laufe der Zeit verändert. Sowas passiert nun mal."

Gorbani wandte sich wieder dem Mann zu. "Das tut mir leid. Es war nicht meine Absicht, Sie zu beleidigen. Ich wollte Sie nur– grüßen," sagte sie bedächtig in übersetzter Sprache.

Der Mann schnaubte. “So grüßt man doch niemanden.” Er schüttelte den Kopf. “Ne, also sowas hat es hier ja noch nicht gegeben.”

"Wir sind nicht von diesem Planeten. Außenweltler, verstehen Sie? Aus dem Weltraum.”

Allmählich begann der Mann zu begreifen. Aber dennoch schien er der Gruppe nicht positiver gesinnt zu sein.

"Unser Raumschiff heißt 'Kupe'."

"Ku-pe?"

"Wie der legendäre Seefahrer."

"Hm, kenne ich nicht."

"Ähm– unsere Mission…" sie hielt inne um zu sehen ob er verstand, "... ist es, zu verlorenen Kolonien wieder Kontakt herzustellen."

"Hmpf, naja verloren sind wir, so viel steht fest, hehe!"

Ein kurzes Schweigen.

"Haben Sie hier einen Anführer oder etwas ähnliches?" fragte Lashenko, ebenfalls in übersetzter Sprache.

Seine Miene war unveränderlich starrend. Hatte er es nicht verstanden? Lashenko glaubte fast, er hätte ihn wieder beleidigt.

"Ein Oberhaupt, wissen Sie?"

"Ich habe Sie schon gehört. Ich bin bei weitem nicht erst gestern geboren worden. Was wollt ihr vom alten Bertrand?"

"Das ist sein Name?"

"Ja, was denn sonst?"

Gorbani übernahm wieder. "Wir möchten gerne etwas mit ihm besprechen. Als wir hierherkamen, haben wir ein Raumschiff angetroffen, nahe dem Stern.” Sie zeigte wieder zur Sonne Eravata. “Es– gab einen Zwischenfall, wissen Sie."

Der unwirsche Gesichtsausdruck des jungen Mannes lockerte sich. Der Kaptan meinte, Trauer darin zu erkennen. "Verstehe…" Er lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. "...dann ist es wohl so."

"Der Pilot ist…"

"Ja. Ja… ich verstehe schon," unterbrach er sie abwinkend. Er seufzte. "Bertrand wohnt im Zentrum. Sie müssen nur der Straße hier folgten." Er zeigte den Astronauten die Richtung. "Oh, das sind schlimme Zeiten, in denen wir leben. Wirklich schlimm." Sein Tonfall war jetzt anders. Traurig.

"Kannten Sie den Piloten des Schiffs?" fragte Lashenko.

Der Mann sah ihn an und der Komander fühlte sich, als hätte er gerade eine extrem dämliche Frage gestellt. Aber der Mann schien doch zu verstehen, dass die Dinge in der Außenwelt etwas anders waren. Lashenko wollte nur höflich sein und meinte es alles andere als böse. "Natürlich. Auf dem Planeten leben gerade mal einige tausend Menschen. Hier kennt jeder jeden. Sie scheinen wohl größere Bevölkerungen gewohnt zu sein, da wo Sie herkommen."

"Naja, wo ich geboren bin, zumindest sind es so etwa eine Milliarde Menschen mehr."

Er sah ihn verblüfft an, so als hätte er gerade gesagt, er sei ein weißer Elefant.

"Milliarden? Also tausend mal tausend mal tausend, nur damit eure Brillengeräte da, oder was auch immer die sind, das richtig für euch übersetzen?"

Lashenko nickte.

"Heh, ja natürlich! Wie passen die denn alle da drauf?" sagte er für einen kurzen Moment amüsiert, aber seine Herterkeit verflog recht schnell wieder. "Ach der arme Ognyan. Naja, hoffentlich hat seine Seele zumindest endlich Frieden gefunden."

"War das sein Name?" fragte Gorbani.

Der Mann nickte. "Wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich brauche etwas Zeit."

"Natürlich, wir würden uns dann aufmachen und Bertrand aufsuchen. Macht es gut."

"Ja ja…" murmelte der Mann, winkte ab und ging.

Die fünf Aurora-Offiziere gingen danach zurück zu ihren Quads.

"Eine nette Person," sagte Vijar.

"Puh, das kann man wohl sagen," erwiderte Nikos, wieder auf Terrango.

"Ganz entspannt. Oft laufen Erstkontakte viel unglimpflicher ab," sagte Gorbani beschwichtigend.

"Das stimmt. Erinnerst du dich noch an die Sache auf Baldur III, Kaptan?" fragte Lashenko.

"Oh, erinnern Sie mich bitte nicht daran. Im Vergleich dazu war das hier fast ein Best-Case-Szenario. Ihr könnt stolz auf eure Arbeit heute sein."

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Die fünf stiegen wieder auf ihre Quads und fuhren in die Richtung des 'Zentrums', einem Komplex aus großen Kuppelgebäuden verbunden mit Säulengängen und Brücken. Ab hier war die Straße auch betoniert und man sah mehr Menschen, die auf den Straßen gingen. Diese sahen ihnen interessiert nach. Allmählich kamen sie an einem größeren Platz an, in dessen unmittelbarer Nähe das größte Gebäude war, was sie bisher sahen. In der Mitte stand eine große Statue eines Mannes aus Metall. Vielleicht einer der Gründer? Ringsherum gab es mehrere interessant aussehende mechanische Gebilde, die ebenfalls aufgestellt waren wie Statuen.

"Sieh mal Kaptan," sagte Vijar und zeigte auf eines der Objekte, das ihm etwa bis zur Schulter ging. "Das hier ist ein Prä-Ionisierer." Der muss zu einem ihrer Kolonieschiffe gehört haben. Vermutlich waren ihre Raumschiffe kleiner als die aus den späten ‘100ern und die Technik scheint auch neuer zu sein. Die Frage ist aber, warum die Dinger hier so rumstehen. Naja, ich glaube zumindest nicht, dass das hier eine Exodus-Kolonie ist.”

“Möglicherweise nicht”, sagte Komander Lashenko. “Ganz sicher werden wir das nur herausfinden, wenn wir mit diesem Bertrand reden. Und ich habe die Vermutung, dass er im größten Haus zu finden ist.”

Sie gingen einen breiten Treppenaufstieg auf dem Platz empor und aus der Tür des Gebäudes kamen zwei Menschen. Der erste war ein Mann, groß und hager, hatte braunblonde Haare und einen ähnlichen Mantel an wie die Person, die die Crewmitglieder auf dem Weg gesehen hatten, allerdings viel formeller. Der andere, ebenfalls ein Mann, war etwas kräftiger und kleiner als der erste und hatte schwarze Haare, sowie einen Bart.

Der Mann mit den braunblonden Haaren sah die Astronauten mit freudiger Faszination an. Der andere blieb auf Abstand. Er war wohl etwas misstrauischer.

"Ah, guten Tag. Ihr müsst die Neuankömmlinge sein, von denen ich gehört habe", sagte er in seiner Mundart.

"Scheint so, als würden sich Gerüchte tatsächlich schneller verbreiten als mit Lichtgeschwindigkeit”, erwiderte Lashenko in der vorgeschlagenen Übersetzung.

Der Mann lächelte. “In unserer kleinen Kolonie bleibt nichts lange unbekannt.”

“Ich bin Jahan Gorbani, der Kaptan des Schiffs Kupe aus der Aurora-Flotte. Das hier ist meine Crew”, sagte sie und zeigte auf ihre Kameraden.

Er reichte ihr die Hand und schüttelte sie. “Wirklich ein Plaisir. Oh bitte, wenn ihr mir in das Gebäude folgen würdet? Ihr seid sicher mundtrocken nach der Reise hier zu unserer bescheidenen Gemeinschaft. Ich kann Kurgrohe-Tee aufsetzen, wenn Sie möchten”, sagte er aufgeregt und trotzdem eine gewisse Ruhe am Ausstrahlen.

Die Rosetta-Module übersetzten unter Anleitung von Nikos für sie. Obwohl sie bereits einen sehr guten Griff der Sprache hatte, kamen die Phrasen an manchen Stellen immer noch ein bisschen klobig rüber. Er hier jedoch benutzte teilweise noch altmodischere Worte als der Mann von der Straße.

“Nun, sehr gerne”, sagte Gorbani.

“Exzellent! Bitte, führe die Gäste hinein”, sagte er dem anderen Mann.

Dieser sah ihn fragend an. “Hm, na gut. Bitte folgt mir”, sagte er darauf unenthusiastisch und bedeutete den Astronauten, mitzukommen.

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Sie betraten einen großen Raum mit einem Ring aus konzentrisch angeordneten Tischen der Mitte. Lashenko hatte die Vermutung, dass dies hier eine Art Versammlungsraum war. Auch hier gab es einige Objekte, die aus alten Raumschiffteilen gefertigt wurden und die Aussicht eines Panoramas auf die weite Landschaft unter ihnen bis zu einem dunkelroten See rundete das ganze ab. Alles in allem wäre der Saal sehr beeindruckend gewesen, wäre da nicht die Tatsache, dass es hier und im Flur draußen extrem dreckig war. Einige Lampen funktionierten dazu nicht richtig und insgesamt schienen die Innenräume eine Renovierung nötig zu haben.

“Bitte setzt euch. Ich bin sofort zurück”, sagte der bärtige Mann und verschwand.

“Was genau heißt Kurgrohe?” fragte Vijar Nikos im Anschluss. “Dieses Wort wurde nicht übersetzt.

“Ich kann es auch nicht mit Sicherheit sagen, aber vielleicht ‘Gewürzgurkenkraut’?”

Vijar verzog das Gesicht.

“Was man nicht alles für diplomatische Erstkontakte macht”, sagte Lashenko lachend.

“Wer weiß, vielleicht schmeckt es besser, als es sich anhört”, sagte Gorbani.

Die beiden Männer kamen bald wieder, der Blonde mit einer Art zweistöckigem Service und einer großen kegelförmigen Kanne, welche er auf einem der Tische in der Mitte abstellte.

“Und, darf ich fragen, wer Ihre Freunde sind ähm– Kaptan Gorbani?”

“Selbstverständlich” erwiderte diese und stellte sie der Reihe nach vor: "Dies ist mein zweiter Offizier Damian Lashenko, unser Wissenschaftlicher Leiter Arthur, unsere Linguistin Reyhan Nikos und einer unserer Piloten Manu Vijar."

“Die wichtigste Person auf dem Schiff!” bemerkte dieser, wodurch er ein Lächeln des Mannes erntete.

"Hoho, das sind viele Namen. Ich versuche mein Bestes, sie zu behalten.”

Die Astronauten gaben den Männern jeweils die Hand, sowie ein Nicken oder ein "Sehr erfreut".

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, als der blonde Mann zum Schluss zu Arthur kam. Seine violettblaue Haut und neongrünen Augen schienen ihn entweder zu beunruhigen oder zu faszinieren. Bestimmt hatte er sich bereits gefragt, was er war, als er ihn zum ersten mal sah, doch so aus der Nähe betrachtet kam er ihm wohl noch ungewöhnlicher vor.

“Sind Sie– Bitte verzeiht, falls die Frage unhöflich ist, aber sind Sie ein Mensch?”

“Nein”, entgegnete Arthur lächelnd, “Ich bin ein Androide.”

“Ein Androide!”, erwiderte er erstaunt.

“Man nennt uns auch ‘SAI’, was ausgeschrieben für ‘sentiente künstliche Intelligenzen’ steht. Und die Frage ist okay. Ich gehe davon aus, hier gibt es keine anderen Androiden?”

Bertrand lachte kurz. “Nein. Androiden kennen wir nur aus Geschichten. Wirklich erstaunlich, dass ich noch einen echten zu Gesicht kriege. Oh, aber ich sollte mich dann jetzt wohl auch vorstellen. Ich bin Bertrand Almier, der Paavanim dieser Kolonie. Aber jeder nennt mich hier einfach nur Bertrand."

Nikos überprüfte die Bezeichnung. "Hm, sehr interessant. "Paavanim" heißt wohl ‘Oberster Ältester’." Nikos fand das mehr als ungewöhnlich und war sich nicht sicher, ob dies ein Übersetzungsfehler war. Der Mann war etwas mager, hatte jedoch keine Falten. Außerdem hatte er volles Haar ohne auch nur den Ansatz von Grau. Er konnte nicht älter als allerhöchstens vierzig Terranische Jahre sein.

Bertrand lachte. "Ja, solch etwas in der Richtung heißt es. Aber wirklich die älteste Person der Gemeinschaft bin ich um Längen nicht. Früher mag die Bezeichnung akkurater gewesen sein, aber es ist heute eher nur ein Titel. Als Paavanim besteht meine Aufgabe darin, die Räte der Dörfer zu koordinieren. Jedes Dorf erwählt einen Vanim, also einen Ältesten und diese treffen hier zusammen, um darüber zu beraten, wie die Zukunft der Gemeinschaft auszusehen vermag. Sehr wichtige Anliegen werden aber oft mit direkten Wahlen entschieden", sagte er und schenkte den Tee aus.

“Ich zum Beispiel bin der Vanim der zentralen Siedlung und spreche für die Menschen hier”, sagte der andere Mann und zeigte mit offenen Armen auf alles umliegende. “Ach ja, und mein Name ist Mikayel.”

"Also ist das hier schon eine Art Parlament?" fragte Vijar.

"Ja, so gesehen ist das ein Parlament. Auch wenn es schon seit langer Zeit keine Tagung mehr gab…" Der Mann schien für einen kurzen Moment woanders zu sein, als er die leeren und verstaubten Stühle ansah, allerdings kehrte er schnell wieder zurück zu seinen Gästen. "Nun, ich möchte mich allerherzlichst für die Unordnung hier entschuldigen. Wir haben ehrlich gesagt keine Gäste erwartet. Aber bitte, setzt euch ruhig."

Die fünf nickten und setzten sich wie gebeten mit Bertrand und Mikayel an die Tische.

"Ihr habt selten Kontakt zu Außenweltlern, richtig?" fragte Lashenko.

Der Mann nickte. "Ja, aus dem All kommen nicht oft Menschen hierher. Das letzte mal, ach, das ist wahrhaft Längen her. Ich muss aber bemerken, dafür seid ihr in unserer Sprache sehr versiert. Wie kommt das? Macht das die Apparatur an euren Köpfen?"

"Ja," sagte Nikos. "Wir haben ein Programm mit dem Sprache in Echtzeit übersetzt wird. Und wenn wir etwas sagen möchten, wird uns dies hierdurch angezeigt."

"Ach, so etwas geht?"

Sie nickte. "Eure Sprache hat gewisse Ähnlichkeiten mit einer anderen, die früher auf Terra gesprochen wurde.”

“Terra? Ach, ihr stammt also wirklich von der Erde?”

“Ein Großteil zumindest”, sagte Lashenko.

Nikos fuhr fort: “Nun, darauf basierend konnten wir eure Sprache konstruieren und übersetzen. Wir hatten schon Gelegenheit, es auszutesten. Auf dem Weg hierhin sind wir jemandem begegnet. Der Kontakt verlief… nun ja, sagen wir etwas schwierig. Es gab einige Missverständnisse”, fuhr Nikos fort.

"Ich hoffe, die Person war nicht unfreundlich euch gegenüber," sagte Bertrand.

Nikos verneinte nicht direkt. "Er wirkte leicht ungehalten wegen einer– Fehlkommunikation?" Sie wartete seine Reaktion ab, ob er das übersetzte Wort verstand. Als er nickte, – scheinbar war die Geste hier dieselbe wie im Rest der Republik – fuhr sie fort: "Ich glaube ich habe ihn aus Versehen beleidigt."

"Ach, ja, dann war das sicher Ebrit”, sagte Bertrand, als hätte er vollkommen verstanden, was passiert ist. Ihr müsst ihn entschuldigen. Der ist nun mal so, was sein Wesen anbetrifft. Aber er ist ein guter Mensch. Nehmt es bitte nicht zu ernst, wenn er etwas unwirscher ist. Es tut mir sehr leid, dass ihr solchen Unannehmlichkeiten begegnet seid."

"Das ist nicht tragisch," sagte Gorbani. "Wir waren zuvor schon auf Kontaktmissionen. Missverständnisse passieren und es ist schon schlimmeres geschehen."

"Oh, das hört sich nach spannenden Anekdoten an. Als Weltraumkundler habt ihr sicher viel zu berichten, nicht wahr? Hm, aber was das betrifft, was genau führt euch eigentlich hierher? Was macht diese Welt so interessant für euch?" Seine Miene wurde ernster.

"Unsere Mission ist es, zu Kolonien im All einen neuen Kontakt aufzubauen. Hier soll ein altes Kolonieschiff aus der Exodus-Zeit geflogen sein. Wissen Sie, was der Exodus war?” Gorbani nahm einen Schluck von dem Kurgrohe-Tee und versuchte, das Gesicht dabei nicht zu verziehen, um höflich zu bleiben.

"Der Auszug der Israeliten aus Ägypten?"

"Nicht ganz…”, sagte Gorbani.

"Ich mache nur Spaß. Ich weiß, was der Exodus war. Ein schlimmer Zeitfleck in der Menschheitsgeschichte. Diese Kolonie wurde aber erst viel später gegründet. Wenn ihr weiter kernwärts fliegt, könntet ihr diesbezüglich allerdings auch fündig werden. Aus der Richtung sind seltenst mal Reisende gekommen."

"Das werden wir uns merken," sagte der Kaptan.

Arthur nahm ebenfalls eine Tasse Kurgrohe. Anders als den anderen mundete ihm der Tee allerdings und er trank ihn in großen Schlücken.

"Es gibt allerdings noch etwas anderes, warum wir speziell hier sind", fuhr der Kaptan fort. "Auf dem Weg zu diesem System haben wir ein Raumschiff getroffen. Die Schiffskomposition war uns unbekannt."

Bertrands Heiterkeit verflog.

"Das Schiff schien absichtlich in die Sonne geflogen zu sein. Wir vermuten, dass der Pilot Suizid begangen hat und von dieser Kolonie stammte," sagte Arthur, worauf Lashenko hellhörig wurde.

"Ognyan…" sagte Bertrand leise.

"Das sagte dieser Ebrit auch schon. Dann war er es wohl tatsächlich," bemerkte Nikos.

"Dann ist er…"

"Er ist in eurer Sonne verbrannt," sagte Arthur sachlich und erntete einen ermahnenden Blick von Lashenko.

"Dann ist er wirklich tot?" fragte Bertrand und Arthur nickte.

"Was mich allerdings wundert…" sagte Arthur, "...ist, warum er diesen Weg wählte. Auf diese Weise in der Korona gebacken zu werden, stelle ich mir als keinen schönen Tod vor. Da gibt es doch viel schmerzlosere und weniger psychisch belastende Wege."

Lashenko stand seine Wut unterdrückend auf. "Yotekom Arthur? Auf ein Wort?" Er nickte dem Androiden in Richtung der Tür zu. Dieser verstand und begab sich mit Lashenko in den Flur, während die anderen ihnen nachblickten.

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"Haben Sie denn gar keine Empathie, Yotekom?" fragte Lashenko leise, doch mit hörbarem Zorn in seiner Stimme, keine Sekunde nachdem sie die Tür geschlossen hatten.

"Ich kann Emotionen empfinden und erkennen. Das sollten Sie aber wissen."

"Das meine ich nicht." Er fasste sich an die Stirn. "Was ich meine, ist, betrifft Sie das ganze überhaupt nicht?"

"Da ich die Person nicht kannte, betrifft mich ihr Tod nicht direkt. Aber glauben Sie mir, Komander, Suizid ist auch für mich kein leichtes Thema, deswegen äußerte ich meine Gedanken dazu. Wenn ich mich umbringen würde, würde ich es nicht auf diese Weise tun. Was der Pilot getan hat und wie es vonstatten ging, finde ich gewiss sehr verstörend."

"Warum reden Sie darüber dann so… so offen?"

"Ich finde, über dieses Thema sollte man ganz offen sprechen dürfen."

"Das…" Lashenko stockte und rieb sich die Augen mit beiden Händen. "Natürlich dürfen Sie das," sagte er darauf mit gezwungen ruhigerer Stimme. "Da besteht gar keine Frage. Aber achten Sie doch bitte darauf, wie Sie die Dinge sagen. Diese Menschen hatten persönliche Bindungen zu dem Piloten. Denken Sie darüber nach, was sie damit in ihnen auslösen, wenn Sie Dinge wie 'gebacken' sagen."

Arthur überlegte, dann nickte er. "Ich verstehe. Ja, ich denke, ich kann nachvollziehen, was Sie meinen. Ich werde meine Ausdrucksweise anpassen."

"Gut," erwiderte Lashenko mit prüfendem Blick. Er zögerte, ob er die Frage, die ihm auf der Zunge lag, wirklich stellen sollte, dann tat er es doch. "Waren solche Dinge nicht in ihrer Programmierung vorgesehen? Oder ist vielleicht Ihre Routine für zwischenmenschlichen Umgang beschädigt?" Das klang ausgesprochen für ihn viel schlimmer als in seinem Kopf.

"Bitte entschuldigen Sie meine Etiquette. Diese Routinen benutze ich nicht, denn ich möchte gerne meine eigenen Erfahrungen machen."

"Eigene Erfahrungen?" fragte Lashenko erstaunt.

"Ja. Es wäre möglich, eine Etiquetten-Routine zu installieren. Viele SAI machen das auch, aber ich sehe das als etwas invasiv. Das wäre dann nicht mehr ich und ich würde unauthentisch erscheinen."

“Aha…” Lashenko nickte langsam, doch mit unschlüssigem Blick.

"Wenn etwas ähnliches passiert wie gerade, können Sie mich gerne wieder darauf hinweisen."

"Hören Sie, als Offizier der Aurora-Flotte darf man bestimmte Dinge von Ihnen erwarten. Es ist nicht meine Aufgabe, Ihre Anstandsdame zu spielen."

"Das müssen Sie auch nicht. Ich sage nur, dass es mir nichts ausmacht, wenn Sie mich auf bestimmte Dinge hinweisen, wenn es zu einer ähnlichen Situation kommt. Ich möchte mich nämlich auch weiterentwickeln."

"Gut. Ja, das verstehe ich. Dann machen wir das so," sagte Komander Lashenko.

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Unterdessen unterhielten sich die anderen im Ratssaal weiter.

"Er stand Ihnen nahe?" fragte Gorbani.

"Wenn man auf so einer kleinen Kolonie lebt, kennt jeder jeden. Ja, er ist ein sehr guter Freund von mir…” Ihn überkam ein Ausruck der Wehmut und sagte leise: “...er war ein guter Freund von mir. Ognyan hatte, nun ja, nicht sonderlich viele Freunde. Aber sein Verlust wird eine schwere Belastung für uns alle sein. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass er seinen Frieden gefunden hat. Er muss seine letzten Lebensjahre schwer gelitten haben.

"War er krank?" fragte Nikos. Sie roch an dem Tee, den Bertrand ihr ausgeschenkt hat und entschied sich, diesen nicht mehr anzurühren.

"Oh nun, nicht viel mehr als wir alle es sind."

Dies machte die Astronauten stutzig.

"Gerade er kam nicht so gut mit dem Leben zurecht, wissen Sie? Er hatte Zeit seines Lebens einen tiefsitzenden Schmerz."

"Eine Depression also?" fragte Nikos.

"Ja, auch, aber ich meine etwas anderes. Hier hat er sich nie wirklich wohl und verstanden gefühlt. Das hat er bis jetzt immer durch seine Skulpturen kompensiert. Er war Künstler. Auf dem Platz habt ihr sicher einige seiner Skulpturen gesehen."

"Die Ionenantriebsteile?" fragte Vijar.

"Ähm, vermutlich, ja. Ich kenne mich nicht so mit Raumschifftechnik aus. Aber ja, viele sind wohl mal Antriebs- oder Steuerelemente gewesen. Seine Aufgabe hier war es, Maschinen und Geräte zu reparieren. Ohne ihn…” Ein paar Sekunden Schweigen, dann seufzte er. “Er hat nicht hierhergehört. Wäre er nur auf einer großen Welt geboren worden, dann hätte er auch die Aufmerksamkeit bekommen, die er verdient hätte. Hier haben die Leute ihn nie richtig wertgeschätzt.

"War er verhasst?" fragte Gorbani.

"Ach, nein!" sagte er abweisend. "Er hatte Menschen, die ihn mochten, sogar liebten. Nur ich fürchte, dass er noch etwas anderes wollte. Ich weiß es nicht. Schlussendlich hat sich sein Geisteszustand verschlimmert. Er hat es nicht mehr ausgehalten." Er lachte auf. "Ich kann es ihm nicht mal verübeln." Jetzt schwang deutlich Trauer in seiner Stimme mit und seine Augen wurden auch feuchter.

Yotekom Arthur und Komander Lashenko kehrten wieder in den Saal zurück.

“Es tut mir wirklich leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen,” sagte Mikayel, der Vanim der Hauptstadt. “Die ganze Sache ist wirklich sehr…” Er sagte ein Wort, dessen Bedeutung das Rosetta-Modul nicht wirklich fassen konnte. Aber dem Landetrupp erahnte sich, was er damit meinte.

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“Waren auch Sie gute Freunde?” fragte Gorbani zu Mikayel.

“Freunde? Nein. Das würde ich wirklich nicht sagen. Ich fand ihn immer etwas exzentrisch, um mit ihm gut zu stehen.” ‘Exzentrisch’ war in dem Fall nur eine annähernde Übersetzung des originalen Wortes. “Nichtsdestotrotz wird es eine große Herausforderung sein, mit seiner Abwesenheit konfrontiert zurechtzukommen."

Die Astronauten sahen sich an und nickten dann.

“Nun, es ist spät und heute ist viel mehr passiert, als man gewohnt ist. Bitte versteht es nicht falsch, aber wir beide würden uns ganz gerne zurückziehen”, sagte Mikayel.

“Wir möchten euch anbieten, die Nacht hier zu verbringen,” warf Bertrand ein, woraufhin Mikayel ihn eindringlich anblickte. Er erwiderte den Blick, ließ sich von ihm jedoch scheinbar nicht beeinflussen. “Sicher war der Tag auch für euch anstrengend, sowie die Reise zu unserem bescheidenen Dorf.”

Die Mitglieder des Landetrupps tauschten Blicke aus, als ob sie sich telepathisch beraten würden. Der Reihe nach nickten sie, dann sagte Gorbani dem Paavanim: “In Ordnung, wo werden wir denn übernachten können?”

“Wir werden für euch natürlich ein Gästehaus einrichten, wo ihr nächtigen könnt. Dabei möchten wir Sie um Geduld bitten. Da wir selten Gäste empfangen, haben wir keine freien Räume zu diesem Zweck.”

“Es gibt gar keine leerstehenden Zimmer oder Gebäude? Das gäbe es doch in jeder Siedlung”, sagte Arthur.

Mikayel und Bertrand tauschten einen weiteren Blick aus. Letzterer sagte dann: “Wir werden etwas finden. Haben Sie etwas Geduld, bis wir die Zimmer hergerichtet haben. In der Zwischenzeit können Sie sich gerne etwas umsehen, allerdings muss ich Sie bitten, sich vom fünften Stock dieses Gebäudes fernzuhalten.

“Was ist da?” fragte Vijar.

Bertrands Blick strahlte für eine kurze Sekunde Missbilligung aus. “Meine Privatgemächer.”

“Oh. Achso,” sagte er darauf mit leicht fragendem Unterton.

“Sie sind fremd. Vergessen Sie das bitte nicht. Fassen Sie das nicht als Beleidigung auf, aber wir wissen noch nicht genug über Sie, um Ihnen trauen zu können", sagte Mikayel.

Überrascht von seiner plötzlichen Veränderung im Tonfall sagte Lashenko: “Nun… wir können das gut nachvollziehen. Ihr seid eben keine Besucher gewohnt, wenn ihr die ganze Zeit unter euch gelebt habt. Da fällt es einem eben nicht so leicht, Fremden einfach zu vertrauen.” Er sagte den letzten Satz mit einem sympathischen Lächeln. “Aber seid versichert, dass wir eure Gastfreundschaft nicht ausnutzen wollen. Wir werden nicht ungefragt Privaträume von anderen betreten. Das tut man bei uns auch nicht.”

Mit unveränderter strenger Miene sah Bertrand den Astronauten an, dann nickte er. “Gut. Ich komme dann auf Sie zurück, sobald eine geeignete Bleibe hergerichtet worden ist.”

Mikayel bedeutete Bertrand, ihm zu folgen. Er sah nicht besonders glücklich darüber aus, die Fremden hier zu haben. Bertrand jedoch sah allerdings auch nicht allzu glücklich mit Mikayel aus.

“Wir sehen uns dann später, Kaptan,” sagte der Paavanim und verabschiedete sich damit vom Landetrupp.

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Nikos schüttelte den Kopf, während sie sich hinausbegaben. “Irgendetwas ist hier doch merkwürdig, oder?”

“So?” fragte der Kaptan interessiert.

“Ja. Und wie! Aber ich bin mir noch nicht sicher, was es genau ist.”

Sie traten aus dem Hauptgebäude hinaus vor den Treppenaufgang, der nach unten zum Platz führte und sahen sich die Kolonie von Näherem an. Die Häuser waren aus gelbbraunen Gesteinen gebaut, die auf dem Planeten vorkamen, scheinbar eine Art Sandstein. Neben dem Hauptgebäude, das mit fünf Stöcken das größte hier war, waren in einigem Abstand dazu weitere, die sehr ähnlich aufgebaut waren. Kreisrund und nach oben hin leicht verjüngend, wo es dann in einem leicht gewölbten kunstvollen Glasdach endete. Vielleicht gab es eine Art überdachten Innenhof. Vom Plateau, auf dem das Hauptgebäude errichtet war, führten gebogene Säulengänge und Treppen, die das Fundament der runden Gebäude umwanden, zu den anderen Gebäuden und erschufen damit einen großen verbundenen Komplex, in dem das eine Kuppelhaus nicht ohne das andere existieren konnte. Die Bauweise erinnerte sehr an die von Kolonien auf inhabitablen Planeten, wo massive Kuppelgebäude und Dächer aus Gelglas auf ähnliche Weise gebaut wurden. Natürlich hatten diese nicht solche offenen Plätze wie hier, sondern eher unterirdische Verbindungstunnel. Stammten die Siedler hier vielleicht von einer Kolonie, wo es exakt solch eine Habitat-Architektur gab? Als Archäologin und Anthropologin hätte Gorbani dies liebend gern herausgefunden. Hier wurde außerdem viel Zeit in die Gestaltung der Außenarchitektur gesteckt. Auch die Gläser waren sehr kunstvoll getönt und bildeten Motive ab, die an der lokalen Fauna orientiert waren. Den Bauten sah man allerdings an, dass sie schon sehr alt waren. Sie könnten wirklich dringend eine Renovierung vertragen.

Vijar sah sich die Skulptur an, die er zuvor auf dem Platz gesehen hatte. “Das ist also ein Kunstwerk von diesem Ognyan?” Er befühlte die Komponenten aus denen sie gefertigt war. “Tja, kein Wunder, dass die Teile technisch keinen Sinn machen, da wo sie platziert sind. Mist! Jetzt fühle ich mich schlecht, dass ich es nicht als Kunstwerk erkannt habe.”

“Sie brauchen sich nicht schlecht zu fühlen. Wir haben ja auch eher nach Raumschiffen gesucht und nicht nach Kunst”, sagte Gorbani. “Und das einzige, was wir bis jetzt erkannt haben, was irgendwie nach Raumschifftechnik aussieht, sind diese Skulpturen. Ansonsten gibt es hier nicht mal Kurzstreckenflugzeuge.”

“Damit hat er wohl auch das Schiff gefertigt, mit dem er geflogen ist. Deswegen konnte es auch gar nicht in irgendeinem Katalog stehen”, sagte Vijar. “Die Kolonisten haben ihre ursprünglichen Schiffe wohl zerlegt, um sie für andere Maschinen wiederzuverwenden, also musste er alles selber bauen. Wenn er tagtäglich damit gearbeitet hat, wusste er irgendwann wohl, wie man Ionenschiffe baut." Vijar schwieg für einen Moment. “Er war sicher ein sehr begabter Handwerker. Wirklich ein Jammer um ihn. Auf Terra wäre er ein großartiger Ingenieur gewesen oder ein bekannter Künstler. Dass er hier versauern musste, ist echt eine Verschwendung von Talent.”

“Warum aber hat er extra ein Raumschiff gebaut, nur um abzuleben?” fragte Lashenko.

“Er hat ziemlich viele Skulpturen gemacht,” sagte Arthur nur darauf.

“Ja, hier stehen so einige rum. Ich frage mich, ob die Leute hier sie jetzt auch so zu schätzen wissen, wie er es sich vorgestellt hatte,” sagte Gorbani. Jetzt erst fielen ihr die vielen Fahrzeuge und Geräte auf, die hier hin und wieder herumlagen und eindeutig keine Skulpturen waren. Gepaart mit dem Verfall der Gebäude und den fast leeren Straßen mit kaputtem Asphalt erzeugten sie ein unwohles Gefühl bei ihr.

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“Etwas ist an dieser ganzen Kolonie extrem faul”, sagte Nikos, die es ebenfalls fühlte. “Die Felder sind augenscheinlich erntereif, aber niemand macht dort irgendwelche Arbeit. Ich meine, Siedlungen dieser Größe sollten doch vor Leben und Tatendrang strotzen, aber die wenigen Leute, die wir bis jetzt getroffen haben, sahen müde aus, als hätten sie ihre Energie lange verloren.”

“Vielleicht gab es ja etwas, was ihr Wachstum gehemmt und die Moral der Menschen hier zerstört hat”, meinte Lashenko.

“Abgesehen von Ognyans Tod zumindest”, wendete Vijar ein.

Nikos schüttelte den Kopf. “Wenn eine Person stirbt, kommt es ja normalerweise nicht zum Stillstand der gesamten Gesellschaft, so wie hier, selbst wenn ihn mehr Leute mochten, als Bertrand und Mikayel es ihnen zumuten.”

“Da magst du Recht haben”, sagte Gorbani. “Bei dem Zustand der Gebäude und Fahrzeuge glaube ich, dass sie lange vorher stehengeblieben ist.”

“Wenn er krank war, dann hat Ognyan seine Arbeit wahrscheinlich deswegen vernachlässigt. Das würde die Fahrzeuge erklären”, meinte Vijar.

“Ognyan wird ja nicht der einzige gewesen sein, der sich mit Mechanik auskennt. Sicherlich wird es hier Lehrlinge geben”, sagte Gorbani.

“Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist, Kaptan, aber ich persönlich habe bisher noch keine Kinder oder Jugendliche gesehen”, sagte Arthur.

Gorbani drehte sich verblüfft zu ihm um. “Sie haben Recht! Ja, jetzt wo Sie es sagen, wir haben tatsächlich keine Kinder gesehen.”

“Vielleicht sind sie alle aktuell in den Gebäuden”, sagte Vijar. “So eine Kolonie hat doch sicher auch Schulen. Vielleicht leben Sie in einer Art Internat oder so.”

Mikayels Erscheinen unterbrach die Konversation. Er kam aus dem Hauptgebäude und sah die Mitglieder des Außenkommandos. “Ah. Gut, dass Sie noch hier sind. Das erleichtert mir die Arbeit. Ihre Zimmer sind hergerichtet. Wenn Sie mir folgen würden?”

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Sie riefen das Shuttle, welches sie im Waldstück am Rande der Siedlungen gelassen hatten, herbei und stellten es auf einer Plattform in der Nähe ab. Dann gingen die fünf mit Mikayel in eines der Gebäude, welches mit dem Hauptgebäude durch einen gebogenen Säulengang verbunden war. Sie kamen in schön eingerichteten Räumlichkeiten an. Vermutlich war dies eine Art Wohn- oder Freizeitraum, allerdings wurden die Möbel verstellt. Da wo Sofas oder Tische vermutlich vorher gewesen waren, lagen nun drei Futon-Betten. Alles sah rustikal, aber geschmackvoll aus und obwohl eine Renovierung vermutlich notwendig gewesen wäre, war es zumindest sauber. Hier war alles von Hand aus lokalen Materialien gemacht worden. An der Wand hingen diverse Bilder, sowohl von den Koloniebewohnern, als auch Landschaftsgemälde, ebenso wie Dekorationsobjekte, die aus einem den Astronauten unbekannten Kunsthandwerk gefertigt wurden. Gorbani war sich nicht sicher, ob diese nur zur Dekoration dienten oder vielleicht einem religiösen oder anderen Zweck dienten.

"Dies ist meine Wohnung. Wir haben zwei Räume als Schlafzimmer umfunktioniert. Leider konnten wir keine separaten Zimmer für euch alle bereitstellen. Was Bertrand sich dabei gedacht hat… Naja, es tut mir leid, dass wir nicht mehr für Sie tun können. Andere freie Räume gibt es nicht. Abgesehen von Ognyans– nein. Da könnt ihr nicht hinein."

“Das ist völlig in Ordnung. Wir sind viele Tage auf der Kupe unterwegs gewesen. Mal zur Abwechslung auf der Oberfläche bei offenem Fenster zu schlafen, ist schon der reinste Luxus,” sagte Gorbani und schaute sich weiter im Raum um. "Das sind sehr schöne Bilder.” Sie sah zu Mikayel. “Haben Sie sie gemacht?"

"Nein. Nicht alle zumindest. Viele der Portraits zum Beispiel sind von Sarah." Er sah die fragenden Blicke der Crew und brauchte ein wenig um zu verstehen, dass sie sie logischerweise nicht kennen konnten. “Das ist Ognyans Schwester”, fuhr er fort.

"Es scheint hier ja einige Künstler zu geben," sagte Vijar.

"Viel anderes zu tun gibt es hier auch nicht”, sagte er. Man konnte Wehmut in seinen Worten hören. “Gut, ich möchte Sie bitten, nichts anzufassen. Belasst alles so wie es ist, danke. Wenn es sonst noch etwas gibt, die Kolonie ist klein und ich bin direkt ein Stockwerk obendrüber. Ich wünsche Ihnen eine erholsame Nacht.”

“Warten Sie”, unterbrach ihn Gorbani, da er sich bereits abwandte, um zu gehen. “Eine Rotation hier dauert etwa 32 Stunden, richtig?”

“Das ist richtig”, sagte er.

“Wir sind 24 Stunden gewöhnt und schlafen deshalb nicht so lange wie ihr.”

“Ach ja, ich vergaß. Andere Planeten, andere Zeiten. Das hatte ich gar nicht mehr bedacht”, sagte er.

“Wollen Sie nicht den Rest des Abends mit uns noch einen Tee trinken?” fragte sie. Die anderen Mitglieder schauten ihn fast erwartungsvoll an, aber auch nur fast. “Vielleicht einen anderen als den von vorhin?”

“Also ich fand ihn köstlich”, erwiderte Arthur, worauf die anderen Astronauten ihn fragend anschauten.

“Vielleicht können Sie uns etwas über diese Kolonie erzählen”, fuhr der Kaptan fort.

“Für mich ist es wirklich spät”, entschuldigte er sich. “Morgen haben wir noch genug Zeit für Geschichten und an Zeit mangelt es uns nicht. Ich fürchte aber, Bertrand ist ohnehin besser darin als ich, also fragt bitte ihn.”

“Habt ihr denn sowas wie Abendessen hier?” fragte Vijar.

Mikayel sah ihn mit einem Ausdruck an, den er nicht zuordnen konnte. “Nicht jeden Tag. Und leider habe ich gerade auch nichts Essbares da. Es tut mir leid, falls ihr das erwartet habt.”

“Sie haben gar nichts hier?”

Er schüttelte den Kopf. “Nun– zumindest nichts, was ich Ihnen anbieten könnte.”

“Das ist in Ordnung”, sagte Gorbani. “Wir haben Feldrationen und Supplemente. Die nehmen wir standardmäßig auf Außeneinsätze mit.”

“Ah. Das ist sehr gut. Dann seid ihr ja versorgt.” Er klatschte die Hände einmal zusammen. “Na dann möchte ich mich jetzt von Ihnen verabschieden. Gute Nacht.”

“Wir danken Ihnen vielmals für Ihre Gastfreundschaft”, meinte Gorbani noch zu ihm.

“Keine Ursache.” sagte er darauf hastig und verschwand.

“Na der hatte es ja eilig, in die Heia zu kommen” sagte Vijar.

“In der Tat. Mich beschleicht das Gefühl, er ist nicht sonderlich angetan von unserer Präsenz”, sagte Arthur.

“Tut es das?” fragte Vijar.

“In der Tat, das tut es”, sagte Arthur.

“Nicht im Ernst, oder?” sagte Vijar.

“Machen Sie sich gerade über mich lustig, Ensin?”

“Nein!” erwiderte dieser voller Ernsthaftigkeit.

“Dann ist ja gut.”

“Gut.” Die beiden blickten einander für mehrere Sekunden an und Vijar kämpfte gegen ein Grinsen an. Arthur nicht, aber er schien ihm auch nicht böse zu sein.

Nikos schmunzelte. “Aber jetzt mal im Ernst. Es fühlt sich wirklich so an, als würde er uns am liebsten hier weghaben wollen.”

“Daran besteht kein Zweifel und das obwohl er uns sein Zuhause zur Verfügung stellt”, meinte Arthur.

“Ich bin davon überzeugt, etwas geht nicht mit rechten Dingen zu. Irgendwas wird uns hier verschwiegen", fuhr Nikos fort.

“Was immer es ist, morgen werden wir es sicher herausfinden.” Vijar ließ sich auf eine der Futon-Matratzen fallen.

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Bis zum nächsten Morgen dauerte es fast 11 Stunden. Die an acht Stunden Ruhezeit gewöhnten Astronauten waren nun mehr als ausgeschlafen und begaben sich deshalb recht früh wieder zum Hauptgebäude, nachdem sie sich frisch gemacht hatten.

“Ich hoffe, sie kennen hier zumindest das Konzept von Frühstück”, sagte Vijar auf dem Weg. “Ich sterbe fast vor Hunger und ich habe keine Lust, weitere Feldsupplemente zu nehmen.”

Als sie am Platz ankamen, sah Nikos an der Seite eines der Gebäude dann jedoch Menschen, die untereinander tuschelten und die Neuankömmlinge nicht aus den Augen ließen. Es waren zwei Frauen und ein Mann. “Dort! Vielleicht sollten wir uns mal mit denen unterhalten”, sagte Nikos und deutete auf die Leute.

Die fünf nickten und bewegten sich auf die anderen Menschen zu, die sie mit Interesse, Faszination und mit Vorsicht ansahen. Gorbani zeigte dem Landetrupp mit einer Geste, dass sie nicht zu nahe kommen sollten.

“Seid ihr die Reisenden?” fragte der Mann wissbegierig in seiner Sprache.

“Ja, das sind wir,” erwiderte sie.

“Oh, das ist wirklich aufregend! Seid ihr wirklich aus dem All? Wie ist es da oben so.”

“Kalt und düster,” entgegnete Lashenko trocken, schmunzelte dabei aber und die Unsicherheit des anderen Mannes legte sich. “Ein Scherz. Es ist ganz friedlich da oben und die Aussicht auf Planeten und Nebel ist großartig.”

“Oh, das hört sich toll an. Ich wollte auch immer in den Weltraum, aber leider geht das nicht.”

“Weil ihr keine Schiffe habt?” fragte er darauf.

“Ach, Schiffe könnten wir eh nicht benutzen. Deshalb haben wir sie damals auch abgebaut.” Dies löste Fragen in den Astronauten auf, doch bevor jemand von ihnen nachhaken konnte, sagte er “Bitte, kommt doch zu mir nach Hause und erzählt uns alles über eure Erlebnisse im Weltraum. Ich kann einen Tee aufsetzen oder ich mache euch mein Leibgericht. Pilzwurzelsuppe mit süßem Rindenharz und Beginid.” Für das letzte Wort hatte das Rosetta-Modul wieder keine Entsprechung. Alle anderen Zutaten waren wörtliche Übersetzungen. Abgesehen davon waren die anfänglichen Ungenauigkeiten im nun durch die vorherigen Konversationen gewonnenen Daten weitestgehend ausgebügelt. Mittlerweile konnte sich der Landetrupp ohne großartige Schwierigkeiten mit den Einheimischen verständigen. Nicht zuletzt war dies Nikos’ Arbeit geschuldet, aber auch der Tatsache, dass die Sprache sich hier über die Jahrhunderte vergleichsweise nur sehr wenig verändert hatte.

“Da haben Sie Ihren Tee und Ihr Frühstück”, sagte Lashenko den anderen auf Terrango.

“Das klingt nach einem verlockenden Angebot,” sagte Gorbani zu dem Mann, “wir würden auf Sie zurückkommen. Vorher würden wir aber noch gerne einmal kurz mit Paavanim Bertrand…”

“Stimmt es…” unterbrach eine der Frauen sie schüchtern. “Stimmt es, dass ihr Ognyan gesehen habt?”

Die Heiterkeit des Mannes verflog.

“Ist es wahr?” fragte sie weiter.

Gorbani nickte zögerlich. “Wir haben das Schiff gesehen, wie es zerstört wurde. Es tut mir sehr leid.”

Die Frau senkte den Kopf.

“Kannten Sie ihn?”

Sie nickte. “Mein Bruder. Ich habe ihn sehr geliebt.”

Das war Sarah. Sie war definitiv traurig, aber weder weinte sie, noch wurde sie wütend. Vielmehr schwang ein Gefühl von Akzeptanz in ihren Worten mit.

Sie hat es kommen sehen, vermutete Gorbani. “Ihr Verlust tut mir sehr leid. Er muss Ihnen viel bedeutet haben”, sagte sie.

Die Frau nickte. “Mehr als alles andere”, übersetzte Rosetta ihre Sprache, doch als Alternative gab das Programm auch noch “Mehr als alle anderen” und “Mehr als allen anderen” an.

“Hey!” hörten sie eine entferntere Stimme von links, als Gorbani gerade nachhaken wollte. “Sind das die Fremden, die Ognyan umgebracht haben?”

Der Kaptan zögerte nicht und hielt seine Waffe griffbereit. Die anderen taten es ihm gleich.

Die Person, die der Stimme gehörte, näherte sich mit einer Gruppe offensichtlich wütender Leute.

"Das sind sie. Seht nur ihre Anzüge!" sagte eine andere Person.

"Na wartet, ihr glaubt, hier einfach in ein System zu kommen, mit dem ihr nichts zu tun habt und einfach Raumschiffe zu zerstören, wie euch beliebt, ihr Piraten!?" Die Person hatte einen langen Stab mit einer rostigen Metallspitze in der Hand. Nikos bezweifelte, dass sie hier mit Speeren Tiere jagen würden. Deshalb war es vermutlich ein Farmwerkzeug, aber nicht minder gefährlich.

"Lass sie in Ruhe, Oleg!" sagte Ognyans Schwester. "Sie haben nichts damit zu tun, sie waren nur Zeugen."

"Das sagen sie vielleicht. Lass dich doch nicht von Fremden täuschen, Sarah. Die können alles behaupten."

"Was spielt das für eine Rolle, Oleg? Er ist tot. Selbst wenn, was bringt uns denn schon noch Rache?" Ihr zwischenzeitlich aggressiver Ton verflachte sich wieder zu ihrer ursprünglichen Resignation. Sie sah ihn flehend und wütend fordernd zugleich an.

"Gerechtigkeit für deinen Bruder bringt uns das! Ihr glaubt, einfach so einen der unseren töten zu können? Unterschätzt uns bloß nicht. Hier unten könnt ihr uns gar nichts mehr anhaben!" Oleg ging mit dem speerartigen Werkzeug auf die Astronauten zu. Die anderen in seiner Gruppe folgten ihm und die Astronauten gingen in eine Verteidigungsposition und zückten ihre Schusswaffen. Oleg setzte seinen Speer zu einem Stich an. Nikos sah, dass die Spitze leicht abgerundet war. Sie vermutete, dass sie diese Werkzeuge benutzten um Löcher in den harten Boden zu stechen und darin dann Saat auszusäen.

Verdammt, konzentrier dich! sagte sie sich. Warum dachte sie gerade jetzt an sowas, wo sie doch gleich aufgespießt werden würde.

Gorbani richtete ihre Waffe auf Oleg. "Ich denke, ihr wisst sicher, was das hier ist? Ein Schuss und ihr seid außer Gefecht. Also bloß keinen Schritt weiter! Wenn ihr meiner Crew auch nur ein Haar krümmt, schieße ich!"

Sie hoffte, dass sie nicht schießen musste. Denn auch wenn ihre Waffen nur auf Betäubung gestellt waren, wussten sie das nicht. Sie könnten die Getroffenen für tot halten. Wenn das passiert, würden die Astronauten vertrieben werden und ihre Mission wäre gescheitert.

"Oh nein, das wirst du nicht!" Oleg näherte sich völlig unbeeindruckt weiter.

Gerade als Gorbani dabei war, ihren Finger krümmen, stellte sich Sarah zwischen die fünf und den wütenden Oleg, welcher den Stich zu dem er ansetzte, abrupt stoppte, ganz zur Überraschung des Landetrupps.

"Verdammt, was tust du da?" fragte er.

"Du handelst aus Wut, Oleg! Ich verstehe das vollkommen. Ich bin auch aufgebracht, noch viel mehr als jede andere hier." Sarah schien in dieser Situation überhaupt keine Angst zu haben. Die Astronauten des Landetrupps bewunderten ihre Furchtlosigkeit, hatten nun aber auch Angst, dass sie sich verletzt.

"Geh aus dem Weg, Sarah! Ich habe keine Lust, dir Schmerzen zuzufügen."

"Wenn du sie verletzt, könnten sie sterben. Begreifst du das denn nicht?!"

"Das ist mir schon noch bewusst. Jetzt geh endlich zur Seite!"

"Du hast keine Ahnung, ob sie schuldig sind. Geh nach Hause, Oleg!"

Oleg hörte nicht auf sie. Er führte sein speerartiges Werkzeug an ihr vorbei und versuchte, sie wegzudrücken.

Das war die Gelegenheit. Jahan Gorbani, jahrelang in Kampfkünsten erprobt, bewegte sich an Sarah vorbei, auf Oleg zu und griff das Werkzeug unter ihren Arm, drückte es in einem kräftigen Ruck herunter, sodass Oleg mit ihm in Richtung Boden gedrückt wurde. Sie setzte ihren Körper ein und riss ihm das Werkzeug aus der Hand. Dann drehte sie das Werkzeug herum, sodass die Spitze in Richtung des perplexen Oleg und den anderen bewaffneten Dorfbewohnern zeigte. Sie verblieb in der Verteidigungspose und stellte sich schützend vor Sarah. Doch die Dorfbewohner schienen ebenfalls keine Furcht zu haben und blieben nicht vor ihr stehen.

"Was ist hier draußen eigentlich los?" rief eine Stimme. Es war Mikayel, der in dem Tumult versuchte, zu den Kämpfenden zu kommen. "Was bei allen?"

"Sie haben ihn umgebracht, Vanim!"

"Das weißt du nicht, Oleg!" erwiderte Sarah.

"Ich denke, wir sollten hier mal nichts unüberlegtes tun," sagte Mikayel mit scharfem Ton und blickte dabei vor allem die Wütenden mit Stöcken und anderen zu Waffen zweckentfremdeten Utensilien an.

"Ich kann Ihnen versichern, dass wir nichts mit seinem Tod zu tun haben. Wir…" Nikos stockte.

"Wir haben versucht, ihn zu retten," ergriff Arthur das Wort. Alle Aufmerksamkeit war nun auf ihn gerichtet. Oleg starrte den Androiden mit Abstoßung, aber auch einem Hauch Faszination an. "Wir haben gesehen, wie er in eure Sonne geflogen ist. Er war leider zu weit entfernt, als dass unsere Piloten ihn noch hätten einholen können. Als er in der Korona explodiert ist, war er schon so weit drin, dass wir nichts mehr tun konnten.”

“Ja”, stimmte Vijar mit ein. “Ich bin einer der Piloten, der rausgeflogen ist und habe es gesehen. Es tut mir wirklich leid.”

Olegs Gesicht zeigte keine Reaktion.

“Wir haben seine letzten Worte als Aufnahme", fuhr Arthur fort.

Eine kurze Pause. “Ist das wahr?” fragte ein anderer der Dorfbewohner.

"Es stimmt," sagte Nikos leise. "Ich habe gestern den ganzen Vormittag damit verbracht, sie kenntlich zu machen. Es war zu undeutlich, um irgendeine Sprache identifizieren zu können. Jetzt aber…” Sie wurde leiser. “...denke ich, dass ich weiß, was er sagte."

"Ihr habt eine Aufnahme? Dann spielt sie ab! Sonst glaube ich euch kein Wort", sagte Oleg. Aus der Menge kamen zustimmende Rufe.

Nikos sah der Reihe nach Komander Lashenko und Kaptan Gorbani um Zustimmung an. Diese nickten. Mist! dachte sie. Ein wenig hatte sie gehofft, die Aufnahme nie wieder hören zu müssen. Sie suchte die verbesserte Aufnahme aus der Datenbank und spielte sie über ihr HAVI ab.

Die Aufnahme war durch die Strahlung etwas in Mitleidenschaft gezogen worden, doch Yotekom Nikos hatte zum Glück ein Talent mit Algorithmen, sodass Ognyan nun deutlich zu verstehen war:

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“Wenn ihr das hier hört, dann habe ich es geschafft. Ich bin in die Sonne geflogen und gestorben. Es ist kaum zu glauben, dass es nun doch zu Ende mit mir geht. Es tut mir leid, dass ich euch dies hier antue, aber…” Er stockte. In seiner Stimme lag eine tiefe Traurigkeit. “...ich kann so einfach nicht mehr weitermachen.”

"Oh, das ist Ognyan!" sagte Sarah und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. "Mein guter Ognyan!" Der andere Mann nahm sie in die Arme. Alle Anderen hörten schockiert zu.

Er fuhr fort: “Mir ist bewusst, was ich damit tue, oder besser gesagt, was dies für euch und die Gemeinschaft bedeutet. Glaubt mir, wenn ich sage, dass dies keine leichte Entscheidung war.” Er schluckte. “Lieber Bertrand, ich will dir sagen, dass ich dich immer geachtet und geschätzt habe. Du warst immer ein guter Freund, wenn nicht der beste, den man sich vorstellen kann.” Er pausierte wieder zum Luftholen. “Oleg, ich weiß, wir hatten unsere Differenzen. Aber bitte verstehe, dass ich dich nie gehasst habe. Auch dich habe ich geschätzt.” Der Reihe nach gab Ognyan verschiedenen Dorfbewohnern eine Abschiedsnachricht, alle davon auf ihre Weise positiv.

“Und liebe Sarah, ich möchte vor allem dir sagen, dass ich für dich immer nur Liebe empfunden habe…” Eine weitere Pause, diesmal fast doppelt so lang wie die vorherige. “...Und es tut mir leid, dass ich dir das hier antue. Ich hoffe, du verstehst. Was immer du tun wirst, ich respektiere es.”

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Die Aufnahme endete. Stille. Niemand sagte etwas für eine gefühlte Minute. Nur Sarah hörte man schluchzen. Es war, als ob der Geist Ognyans die Kolonie ein letztes mal besucht hatte.

Seh… e… …ei! Nikos musste unweigerlich an den Funkspruch denken, als sie Ognyans Stimme hörte. Nun, da die Astronauten genug Daten zur Sprache hatten, hatten sie auch eine Ahnung, was er gesagt hatte. Doch diese Nachricht kurz vor seinem Tod würde sie auf keinen Fall mehr abspielen.

"Ich denke…" ergriff Mikayel das Wort, "dies war für uns alle ein sehr aufreibender Morgen. Auch ich bin sehr aufgebracht über den Tod einer der unseren, aber das darf uns nicht zerreißen. Er hätte nicht gewollt, dass unsere Gemeinschaft zerbricht. Wir sollten uns nun alle zurückziehen und…" Er sah dabei Oleg eindringlich an, "...über die heutigen Geschehnisse reflektieren." Oleg, der sein Werkzeug inzwischen gesenkt hatte, erwiderte Mikayels Blick, noch mit Wut, doch zunehmend mit Schuldgefühlen und Zweifel.

Gemurmel machte sich breit unter den Menschen und allmählich begaben sie sich zurück in Richtung ihrer Heimat.

Mikayel wandte sich den Astronauten zu. "Und ihr…" sagte er ihnen mit leisem aber scharfem Ton, "...solltet euch hüten und besser aufpassen, dass ihr nicht noch mehr Ärger macht.”

Gorbani wurde ebenfalls schärfer im Ton. “Das werden wir nicht, das versichere ich Ihnen, denn wir sind hier sowieso fertig. Offenbar sind wir hier nicht länger als Gäste willkommen. Wir würden mit Bertrand noch ein paar Dinge besprechen und danach zu unserem Schiff zurückkehren.”

“Tja, das fände ich auch schön. Wenn es doch nur so einfach wäre.”

Diese Aussage alarmierte Gorbani. “Was meinen Sie damit?”

“Na, dass Sie den Planeten nicht mehr verlassen können. Ich denke, das ist Ihnen bewusst.”

Gorbani trat drohend näher auf Mikayel zu und sagte scharf: “Das ist es leider nicht. Wie meinen Sie das, dass wir den Planeten nicht verlassen könnten?”

Zwischen dem Kaptan und Mikayel waren nun nicht mal mehr zehn Zentimeter Abstand und sie sahen sich direkt in die Augen. Ihre Strahlenpistole war allerdings auf den Boden gerichtet, sodass sie niemanden damit verletzen würde. Mikayel zeigte sich gänzlich unbeeindruckt von ihrer drohenden Haltung.

“Wusstet ihr das denn nicht?” fragte Mikayel. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. “Ihr wusstet es tatsächlich nicht, oder?"

“Ich habe Tumult gehört. Was ist los?” Bertrand erreichte die Gruppe. Er sah Gorbani und Mikayel, die sich gegenüberstanden, und schien direkt die Anspannung zu fühlen.

“Erklären Sie es uns, Paavanim”, sagte Gorbani. “Wir wurden von einem der euren angegriffen.” Langsam wich sie wieder von Mikayel, führte ihre Waffe zurück an den Gürtel, steckte sie allerdings noch nicht in den Holster.

Bertrand sah ungläubig zu Mikayel herüber.

“Oleg”, sagte dieser. “Er hat sie eben bedroht und fast verletzt.”

Bertrand war fassungslos von dem, was er da hörte.

“Paavanim, er ist jung. Ich bin sicher, ihm war nicht bewusst, was er tat. Bestimmt hat er nicht daran gedacht, dass sie von den Verletzungen sterben könnten”, sagte Mikayel.

“Dass wir…” Vijar traute seinen Ohren kaum. “Was genau läuft hier eigentlich?”

“Paavanim…” Mikayel trat einen Schritt auf ihn zu. “Bertrand, bitte sei nicht zu streng mit ihm.

Bertrand unterbrach ihn mit einer beschwichtigenden Geste. “Ich denke, wir kümmern uns nachher um ihn. In aller Ruhe.” Dann blickte er zu den Astronauten und vor allem zu Gorbani. “Jetzt sollten wir uns lieber erstmal um unsere Gäste sorgen. Ich glaube, wir sind Ihnen eine Erklärung schuldig.”

“Ja, allerdings”, sagte der Kaptan. “Fangen Sie vielleicht mit dem an, was er damit meinte, dass wir hier nicht wegkommen.”

Mikayel und Bertrand tauschten Blicke. “Sie kamen scheinbar hierher und wussten es nicht”, sagte ersterer.

“... wussten was nicht?” fragte Lashenko.

Bertrand seufzte. Ich möchte es euch erklären. Aber eins nach dem anderen. Ich denke, dafür sollten wir am besten reingehen, wo es ruhiger und vor allem sicherer ist.” Er deutete auf das Hauptgebäude. “Dürfte ich Sie daher bitten, Ihre Schusswaffen wieder einzustecken? Es gibt keinen Grund für weitere Ausschreitungen.”

Gorbani nickte den anderen Astronauten zu und sie taten, wie aufgefordert.

“Danke”, sagte er.

Die fünf folgten Mikayel und ihm, ohne ein Wort zu sagen. Gorbanis Blick wich jedoch nicht von ihnen.

“Jetzt ist mir auch der Appetit vergangen”, seufzte Vijar und Lashenko stimmte nickend zu.

Auf dem Platz blieb Oleg in einiger Entfernung, während sich die anderen zurück in die Gebäude begaben. Er schmiss sein Farmwerkzeug zu Boden und sah den sieben hinterher, mit einem Rest aus Wut, Schuldgefühlen, aber vor allem Trauer.

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Bertrand, Mikayel und der Landetrupp gingen in den Saal, in dem sie bereits empfangen wurden.

Kaptan Gorbani schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. “So, Paavanim, jetzt verlange ich aber wirklich eine Erklärung, was hier los ist. Etwas an dieser Kolonie ist nicht normal und ich will wissen, was es ist. Was verheimlicht ihr uns?”

“Ich will mich von ganzem Herzen im Namen der ganzen Kolonie entschuldigen, für das, was heute geschehen ist. Seit Ognyan tot ist, sind wir alle mehr als aufgebracht. Ein Tod kommt hier nicht häufig vor.”

Gorbani schwieg und gab ihm nur einen fragenden Blick zurück. Sie ahnte bereits, worauf es hinauslief, allerdings tat sie es zuerst für Unfug ab.

“Wir leben hier ganz für uns in unserer kleinen Gemeinschaft und bekommen wirklich selten Gäste. Das letzte mal, dass ich mich an den Kontakt mit Fremden erinnern kann, ist ziemlich lange her. Es müssten jetzt knapp 90 lokale Jahre sein.”

Keiner sagte etwas, bis Lashenko das Wort ergriff: “Moment, Yotenan Nikos, war die Übersetzung richtig? Sagten Sie gerade 90 lokale Jahre? Das wären umgerechnet fast 50 Terranische Standardjahre.”

Nikos überprüfte die Übersetzung und nickte. “90 lokale Jahre. Das hat er gesagt.”

“Das ist mehr als interessant”, sagte Arthur. “Sie sehen für mich aber nicht älter als 37,5 Terranische Jahre aus.”

Bertrand runzelte die Augenbrauen amüsiert. “Eine merkwürdig spezifische Schätzung, aber ja, ich denke, wenn man andere Standards gewohnt ist, wäre sie angebracht. Ihr Name war Arthur, richtig? Ich muss Sie enttäuschen, Sie liegen daneben.”

“Sarah sagte: 'Wenn du sie verletzt, könnten sie sterben', als dieser Oleg uns angegriffen hatte, so als wäre ihm die Konsequenz nicht bewusst gewesen, meinte Vijar. “Bedeutet das, wenn er Sarah mit seinem Speer getroffen hätte…”

“Es hätte ihr wehgetan, aber sie auf keinen Fall tödlich verletzt”, sagte Mikayel.

“In Terranischen Jahren…” sagte Bertrand und schaute aus dem Fenster in den Wald, “...bin ich um die 160 Jahre alt.”

Es dauerte etwas, bis die Astronauten diese Information verarbeiten konnten.

“Nein – 160 Jahre?” sagte Nikos ungläubig.

“In etwa. Seien wir ganz ehrlich, was bedeuten in solch einem Alter schon noch Zahlen. So etwas wie Geburtstage feiern wir hier nicht.”

“Ich wäre etwa 130 Terranische Jahre, wenn ich richtig gerechnet habe”, sagte Mikayel.

“Also bedeutet das…” setzte Gorbani an.

“Ja, Kaptan.” Er richtete seinen Blick wieder zu den Astronauten. “Wir, die Bewohner dieses Planeten, sind unsterblich.”

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Die Crewmitglieder des Landetrupps schwiegen für eine Weile.

“Mo– Moment mal!” sagte Nikos dann. “Ihr wollt uns allen Ernstes sagen, dass ihr nicht sterben könnt?”

“Oh, wir sind auf jeden Fall in der Lage zu sterben”, sagte Mikayel. “Wir sterben nur nicht an Altersschwäche, Krankheit oder an Verletzungen bis zu einem gewissen Grad, solange wir hier unten sind. Zu schwere Verletzungen würden auch uns töten.”

“Grund dafür…” sagte Bertrand und strich sich durch seine braunblonden Haare, “ist eine Substanz, die es auf diesem Planeten gibt. Wir nennen sie ‘MR-79’.”

“Warten Sie. Sie machen doch Witze. Unsterblich? Aber wie kann das denn sein? Würde die Bevölkerungszahl der Kolonie dann nicht explodieren?” fragte Vijar. “Dafür sind es hier gelinde gesagt extrem wenig Menschen.”

Der Paavanim sah wieder in die Ferne. “Das ist der Preis, den wir für das ewige Leben gezahlt haben. Diejenigen Menschen, die lange genug hier waren, verlieren ihre Fruchtbarkeit. Und es ist vererbbar, denn MR-79 greift das Erbgut an und manipuliert es, sodass Nachkommen spätestens in der zweiten oder dritten Generation unfruchtbar werden. Angeblich hat es mit dem Magnetfeld zu tun. Außerhalb der Magnetosphäre – nun…”

“Das Magnetfeld ist in der Tat sehr einzigartig hier”, sagte Arthur.

“Und deshalb hätte Oleg Sarah auch nicht getötet…” murmelte Nikos und Mikayel nickte ihr zu.

“Das macht alles Sinn”, sagte Arthur und alle Blicke des Landetrupps richteten sich auf ihn. “Wir haben uns gewundert, dass wir bis jetzt keine Kinder gesehen haben. Aber woran wir bis jetzt nicht gedacht haben, ist, dass wir auch keine alten Menschen gesehen haben.”

"Oh doch, das habt ihr. Die Leute hier sind fürwahr sehr alt. Die jüngste Person ist gerade mal 41 Terranische Jahre."

“Wie alt war Ognyan, wenn ich fragen darf?” sagte Nikos.

“Er müsste in etwa 137 Terranische Jahre alt sein… Oder eher gewesen sein”, korrigierte sich Mikayel.

“137 Jahre”, sagte Nikos und ließ die Information einsinken.

“Dann macht es auch Sinn, dass…” Arthur unterbrach sich und sah kurz zu Lashenko, der ihn fragend ansah. “...ich meine, das ist eine lange Lebensspanne für einen Menschen und für ihn wahrscheinlich irgendwann eine große Belastung gewesen.”

“Ich muss zugeben, dass ich das für sehr unwahrscheinlich halte”, sagte Lashenko zu Bertrand und Mikayel. “Wie genau soll diese Substanz, MR-79, eure Körper für eine so lange Zeit funktionstüchtig halten? Ich meine, jede Zelle bricht irgendwann zusammen, außer es handelt sich um eine Krebszelle oder etwas ähnliches.”

Bertrand schmunzelte. “Sie sind ein Wissenschaftler, das merkt man Ihnen an.” Er ging wieder langsam vom Fenster in Richtung der anderen. “Wir haben natürlich einige Forschungen dazu angestellt. Und bis jetzt deutet alles darauf hin, dass die Substanz dafür verantwortlich ist. Wenn ihr wollt, könnten wir euch unsere Aufzeichnungen darüber zeigen.”

“Bertrand!” Mikayel sah ihn wütend an, dann sah er zu den Astronauten. “Es tut mir leid, aber das können wir euch nicht erlauben. Es handelt sich dabei wie ihr euch denken könnt, um sehr – sensible Daten. Diese können wir euch auf keinen Fall geben.”

“Aber was wäre denn jetzt noch der Schaden, wenn Sie es untersuchen, Vanim?”

Mikayel lachte vor Unglauben und Empörung auf. “Ähm, eine Menge? Bertrand, wir kennen diese Leute nicht. Wenn unsere Existenz im Rest der Galaxie publik wird, dann…”

“Und?” sagte der Paavanim. “Vielleicht könnten sie uns ja auch mit der Forschung und der zukünftigen Entwicklung der Kolonie helfen.”

“Die Entwicklung der Kolonie ist nicht deren Sache!”

“Aber siehst du denn nicht, dass es hier keine mehr gibt? Es gibt keinen Nachwuchs und kein Wachstum und keine Erneuerung.”

“Aber auch keine Sterbenden!”

Bertrand lachte und schüttelte den Kopf. “Sieh doch. Wir sind seit Ewigkeiten nur noch dabei, langsam zu sterben.”

“Wir würden euch versichern, dass wir diese Daten mit äußerster Vertraulichkeit behandeln”, unterbrach Lashenko die beiden. “In unserem Recht nehmen wir Datenschutz sehr Ernst. Wir würden die Forschungen niemals ohne euer Einverständnis publik machen.”

“Ich glaube nicht, dass euer Wort da reicht. Selbst wenn ihr niemandem davon erzählt, kein Geheimnis bleibt ewig geheim”, sagte Mikayel.

“Hören Sie, wir müssen uns die Daten auch gar nicht ansehen. Wir sind nur hier, um zu Weltraumkolonien Kontakt herzustellen, nicht um alles über sie herauszufinden. Unsere Auftraggeber erwarten keinen vollen ethnologischen Report”, meinte Lashenko.

“Das ist richtig”, hakte Gorbani ein. “Und da wir euch kontaktiert und über Ognyan in Kenntnis gesetzt haben, sind wir hier eigentlich auch fertig. Wir werden nichts von dieser Substanz in unserem Bericht erwähnen und würden dann auch bald aufbrechen.”

Mikayel sah zu Bertrand herüber. Die beiden tauschten einen langen Blick aus, der mit Besorgnis erfüllt war. Dann sagte Mikayel zu den Astronauten: “Tja, das wird nicht möglich sein. Erinnern Sie sich an unser Gespräch vorhin?”

“Ziemlich deutlich”, sagte der Kaptan.

“Nun…” sagte Bertrand. “Leider wird es für euch höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich sein, den Planeten zu verlassen.”

Gorbani nahm eine Hand an das Holster ihrer Strahlenpistole. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. “Wenn ihr uns etwas antut, wird unsere restliche Besatzung nach uns suchen wollen und eine Fahndung starten. Dann wird es umso unwahrscheinlicher, dass ihr euer kleines Geheimnis bewahren könnt”, sagte Gorbani leise aber mit stetigem scharfem Ton.

“Ich bitte Sie! Das ist das Letzte, was wir möchten”, versuchte Bertrand, sie zu beschwichtigen. “Sie müssen verstehen, sobald Lebewesen in Kontakt mit der Substanz kommen, beginnt sich ihre Biologie zu verändern und darauf anzupassen. Und da ihr nun hier seid, ist es für euch wahrscheinlich sogar schon zu spät.

Gorbani kniff die Augen zusammen, ihren Blick nicht von Bertrand abgewandt. “Was meinen Sie damit?”

“Was ich damit meine ist, dass ihr die Substanz bereits in euch habt und ihr damit unser Schicksal vermutlich bereits teilt.”

Darauf riss sie die Augen weit auf. “Wann? Wann habt ihr uns die Substanz eingeflößt? Wir haben nichts gegessen, was von diesem Planeten kam. Alles was wir zu uns genommen haben, waren Supplemente! Oder…” sie bekam eine Ahnung. “Der Tee!?”

Lashenko legte seine Hand auf die Schulter des Kaptans in einem sinnlosen Versuch, ihn zu beruhigen.

“Sie verstehen es falsch. Die Substanz ist nicht nur in der Nahrung und im Wasser, sie ist auch in der Luft. Sie ist praktisch überall. Und nun auch in Ihnen”, meinte der Paavanim.

“Heißes Wasser”, ergänzte Mikayel, “neutralisiert die Substanz sogar.”

“Und das soll heißen, wir sind jetzt unsterblich?” fragte Nikos.

“Vermutlich”, erwiderte der Paavanim.

“Und wieso sollten wir deshalb den Planeten nicht mehr verlassen können?”

“Nun, weil ihr dann relativ zügig sterben werdet, wenn die Substanz euch erstmal weit genug verändert hat. Eure Körper werden außerhalb der Umwelt des Planeten versagen. Ihr hattet die Substanz mit den ersten Atemzügen in unserer Atmosphäre und wir nehmen an, dass ihr nun unweigerlich mit dem Ökosystem verbunden seid. Der einzige, der vielleicht noch fort kann, sind Sie, Androide, vorausgesetzt es beeinflusst Ihr–” Er gestikulierte um seinen Körper herum. “System – nicht auf ähnliche Art und Weise.”

“Was macht euch da so sicher, dass wir sterben werden?” fragte Nikos.

“Weil wir es ausprobiert haben”, sagte Mikayel. “Wir hatten auch Schiffe und wollten einmal die lokale Region erkunden. Das ist viele Jahrzehnte her. Auch Reisende, die von außerhalb kamen und den Planeten besuchten, starben irgendwann, als sie abfuhren.”

“Alle Raumfahrer, die wir zu einer Mission geschickt haben, sind im All nach einiger Zeit ums Leben gekommen, manche schneller, manche weniger schnell", fuhr Bertrand fort. "Es war ein tragischer Verlust. So haben wir auch unseren Gründer, Raimon Tsels verloren. Wir wissen allerdings leider nicht, was genau ihn und seine Astronauten im Endeffekt getötet hat, denn das Schiff ist nie zu uns zurückgekehrt."

Gorbani trat näher auf Bertrand zu. Ihr entschlossener Blick war von Wut befeuert und richtete sich nicht von ihm weg. “Warum habt ihr uns das nicht vorher gesagt. Warum wissen wir erst jetzt davon?”

“Kaptan, wir wussten ja nicht, dass ihr hierher kommt. Beim besten Willen haben wir keinen Besuch erwartet.”

“Wir haben versucht, euch von oben zu kontaktieren”, hakte Nikos ein. “Aber niemand hat darauf geantwortet. Warum… ich meine…”

Er schüttelte den Kopf. “Ich glaube, außer Ognyan kannte sich keiner so richtig mit Funk aus. Wir haben nicht mal eine Funkzentrale. Wozu auch, wenn wir so etwas nur alle paar Jahrzehnte bräuchten. Die Kolonie ist klein genug, um ohne irgendwelche Radiogeräte auszukommen.” Der Paavanim senkte den Blick. Sie glaubte, Scham in ihm zu sehen. “Es tut mir leid, dass ihr erst jetzt davon erfährt, aber ihr müsst auch verstehen, dass wir die Umstände unserer Existenz nicht leichtfertig preisgeben wollen.” Er schaute zu Mikayel. “Glaubt mir, hätten wir gewusst, dass ihr vorhabt, hierher zu kommen, wir hätten euch davor gewarnt.”

Gorbani schüttelte den Kopf. “Das ändert jetzt natürlich alles. Unter diesen Umständen werden wir wohl oder übel doch Nachforschungen anstellen müssen, um zu einer Lösung zu kommen. Wir werden sicher nicht…”

“Nein!” schrie Mikayel die Astronauten an. “Das werde ich nicht zulassen!”

“Was erwarten Sie von uns? Sollen wir jetzt etwa genauso wie ihr hier unten versauern?” erwiderte Vijar, doch Lashenko hielt ihm die Hand vor und bedeutete ihm, ruhig zu bleiben.

“Hört mir mal zu,” sagte Mikayel leise, aber mit deutlicher Anspannung in der Stimme. “Selbst wenn ihr euer Wort haltet und mit keiner Seele teilt, was ihr hier gesehen habt, gefährdet es trotzdem unser Leben. Vielleicht bleiben eure Forschungsergebnisse, die ihr anstellen würdet, für Jahrzehnte geheim, doch irgendwann stößt jemand darauf in alten Archiven und verbreitet das Wissen um die Kolonie, die den Jungbrunnen gefunden hat. Dann könnten wir uns vor Wissenschaftlern und Militärs gar nicht mehr retten!”

Gorbani nickte. Ihre Wut auf die beiden Vanim legte sich ein wenig. “Das kann ich verstehen. Ja, das wäre ein realistisches Szenario.”

“Nun, es wird ein Bericht von uns erwartet. Wenn ihr aber für euch bleiben wollt, können wir eure Existenz vielleicht geheim halten und sagen, dass der Planet für menschliche Existenz gefährlich und nicht lebenserhaltungsfähig ist”, sagte Arthur. “Wir könnten die Substanz als giftig klassifizieren.”

Mikayel grübelte, aber er sah noch nicht überzeugt aus.

“Kaptan. Ihr seid gerade mal einen Tag hier. Wir jedoch mehrere Jahrzehnte,” versuchte Bertrand einzuwenden. “Vielleicht ist der Prozess bei euch noch nicht so ausgeprägt und ihr könntet den Planeten mit etwas Glück doch ohne große Probleme verlassen. Daher waren wir auch vorsichtig, was Nahrung und Getränke angeht.”

“Ich dachte, die Substanz sei in der Luft”, fragte Vijar verwirrt.

“Das ist richtig, aber in geringerer Konzentration”, sagte Bertrand. “Vielleicht war das ja noch nicht genug, um bleibende Änderungen zu hinterlassen.

“Mag sein,” antwortete Gorbani. “Also, ich sage Ihnen eins. Wir werden keine Forschungen darüber anstellen, wie MR-79 auf euch gewirkt hat, wenn ihr das nicht möchtet. Aber ihr könnt uns nicht davon abhalten, dass wir uns selbst untersuchen. Und das werden wir.”

Man sah Mikayel an, dass ihm das nicht gefiel, aber er sagte nichts darauf.

“Wenn ihr uns dann entschuldigen würdet, wir müssen unser Schiff kontaktieren.”

“Wartet!” sagte Bertrand, als Gorbani gerade im Begriff war, sich umzudrehen. “Nehmt eine Blutprobe von mir um eure Ergebnisse zu referenzieren.”

“Paavanim!” rief Mikayel schockiert.

“Diese Leute haben unser Vertrauen verloren, deswegen möchte ich versuchen, es mit dieser Geste wieder aufzubauen. Ich würde euch gerne begleiten und euch behilflich sein.”

“Wir hätten Probenbehälter hier”, sagte Arthur und nahm ein Untersuchungskit mit Extraktoren und Probenbehältern aus seiner Tasche.

Gorbani seufzte und nickte dann. “Gut. Als Zeichen eures Vertrauens gegenüber uns. Wir werden es nicht missbrauchen. Yotekom?”

Der Androide begann mit der Blutentnahme. “Dies sind Einwegnadeln. Nach ihrer Benutzung bleiben sie in Ihrer Haut und versiegeln die Stichwunde. Dann sollte sie mit Ihrem Körper verwachsen. Es besteht hundertprozentige Sterilität”, versicherte er Bertrand.

Dieser winkte ab. “Seien Sie unbesorgt. Davon werde ich sicher nicht sterben.” sagte er heiter, doch niemand lachte bei diesem Witz, vor allem nicht Mikayel. Er schien alles andere als in Stimmung für Humor zu sein, gerade nach den kürzlichen Ereignissen.

Arthur entnahm etwa drei Centiliter Blut und verstaute die Probe in einem Behälter. Mikayel sah resigniert und fassungslos dabei zu.

“Ich danke Ihnen, Paavanim”, sagte der Kaptan. “Wir werden nun zu unserem Shuttle zurückgehen.”

“Tun Sie das, Kaptan.”

Die Astronauten gingen aus dem Saal. Bertrand sah ihnen mit einem Lächeln hinterher, das Besorgnis ausstrahlte. Mikayels Gesicht dagegen blieb unverändert wütend.

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Der Landetrupp verließ das Gebäude und ging zum Shuttle, das sie den Abend davor auf einer Plattform in der Nähe des Hauptgebäudes geparkt hatten. Landebahnen, -plätze oder Hangare waren vor langer Zeit umfunktioniert worden, also war das das nächste, was sie finden konnten.

“Trauen Sie ihm wirklich, Kaptan?” fragte Lashenko.

Gorbani blieb stehen. “Nein. Ehrlich gesagt nicht. Ich vermute, er hat es uns absichtlich verschwiegen. Er hätte uns früher sagen sollen, dass es hier für uns nicht sicher ist.”

“Hier ist es doch sicher, solange wir den Planeten nicht verlassen”, sagte Vijar.

Gorbani schnaubte. “Also eines kann ich euch sagen, ich möchte nicht für immer hierbleiben oder meine Fruchtbarkeit verlieren. Wozu hätte ich dann die Operation gemacht?”

“Verständlich”, entgegnete Vijar.

Die Astronauten hatten das Shuttle erreicht.

“Nikos, bauen Sie die Sensoren auf. Parabolmikrofon. Ich möchte hören, was sie miteinander besprechen.”

Nikos schluckte, von diesem unerwarteten Befehl erschrocken. “Sie meinen, wir hören Sie ab?”

“Exakt.”

“Ja, Kaptan. Ich kann es sofort aufbauen. Er hat uns allerdings sein Vertrauen geschenkt. Wollen wir es einfach so brechen? Ich meine, er hat sich ja entschuldigt. Und er hat uns die Probe anvertraut.”

Gorbani machte eine beschwichtigende Geste. “Ich verstehe Ihre Bedenken, aber in dieser Situation sollten wir lieber auf Nummer Sicher gehen. Fahren Sie also fort, Yotekom.”

“J– Ja, Kaptan”, sagte Nikos zurückhaltend, dann nahm sie das Sensorgerät und baute es zu einem Parabolmikrofon um.

“Ich würde in der Zwischenzeit die Proben mit Sonden hochschicken”, sagte Arthur und Gorbani nickte.”

Zögerlich stellte sie das Gerät auf den Saal ein, in denen sie die beiden Vanim immer noch vermuteten. Tatsächlich waren sie immer noch da. Dann isolierte sie ihre Stimme von den Hintergrundgeräuschen. Das Ergebnis war eine leicht dumpf klingende, aber deutliche Diskussion der zwei Männer.

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“...du dir die Zukunft unserer Gemeinschaft vorstellst, Bertrand? Menschen, die sich gegenseitig angreifen und grundlos beschuldigen?”

Sie hörten ein Poltern. Vermutlich schlug Mikayel auf den Tisch. “Verdammt, Bertrand, die Gemeinschaft ist am Bröckeln. Jetzt wo einer von uns nicht mehr ist, müssen wir mehr denn je zusammenhalten. Aber alles was du tust, ist es, diese Fremden hier rumzuführen und die Integrität dieser Kolonie aufs Spiel zu setzen.”

“Genau dafür brauchen wir sie ja. Glaub mir, Zwietracht ist das Letzte, was ich wollte. Was ich wollte, ist, wieder neues Leben in der Kolonie zu haben. Junge Menschen, Wachstum! Und dafür brauchen wir eben diese Fremden. Damit sie von unserer Kolonie außerhalb des Systems erzählen und neue Leute anlocken können. Ich gebe zu, ich hatte auch nicht mehr vor dem Schirm, dass sie jetzt vermutlich hier gefangen sind. Ich hoffe es nicht. Aber wenn doch, sie haben immer noch ein Schiff…”

“Bertrand, was glaubst du, wird realistisch passieren, wenn sie unsere Existenz preisgeben? Die werden den ganzen Planeten abriegeln und irgendwelche Wissenschaftler auf uns ansetzen, sodass wir den Rest der Ewigkeit in Versuchslaboren gefangen leben müssen. Dann ist unsere Kolonie, unsere Lebensweise für immer zerstört.”

“Es war aber auch nicht meine Idee, dass sie hierher kommen!” brüllte Bertrand. Nikos hörte auch einen reuevollen Unterton heraus.

Darauf folgte eine kurze Sprechpause, dann sagte Mikayel: “Es war alles gut. Alles und jeder hatte seinen Platz und seine Rolle, bis sie kamen!”

“War es das also? Mika, glaubst du etwa wirklich, dass alles gut war? Selbst vor Ognyans Tod war es das schon nicht. Belüg dich doch nicht selbst! Es stimmt zwar, dass alles seinen Platz hatte, aber das hat sich seit Jahrzehnten nicht mehr geändert. Wir sind so dermaßen in unsere Gewohnheiten festgefahren und sobald einer von uns stirbt, fällt das ganze Haus auseinander. Unser Haus ist deshalb am bröckeln, weil das Fundament alt und morsch geworden ist.”

Schweigen.

“Sieh mal,” fuhr Bertrand fort. “Menschen sollten nun mal nicht ewig leben. Wir haben uns so dermaßen vom Tod entwöhnt, dass es für uns unvorstellbar geworden ist. Ich habe Ognyan, abgesehen von Sarah, mehr geschätzt als alle anderen es taten. Du hast dich doch nie wirklich gut mit ihm verstanden, sei ehrlich.”

“Mag sein, aber was ändert das? Er war einer von uns.”

“Natürlich war er das. Aber ich glaube eher, dass wir nicht mit seinem Tod klarkommen, weil wir die Nächsten sein können. Wir sind zwar unsterblich, aber unser Tod ist nicht ausgeschlossen. Er hat uns das aufgezeigt.” Für kurze Zeit hörte man nichts. “Und ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass Ognyan sich hauptsächlichlich deswegen umgebracht hat, weil er hier wenig geschätzt wurde. Er war alt. Und er hatte keine Lust auf die Ewigkeit.”

“Und deine Lösung ist es, neuen Leuten diesen Fluch anzuhängen?”

“Ich will es nicht so formulieren, aber stetiger Nachwuchs würde die Kolonie wieder zum Leben erwecken. Damit hätte sie zumindest wieder eine Zukunft. Natürlich bedeutet das Veränderung, aber genau davon lebt eine Gemeinschaft.”

Eine weitere Pause, dann sagte Mikayel: “M-mh! Nein! Das akzeptiere ich nicht, Bertrand. Ich will keine Fremden! Ich will, dass alles weiter so bleibt, wie es ist!”

“Mika, es ist doch schon längst nichts mehr wie es ist!”

Sie hörten laute Schritte.

“Mika!” hörten sie Bertrand noch hinterherrufen, dann ein lautes Knallen einer Tür. Mikayel hatte soeben den Raum verlassen. Das letzte, was sie noch hörten, war, wie Bertrand sich seufzend in einen knarzenden Stuhl fallen ließ.

Nikos beendete die Aufnahme. Gorbanis Verdacht stellte sich also als falsch heraus.

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Lashenko sah den Kaptan ernst an. “Vor Mikayel sollten wir uns in Acht nehmen.”

“Absolut”, erwiderte jener.

“Nun wissen wir zumindest, dass Bertrand es uns nicht vorsätzlich verschwiegen hat”, meinte Arthur.

Das mochte stimmen, auch wenn er in Gorbanis Augen trotzdem einen Fehler gemacht hat.

“Es scheint so, als hätte der Tod eines Mitglieds wirklich eine Menge Chaos mit sich gebracht. Was aber auch kein Wunder ist. Kein Nachwuchs, jeder hat seit Jahrzehnten seine feste Rolle… Dann wissen sie jetzt gar nicht mehr, was sie machen sollen. Ist also kein Wunder, dass die Kolonie so kaputt aussieht”, sagte Nikos.

Arthur nickte. “Und Mikayel will es nicht wahrhaben, dass sein Tod Veränderungen mitbringt. So oder so, das Leben hier wird sich verändern, egal was passiert.”

Gorbani rieb sich das Gesicht. “Tja, auf der anderen Seite kann ich seine Denkweise irgendwo nachvollziehen. Er hat Angst. Er sorgt sich um die Kolonie und die Zukunft seiner Leute, die er verlieren könnte. Wenn ich nie an den Tod gewöhnt wurde, würde mich das auch extrem verängstigen.”

Lashenko überlegte einige Momente lang. “Meinen Sie, dass noch mehr hier Ognyan in den Tod folgen könnten?” sagte er.

“Es ist gut möglich”, meinte der Kaptan. “Lange genug gelebt haben sie. Der Wunsch ist vermutlich bei vielen da, nur bis jetzt– hatte es nie jemand gewagt.”

“Ognyan…” Arthur sah zu Lashenko, als würde er um Bestätigung bitten. “Ognyan hat den ersten Stein geworfen. Kann man dieses Sprichwort hier verwenden?” Lashenko nickte.

Schweigen. Nikos blickte zum Hauptgebäude, andere aus dem Team in Richtung des Platzes und Arthur sah nur zu Boden.

“Wie dem auch sei, wir sollten hier vorsichtig vorgehen. Nicht nur auf Mikayel sollten wir ein Auge behalten, sondern auch auf Oleg und die anderen aus dem wütenden Mob”, sagte Gorbani.

“Absolut”, sagte Lashenko. “Was tun wir, wenn wir noch einmal in eine solche Situation kommen? Ich empfehle, wir sollten unsere Waffen weiterhin bereit halten.”

“Ja!” sagte sie. “Setzt eure Pistolen auf Betäubung und haltet sie geladen.”

“Was ist, wenn Betäubung keinen Effekt hat?” fragte Vijar. “Vielleicht wäre es doch besser, schärfere Munition zu verwenden. Da sie unsterblich sind, sollten sie auch nicht davon umkommen können.”

Der Kaptan schüttelte den Kopf. “Das wissen wir nicht zu einhundert Prozent. Auch wenn Bertrand gesagt hat, Verletzungen können ihnen nichts anhaben, haben wir keine anderen Anhaltspunkte, die dies bestätigen. Ich will es nicht darauf ankommen lassen.”

“Ah! Ja, das stimmt natürlich. Das hatte ich nicht bedacht.”

Aus dem Shuttle schnellte eine Sonde mit den Blutproben hoch in den Himmel.

“In etwa zwei Stunden sind die Sonden auf dem Schiff”, sagte Arthur und Gorbani nickte.

“Wenn es Schlag auf Schlag kommt und wir involviert werden”, sagte sie, “kehren wir hierher zurück und fliehen mit dem Schiff in die Wildnis.”

Alle nickten.

“Um ehrlich zu sein, würde ich aber schon gerne versuchen, noch ein bisschen über die Bewohner hier herauszufinden”, sagte Vijar. “Die nächsten Stunden hier zu bleiben fände ich langweilig. Natürlich ist das ein Risiko, aber vielleicht können wir doch noch einen besseren Eindruck hinterlassen. Wir…”

Vijars Gedankengang wurde unterbrochen, als jemand hinter der Gruppe auftauchte. Alle blickten ebenfalls in die Richtung, in die Vijar sah. Bertrand.

Zuerst musterte er die Astronauten, die ihn misstrauisch ansahen, dann sagte er: “Die Daten über MR-79.” Er zeigte ihnen etwas, was aussah wie eine altmodische Datenkarte.

“Ich möchte mich entschuldigen. Ich hätte euch eher von der ganzen Sache in Kenntnis setzen sollen. Aber um ehrlich zu sein hatte ich die Möglichkeit gar nicht in Erwägung gezogen, dass der Prozess von MR-79 nicht sofort eintreten könnte. Deshalb will ich euch meine Kooperation nicht vorenthalten. Mikayel weiß nichts hiervon, aber er wird sich seinen Teil denken können.” Er übergab Arthur die Datenkarte, die er interessiert musterte.

“Wir müssen schauen, ob wir das einlesen können, aber wir sind Ihnen dafür dankbar”, sagte Arthur und versuchte die Karte zu scannen.

Bertrand nickte zufrieden lächelnd.

“Warum handeln Sie so gegen Mikayels Einverständnis, Paavanim?” fragte Lashenko.

“Mikayel möchte dasselbe wie ich, eine Zukunft für die Kolonie. Aber wir haben unterschiedliche Vorstellungen davon. Er will nichts tun und wird die ganze Kolonie damit in den Tod leiten. Ich hingegen möchte euch vertrauen. Ich denke, mit eurer Hilfe könnte die Kolonie gerettet werden. Außerdem fühle ich mich verantwortlich für eure missliche Lage.

Gorbani, die sich mittlerweile etwas beruhigt hatte, sah ihn prüfend an und dann zu den anderen Astronauten, die ihr zunickten. “Also schön”, sagte sie. “Dann wollen wir Ihnen eine Chance geben. Wenn Sie uns zeigen können, wie die Substanz wirkt und uns zu einem Gegenmittel verhelfen können, würden wir Ihnen sehr dankbar sein. Wir werden die hier gewonnenen Daten verantwortungsbewusst verwenden und sie danach löschen.”

Bertrand sah sie lächelnd an und ging dann zu Arthur. Seine Augen strahlten Dankbarkeit aus. Man merkte ihm an, dass ihm seine Gemeinschaft sehr wichtig war.

“Ich denke, ich habe die Daten”, sagte Arthur. Er aktivierte ein Holo, was sich vor ihnen ausbreitete und diverse Anzeigen formte, darunter die Strukturen verschiedener Moleküle.”

Bertrand sah fasziniert auf das Schauspiel, was sich ihm bot. Er konnte nicht anders, als das formwandelnde Material anzufassen, welches das Hologramm bildete. “Das ist ja wie ein Wunder!” sagte er und lachte dabei. Er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. “Bei allen, wie funktioniert das? Es fühlt sich an wie echte Materie.”

“Das ist es auch”, sagte Arthur. Es kann alle möglichen Formen und Texturen annehmen.”

“Damit kann man sicher Bildschirme erzeugen, bei denen man Größe und Seitenverhältnis frei anpassen kann. Wow!”

Die anderen sahen sich schmunzelnd an. “Man kann noch eine ganze Menge mehr damit machen”, sagte Vijar.

“Paavanim, sind Sie sicher, dass dies die Substanz ist?” fragte Arthur irritiert.

Bertrand sah sich die projizierten Molekülstrukturen an. “Nun, ja. Das ist MR-79, ganz eindeutig. Ich bin kein Chemiker, aber das kann ich zweifellos erkennen.” Er bewunderte das holografische Riesenmolekül, als wäre es pures Gold.

“Das ist eigenartig. Diese Substanz sollte für Menschen eigentlich keinen besonderen Effekt haben.”

“Wie meinen Sie das?” fragte Lashenko.

“Nun, die Polymere sind uns wohl bekannt. Wir haben sie bei der Ankunft im Orbit auch gescannt und sie für harmlos gehalten.”

“Moment”, sagte Lashenko mit einer Verwirrung ähnlich wie damals, als würde er seinen Professor an der Uni etwas zu Relativität fragen. Das war, bevor er den Studiengang gewechselt hatte. “Sind Sie sicher, dass das die richtigen Moleküle sind?”

“Ohne Zweifel”, sagte Bertrand.

“In meinen vorläufigen Blutanalysen war es definitiv vorhanden”, sagte Arthur.

“Wie kann es dann sein, dass es hier unten eine Unsterblichkeit auslöst?” fragte Gorbani. “Wenn es harmlos wäre, würde es den Körper ja wohl kaum so verändern.”

“Ich weiß es auch nicht”, erwiderte der Androide. “Bisher weiß ich nur, dass es das tut." Er ließ ein weiteres Hologramm projizieren, diesmal von einem roten Blutkörperchen. “Das Blut von Bertrand ist anders. Eures beginnt ebenfalls, sich zu verändern, aber was für ein Prozess genau dort abläuft, kann ich noch nicht abschätzen.”

“Nun, wir glauben, dass sich bestimmte Teile vom – wir nennen es Mutter-Molekül – abspalten und für die Veränderungen im Körper verantwortlich sind”, erklärte Bertrand.

“Können Sie den Prozess stoppen, Yotekom?” fragte Gorbani eindringlich.

“Ich kann es nicht sagen und ich möchte keine Versprechungen machen. Allerdings werde ich meine Leute anweisen, dies zur ersten Priorität zu machen.”

“Sehr gut.” Sie als Androide können im Zweifel den Planeten verlassen. Tun Sie dies wenn nötig.”

“Aber was wird aus euch? Eure Sicherheit ist hier nicht gewährleistet.”

“Sind wir denn jetzt nicht auch unsterblich?” fragte Vijar.

“Ich glaube, das wird noch eine lange Zeit brauchen. Noch wird ein Speer euch…” Er unterbrach sich. “...Ich meine, noch seid ihr genauso verwundbar wie zuvor. Wann sich dies ändert, kann ich nicht sagen. Wie dem auch sei, ich kann meine Leute auch gut von hier unten aus koordinieren, Kaptan.”

“Gut”, sagte dieser.

“Ich bedauere wirklich, euch nicht mehr helfen zu können”, sagte Bertrand. “Leider ist dies nicht mein Fachgebiet.”

“Sie haben uns damit bereits einen großen Dienst erwiesen”, sagte Arthur. “Unsere Wissenschaftler werden damit etwas anfangen können und…”

Das Gespräch wurde jäh unterbrochen. Vom Platz aus hörten sie Tumult. Nach einigen Sekunden war ein Schrei zu hören.

“Oh nein, du kannst mir doch nicht erzählen…”, sagte Bertrand alarmiert.

“Schnell!” rief Gorbani und die Astronauten nahmen ihre Waffen in die Hand und liefen schneller zum Platz als Bertrand, der nicht hinterherkam. Dort angekommen sahen sie, wie ein Kampf dabei war, sich zuzutragen. Sie konnten zwei Lager erkennen. Viele von ihnen hatten wieder diese Speere und andere tödliche Gerätschaften. Zum Glück war noch nichts passiert, aber die Situation war mehr als angespannt.

Eine Person aus der Meute entdeckte die fünf. “Hey, das sind doch diese Neuen. Wir wollen keine Neuen hier!”

“Seid versichert, dass wir nicht vorhaben, hier zu bleiben”, sagte Gorbani. “Wir werden bald wieder abreisen.”

“Ihr Idioten! Wir brauchen sie hier!” sagte Sarah, die im Zentrum des ganzen stand. “Wir brauchen neue Mitglieder! Glaubt ihr, dass ihr wirklich ewig leben werdet? Wenn wir keinen Zuwachs bekommen, gehen wir alle unter. Aber wenn der Nachwuchs gesichert ist, dann…” sie stockte. “...könnten wir endlich ruhen.”

Eine andere Frau sah sie schockiert an. “Willst du dich jetzt auf einmal etwa auch umbringen? Was sagst du denn da, Sarah?”

“Ich habe lange genug gelebt. Wann hast du zuletzt jemanden verloren? Wenn die, die wir lieben, sterben, dann entsteht eine Lücke, die sich nie wieder füllen lässt.”

“Dann solltest du dein Leben erst recht nicht beenden!”

“Und bis in alle Ewigkeit mit diesem unerträglichen Schmerz zurechtkommen müssen?”

Darauf sagte die Frau nichts, sah sie aber mit den Zähnen knirschend an.

“Na also, glaub nicht, dass du wüsstest, wie es mir geht.”

“Um ehrlich zu sein”, sagte ein anderer Mann, “...bin ich auch lebensmüde. Aber wenn wir jetzt alle sterben, was wird dann aus dem Rest? Die Kolonie zerbricht ohne uns. Jeder hier hat seinen festen Platz und so ist es seit Jahrzehnten gewesen. Und seht nur, was passiert, wenn einer von uns stirbt.”

“Aber wir können doch nicht ewig so weitermachen, so festgefahren in unseren Wegen und Routinen bis ans Ende der Zeit!?” sagte Sarah. “Deshalb benötigen wir ja den Zuwachs, damit die Gemeinschaft wieder anfängt zu leben. Und da kommen diese Fremden ins Spiel.”

“Ich will keine fremden Leute hier, ich will den alten Ognyan zurück!” sagte die Frau.

“Ognyan kommt nicht zurück. Nie mehr! Verdammt, wann begreift ihr das endlich!? Er ist tot und Tote kommen nie mehr wieder, egal wie sehr ihr euch gegen die Realität sträubt”, sagte Sarah bebend.

“Nein, das ist mir egal! Ich will den Rest dieser Gemeinschaft schützen. Mit neuen Menschen wäre sie eben nicht mehr dieselbe”, erwiderte die Frau störrisch.

“Ja, dieselbe wäre sie nicht mehr, aber immerhin besteht sie dann noch weiter. Es wird ohnehin nichts mehr wie vorher!”

“Seht, da ist Bertrand!” kam es aus der Menge.

“Bertrand! Was sollen wir tun?”

Bertrand setzte zu einem Satz an, wurde aber direkt unterbrochen.

“Hört nicht auf Bertrand! Traut ihm nicht! Er verrät uns!” Mikayel stand in der Menge. Alle waren geschockt von dieser Anschuldigung. “Er hat das Geheimnis der Substanz an diese Fremden preisgegeben.”

“Was?” sagte jemand in der Meute fassunglos. Gemurmel und Getuschel machte sich breit. “B– Bertrand– ist das wahr?”

“Was soll das, Mikayel? Diese Menschen möchten auch zurück zu ihrer Gemeinschaft. Wir können sie nicht zwingen, hierzubleiben. Ihre Heimat ist in den Sternen”, sagte er und zeigte in den Himmel. “Ich helfe Ihnen lediglich, sicher dorthin zurückzukehren, ohne dass sie gesundheitliche Beschwerden davontragen.”

“Und was werden sie mit den Daten über die Substanz bitte machen? Verdammt Bertrand! Hast du mir denn gar nicht zugehört? Seit wann traust du meinem Wort nicht mehr? Wieso bist du so dämlich!?”

“Jetzt halt mal die Luft an, Mikayel!” erhob er das Wort,

doch Mikayel wandte sich zu den Leuten und rief gestikulierend: “Diese Leute werden das Geheimnis nach außen tragen und wer weiß, wer dann hierher kommt. Wissenschaftler, Soldaten und irgendwelche gierigen Leute, die wahrscheinlich ganz scharf auf die Unsterblichkeit sind. Dann wird die Kolonie erst recht zerbrechen. Dann steht hier keine Siedlung mehr, sondern eine Militärbasis und wir verbringen die Ewigkeit als deren Versuchskaninchen!”

Das Getuschel wurde lauter und die Menge unruhiger.

“Zuwachs werden wir bekommen, ja. Aber nicht die Art, die euch lieb ist.”

Zustimmung in der Menge. Die Anspannung stieg weiter an. Bertrand kam gar nicht mehr dazu, irgendetwas zu sagen.

“Es wird keine Militärs hier geben”, versuchte Gorbani das siedende Gemüt der Menge zu beschwichtigen. “Wir benutzen die Daten nur dazu, damit wir sicher zurückkehren können. Dann löschen wir sie.”

“Wer garantiert uns das?” fragte die Frau von vorhin.

“Wir sollten auf Nummer sicher gehen. Wir sollten sie erledigen, solange sie verwundbar sind!”, kam es plötzlich aus der Menge.

“Was?” rief Sarah empört. “Leute, seid ihr wahnsinnig?” Ebenso empört wie sie, stimmten einige ihr zu. Doch die anderen begannen, sich mit ihren Gerätschaften in Richtung der Astronauten zu bewegen.

Gorbani gab ihren Kameraden das Zeichen, in Kampfbereitschaft zu gehen. Die anderen Astronauten zögerten nicht und zückten ihre Strahlenpistolen.

Die Menge tobte nun und zustimmende wütende Rufe kamen von mehreren Seiten, während sie sich auf die Crewmitglieder zubewegte. Die anderen Dorfbewohner versuchten, sie aufzuhalten und in einem riesigen Handgemenge die wütenden Leute zu entwaffnen. Es dauerte nicht lange, bis sich die erste Person an einem Gerät verletzte. Doch selbst das hielt sie nicht auf. Sie begannen, auf die anderen einzuschlagen. Sarah, die unbewaffnet war, trat einem Mann entgegen und versuchte seinen Speer abzuwehren. Doch es misslang ihr. Er bohrte sich durch ihre Hand und traf die linke Seite ihres Brustkorbs. Der Speer traf ihr Herz. Sarah schrie auf und sackte zu Boden. Viele der anderen Bewohner wurden ebenfalls nicht verschont und tödlich verletzt.

Ein Bewohner, es war Oleg, aber das war gerade nebensächlich, rannte mit einem Speer auf Kaptan Gorbani zu. Sie war kurz davor, ihre Waffe abzudrücken, dann sah sie, dass Bertrand sich vor ihn stürzte. Olegs Speer traf ihn an seiner linken Seite und verletzte ihn schwer. Blut spritze aus der Wunde, und der eben noch blaue Anzug färbte sich dunkelrot. Bertrand fiel nach hinten zu Boden.

Nein! dachte Gorbani in diesem Moment, doch sie schaltete schnell und drückte ab. Ein blauweißer Strahl kam aus ihrer Pistole und traf Oleg frontal. Dieser erschlaffte und sackte ebenfalls ein. Der Betäubungsstrahl zeigte Wirkung und legte sein Nervensystem lahm.

Weitere wütende Dorfbewohner kamen auf sie zu und nun schossen auch die anderen Astronauten. Ein Bewohner wurde nach dem anderen niedergemäht und fiel zu Boden, bis der Ansturm auf sie abebbte. Der Rest war mit den anderen Dorfbewohnern beschäftigt. Gorbani sah den blanken Horror. So viele Menschen tot. Und die Astronauten waren der Auslöser dafür. Hätte sie doch… Nein! dachte sie wieder und riss sich zusammen. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Schuldgefühle!

“Rückzug!” versuchte sie zu sagen, doch sie kam nicht dazu.

“Hört auf mit diesem Wahnsinn!” rief Bertrand, der sich vor Schmerzen am Boden krümmte, mit eindrucksvoller Lautstärke. Dann hustete er Blut. Seine Stimme hatte Wirkung und die Menge beruhigte sich Er schaffte es mit Mühe, aufzustehen. Ein Dorfbewohner kam ihm zu Hilfe und stützte den blutüberströmten Paavanim. “Merkt ihr denn gar nicht, was ihr geworden seid!? Seht euch nur an!”

Wie kann er… Er sollte doch… dachte Gorbani zuerst, dann realisierte sie es. Ihre Erleichterung war grenzenlos. Also sind sie tatsächlich unsterblich!

Die Menschen legten nach und nach ihre zweckentfremdeten Werkzeuge zu Boden.

“Ihr wollt, dass die Gemeinschaft ganz bleibt? Nun, ihr habt sie gerade zum Zerbrechen gebracht!” schrie er seine Mitbürger an.

Die Dorfbewohner sahen sich gegenseitig in die Augen. Sie wussten, dass er Recht hatte. Das hier war nicht die Zukunft, die sie sich vorgestellt hatten. Menschen, die sich vor einem Tag noch liebten und schätzten, kämpften und spießten sich gegenseitig auf, als wären sie im Krieg. Aber klar. Sie konnten nicht sterben und verstanden vielleicht nicht einmal mehr, was sie da gerade getan hatten.

In dem Moment, als sie das realisierten, brachen viele von ihnen in Tränen aus. Manche waren schockiert von sich selbst und starrten ihre Hände an, andere waren komplett still.

Bertrand richtete sich mit Mühe auf und röchelte. Die Stichwunde unterhalb seines Brustkorbs war tief und schmerzte wahrscheinlich wie die Hölle. Aber auch mit einer solchen Verletzung, die für andere Menschen längst den Tod bedeutet hätte, war es ihm möglich, sich zu bewegen. Trotzdem wurde ihm schummrig wegen dem Blutverlust. Es kostete ihn Mühen, zu sprechen und er atmete schwer zwischen den Worten. “Ich verstehe, dass ihr unsicher seid und nicht wisst, was ihr tun sollt. Auch ich sorge mich um die Gemeinschaft…” Er hustete Blut. “Aber übereinander herfallen, wie wilde Punai, – das sind nicht wir!”

Eine der Dorfbewohner meldete sich zu Wort. “Was sollen wir denn nun tun, Paavanim? Wir müssen doch eine Lösung finden, wie es mit uns weitergeht.”

“Wir sollten abstimmen”, sagte ein anderer Dorfbewohner, worauf sich zustimmendes Gemurmel breitmachte.

Bertrand hustete wieder schwer. “Ja – Das sollten wir tun. Lasst die Vanim aus den anderen Siedlungen zusammenkommen und dann demokratisch entscheiden, wie es weitergeht!”

Die Menschen in der Menge nickten und murmelnden zustimmende Worte. Schließlich wurde Bertrand ohnmächtig.

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Und so geschah es. Später an diesem Tag kamen die Vanim im Hauptgebäude zusammen und berieten. Auf dem Platz, wo mehrere Wahlurnen aufgestellt wurden, hat sich scheinbar die gesamte Kolonie versammelt. In der Menge sahen sie auch Sarah auf einer Treppenstufe sitzen. Zwar sah sie schwach aus, aber quicklebendig. Nichtsdestotrotz konnte sie nicht ohne Unterstützung laufen oder stehen. Oben an der Treppe standen vor der Tür des Hauptgebäudes die Astronauten des Landetrupps, sowie neun Menschen in formellen Anzügen, wohl die Vanim der Siedlungen. Darunter war auch Mikayel. Bertrand kam auf einer Krücke aus dem Gebäude. Es war mehr als skurril. Eigentlich war die Wunde so groß und er hätte so viel Blut verloren, dass er definitiv hätte sterben sollen. Aber ihm ging es schon wieder viel besser und das ohne weitere medizinische Hilfe, bis auf einige Kompressen, die der Landetrupp mitgebracht hatte. Hier unten gab es keine Medizin, was Gorbani erst verwunderte, aber es machte natürlich Sinn. Sie hatten eben keine Verwendung dafür. MR-79 muss wirklich eine Wunderdroge sein, auch wenn es nur hier unten funktionierte.

Bertrand humpelte auf die Astronauten zu, gestützt von Oleg. Einige aus dem Landetrupp zuckten unwillkürlich zusammen.

“Ich ähm… Ich möchte mich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen”, meinte Oleg.

Unannehmlichkeiten dachte Nikos. Eine Untertreibung. Wir wurden attackiert! Aber für sie war das ganze wohl wirklich nur eine Unannehmlichkeit.

“Wir haben vergessen, wie man stirbt, aber leider auch, wie man lebt." Die Crewmitglieder waren erstaunt. Sie hätten so etwas tiefgründiges nicht von einem Grobian wie Oleg erwartet. Vielleicht war er das ja gar nicht.

“Wie geht es Ihnen, Paavanim?” fragte Lashenko.

Jener winkte ab, als hätte er nur eine Prellung. “Halb so wild. Ich habe schon schlimmeres erlebt.” Was auch immer das gewesen sein mag, die Astronauten wollten es sich gar nicht vorstellen.

Arthur kam vom Shuttle zu den Astronauten, die in der Nähe des Haupteingangs waren. “Das Analyseteam meldet sich”, sagte Arthur. “Es hat erste Ergebnisse. Wenn Sie sich alle bitte zuschalten würden.” Er aktivierte das Kom.

“Hier Gorbani, was haben Sie herausgefunden?”

“Hier ist 6-D5. Kaptan, die gute Nachricht vorab. Es ist wahrscheinlich sicher für Sie, zu uns zurückzukehren.”

Der Kaptan runzelte die Stirn. “Was meinen Sie mit ‘wahrscheinlich’, Doktor?”

“Nun, sterben werden Sie schon mal nicht." Was eure Körper angeht, solltet ihr nur etwas Übelkeit und Grippesymptome davontragen. Ich möchte euch jedoch bitten, für mindestens fünf Stunden noch im Orbit zu bleiben, damit sich der Körper langsam entwöhnen kann. Es ist möglich, dass ihr länger krank sein werdet, aber das wird sich zeigen. Auch eure Fruchtbarkeit wird davon nicht beeinträchtigt, da Sie danach gefragt haben, Kaptan."

Gorbani schaute angenervt. "Danke sehr, Doktor. Vielen Dank, dass Sie diese Information mit uns allen hier geteilt haben."

"Nichts zu danken, Kaptan", sagte sie völlig unbehelligt. "Die Konzentration dieser Substanz MR-79 in eurer Blutprobe ist sehr gering und nimmt stetig ab, ohne dass die Blutzellen einen Schaden davontragen. Sie scheint hier oben in harmlose Abfallstoffe zu zerfallen. Ihr sagtet, dass der Effekt der Substanz mit dem Magnetfeld zu tun hat?

“So wurde es uns gesagt, ja”, sagte Arthur.

“Faszinierend. Nun, das Blut des Kolonisten hat eine viel höhere Konzentration von MR-79. Seine Blutzellen erliegen bereits einem Degenerationsprozess, seitdem sie hier oben sind. Der Zerfallsprozess von MR-79 würde den Tod des Kolonisten bedeuten, da die Substanz so stark in Symbiose mit den Zellen steht, dass sie Teil der regulären biologischen Prozesse geworden ist. Eine Blutreinigung wäre danach ebenfalls nicht erfolgreich. Ohne MR-79 würden die Kolonisten sterben und es scheint so, dass dies außerhalb des Magnetfelds geschehen würde. Ihr jedoch seid noch auf der sicheren Seite.”

“Vielen Dank, 6-D5. Das ist eine sehr erfreuliche Nachricht”, erwiderte Gorbani.

“Ich muss schon sagen, diese ganze Sache wirkt höchst interessant. Ich würde liebend gern noch einige weitere Zell- und Gewebeproben zur Untersuchung haben und mehr über die Wirkungsweise von MR-79 erfahren. Es ist wirklich erstaunlich.”

“Das bleibt abzuwarten, Doktor. Wir haben den Bewohnern zugesichert, dass wir ihnen die gewonnenen Daten über die Substanz geben und vernichten, sobald wir sicher sind.”

“Vernichten?” fragte sie erstaunt.

“Ja. Sie stimmen gerade darüber ab, ob sie ihre Existenz der interstellaren Gemeinschaft preisgeben. In letzterem Fall werden wir auch die Daten über die Existenz der Kolonie löschen. Die Kontrolle, wie sie mit dem Wissen über die Substanz umgehen, liegt bei ihnen.”

Eine kurze Stille. “Aber Kaptan…”

“Dieses Versprechen haben wir ihnen gegeben. Und wir werden es halten”, unterbrach Gorbani sie.

“Verstanden Kaptan”, sagte sie darauf nach einer weiteren Stille und man konnte Enttäuschung in ihrer Stimme erkennen.

“Gut. Aber noch eine Sache. Würde es in der Theorie möglich sein, ein Mittel für Neuankömmlinge gegen die Effekte von MR-79 zu entwickeln?”

6-D5 überlegte einige Sekunden. “Ich denke ja, das sollte möglich sein. Es wäre ähnlich wie ein Impfstoff, durch das das Immunsystem die Substanz bekämpfen kann. Regelmäßige Blutreinigungen, ähnlich wie die, die beim Dekontaminationsprozess gemacht werden, würden zusätzlich eine Symbiose verhindern. Das bedeutet, dass man den Planeten danach problemlos betreten oder verlassen kann, allerdings auch nie die Unsterblichkeit erlangt. Sollte man das Mittel aber zu spät nehmen, wäre man jedoch auf Eravata II gefangen.”

“Ich danke Ihnen, 6-D5.”

Bertrand sah erstaunt aus. “So etwas geht? Das ist ja erstaunlich. Wenn wir dafür das Equipment hätten, könnte es wirklich bald eine neue lebende Gemeinschaft geben.” Er lächelte müde. “Kaptan, es war mir wirklich eine Ehre, Sie alle kennenzulernen. Wenn ich könnte, würde ich gern Ihr Schiff besuchen.”

“Was werden Sie nach all dem machen, Paavanim?” fragte Nikos.

“Ich werde noch einige Zeit hier bleiben, bis ich sicher sein kann, dass die Kolonie in guten Händen ist. Ich möchte ungern sterben, ohne dass ihre Zukunft nicht gesichert ist.”

“Sie wollen auch sterben?” fragte sie.

Bertrand lachte. “Natürlich, meine Gute. Ich bin nun schon sehr lange am Leben. Und irgendwann ist auch mal gut. Ich würde wirklich gerne Ruhe finden.” Er sah in die Luft und lachte herzlich. “Eigentlich will ich das schon seit einiger Zeit. Ich glaube, vielen geht es ähnlich und bestimmt werden mir einige in den Tod folgen, sobald die Gemeinschaft eine Zukunft hat. Momentan sind wir wie Klebeband, das ein uraltes Landfahrzeug zusammenhält, bis Ersatzteile angefertigt wurden.” Keiner sagte etwas. Der Landetrupp sah etwas betreten aus.

“Ähm, tut mir leid. Ich bin eben Politiker, kein Poet. Das überlasse ich lieber Oleg hier!” sagte er und stieß ihm mit seiner Rechten in die Seite. Darauf lachten die Menschen aber doch.

“Kaptan?” sagte er und sah ihn an.

“Ja? Kann ich noch etwas für Sie tun?”

“Ich möchte Ihnen etwas zeigen. Allerdings nur Ihnen, Kaptan. Ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, ihr anderen, aber was ich Ihnen zeigen will, ist eine äußerst persönliche Angelegenheit.”

Gorbani nickte zögerlich. “Nun gut, was ist es denn, was Sie mir zeigen möchten?”

Er lächelte müde. Was auch immer es ist, es scheint kein leichtes Thema zu sein. “Kommen Sie bitte.” sagte er und ging mit seiner Krücke voran ins Hauptgebäude. Der Kaptan folgte ihm an den anderen Vanim vorbei. Sie blieben an einem Aufzug stehen.

“Ah. Wir müssen wohl die Treppe nehmen”, sagte er peinlich berührt lächelnd.

Ein Schild war auf dem Aufzug angeklebt. Nach Gorbanis Rosetta-Modul stand dort “Außer Betrieb.” Das hätte sie sich denken können. Bei dem Zustand der Maschinen auf der Kolonie hätte sie dem Aufzug ohnehin nicht vertraut.

Sie bot Bertrand ihre Hilfe an, doch er winkte ab. Auch wenn er langsamer als gewöhnlich die Treppe hochging und sich am Geländer abstützte, fand Gorbani seine Vitalität in seiner Situation erstaunlich. Gorbani fragte ihn noch einmal, wo er sie hinführt.

“In den fünften Stock”, sagte er. “Erinnern Sie sich?” Natürlich tat sie das. Das war die Etage, wo er sie gestern gebeten hatte, nicht hinzugehen. Jetzt packte den Kaptan doch wieder die Neugier. Wo würde er sie hinführen?

Sie erreichten die fünfte Etage. Hier sah das ganze Gebäude noch kaputter und schäbiger aus, als in den restlichen Bereichen, die sie schon gesehen hatten. Einige Lampen waren kaputt und gäbe es Spinnen auf dem Planeten, würden hier wahrscheinlich ohne Ende Spinnenweben wuchern. Hier ging selten jemand ein und aus. Dem Kaptan wurde doch etwas mulmig zumute.

“Ich möchte mich vielmals entschuldigen, wie es hier aussieht. Wir haben wohl auch den Blick für Sauberkeit komplett verloren”, sagte er wehmütig. Doch die Sauberkeit dieses Ortes war es nicht, was ihn bedrückte. Es war etwas anderes.”

“Was befindet sich hier?” fragte Gorbani neugierig.

Bertrand blieb vor einer Tür zu ihrer Linken stehen und drehte sich um. Er sah sie an und sein Blick sagte soviel wie ‘Kann ich dir wirklich vertrauen?’ Dann sagte er ruhig: “Ich hatte Ihnen ja bereits gesagt, wie alt ich bin.”

“Ja. 160 Terranische Jahre, oder?”

Der Paavanim nickte. “Und ich bin der Oberste Älteste. Aber ich bin nicht der älteste Mensch hier.”

Gorbani beschlich eine leise Ahnung, um was es hier ging.

“Der älteste Mensch ist 280 Terranische Jahre alt.”

Er nannte die Anzahl lokaler Jahre, doch Rosetta rechnete die Zahl für Gorbani um. Sie dachte zuerst, es war ein Rechenfehler und fragte erneut nach: “280? Das ist– Das kann doch nicht sein, oder? Unvorstellbar. Dann wäre das Individuum so alt wie die Kolonie selbst!”

Er nickte. “Exakt. Kommen Sie.” Er öffnete den Mechanismus der kunstvoll verzierten Tür und öffnete sie leise. Der Raum war durch das Tageslicht aus dem Fenster beleuchtet, doch es dämmerte langsam, sodass es doch etwas düster hier drin war. Bertrand machte es langsam etwas heller, aber nicht zu hell. Dann ging er zu einer Liege in der Mitte des Raumes.

Was Gorbani dort sah, ließ ihre Adern gefrieren. Ihre Augen waren nun weit aufgerissen. Der Schauder, der sie überkam, war nicht einfach nur kalt, er hätte Stickstoff gefrieren können. Auf der Liege lag eine humanoide Gestalt, wenn auch kaum noch als solche erkennbar. War das ein Mensch oder etwas anderes? Eine Leiche? Nein! Da war Bewegung, ganz sicher! Die Augen der Gestalt wanderten zu Bertrand. Sie war lebendig! Auch wenn sie extrem abgemagert und fast regungslos dalag. Man konnte jeden einzelnen ihrer Knochen sehen. Ihr Mund war geöffnet, so als wolle sie irgendetwas sagen, doch sie konnte ihren Kiefer scheinbar nicht rühren. Dieser Mensch – ja, es war auf jeden Fall ein Mensch – sollte nicht mehr am leben sein, aber er war es.

“Kaptan, dies ist die wahre Älteste unserer Kolonie. Meine Urgroßmutter Anet. Sie war vor mir für eine lange Zeit Paavanim hier und eine der wenigen noch verbleibenden der ersten Generation, die damals auf diesen Planeten kam.”

Ihr Blick ging wieder zur Decke.

“Ich habe Besuch mitgebracht, Oma”, sagte Bertrand. “Sie kommen aus dem Weltraum und helfen uns hoffentlich, die Kolonie wieder aufzubauen.” Er nahm ihre Hand. Seine Augen strahlten Kummer aus, allerdings wie es schien auch Liebe. Diese Person schien ihm sehr viel zu bedeuten. “Du freust dich doch immer, wenn Besuch da ist. Ich wollte, dass du sie kennen lernst. Sie hat ein Raumschiff.”

Die Frau rührte sich nicht. Sie starrte nur regungslos nach oben, als sei sie eine Puppe.

“Sie gehört also wirklich zu den Pionieren? Was ist mit den anderen passiert?” fragte Gorbani schließlich nach langem Schweigen.

“Viele sind tatsächlich gestorben. Am Anfang war es nicht so leicht, hier zu überleben. Es ist nicht so, dass Verletzungen uns gar nichts anhaben können. Sehr schwere bedeuten auch für uns den Tod. Und damals gab es hier viele wilde Tiere. Einige gelten als vermisst. Raimon Tsels zum Beispiel hatte ich ja schon einmal erwähnt. Einige andere leben sogar noch unter uns.”

Gorbani hat vorhin noch gesehen, welche Verletzungen diese Menschen aushalten konnten. Sie wollte gar nicht wissen, wie furchtbar es gewesen war, von einem wilden Tier gerissen zu werden, während man dabei noch so lange weiterlebte. “Passiert…” Gorbani hatte einen Kloß im Hals. “Passiert das mit euch im sehr hohen Alter?”

Bertrand schüttelte den Kopf und seufzte, immer noch müde am lächeln. “Nicht allen. Die in ihrem Alter, die noch leben, sind eigentlich sogar recht munter– Naja, so munter wie man mit 260 Jahren eben sein kann. Sie allerdings…” Gorbani glaubte, Tränen erkennen zu können. Er seufzte. “Sie leidet an einer degenerativen Krankheit. Schon seit langer Zeit.”

Wenn jemand wie er, der 160 Jahre alt war, ‘lange Zeit’ sagte, dann musste es wirklich lange sein.

“Ist es ALS?”

Bertrand brauchte eine Weile, aber er schien zu begreifen, was sie meinte. “Etwas in der Richtung vermuten wir auf jeden Fall. Aber uns fehlt das medizinische Fachwissen.”

“Und das habt ihr nicht, weil ihr sonst keine Medizin braucht. Demnach weiß niemand, wie man ihr helfen kann.”

Bertrand nickte.

“Ist sie – ist sie denn geistig, also –”

“Vermutlich. Aber sie ist vollständig gelähmt, kann nicht alleine essen…”, er schüttelte den Kopf. “Ich komme mehrmals am Tag hierher um sie zu pflegen und ihr Gesellschaft zu leisten. Ihre Psyche scheint nicht von der Krankheit selbst betroffen zu sein, von ihrem Zustand allerdings ganz bestimmt. Ich weiß nicht, was in Ihrem Kopf vorgeht.” Er gab ein trauriges Lachen von sich. “Das ist das Schlimme daran.”

Gorbani überkam ein leichtes Schwindelgefühl und musste sich auf einen Stuhl in der Nähe setzen. Dann nahm sie die Hände ins Gesicht. Sie war sich nicht sicher, dass sie realisieren konnte, was sie gerade da sah.

“280 Jahre”, sagte sie zu ihr. “Großer Gott! Sie waren am Leben während des ersten interstellaren Kriegs und während das Konglomerat noch auf den Kolonien herrschte. Als Sie geboren wurden, hatten SAI noch keine Rechte und lebten in Sklaverei. Sie haben wirklich lange gelebt und sicher auch viel erlebt. Und Sie können sich nicht einmal mehr mitteilen.”

Bertrand lächelte wieder. “Scheint so, als hätten wir einiges verpasst”, sagte er.

“Allerdings”, erwiderte Gorbani. “Wollten Sie, dass wir ihr mit ihrer Kondition helfen? Ich bin kein Arzt, aber ich halte es für unwahrscheinlich, dass wir etwas tun können. Da möchte ich ganz ehrlich mit Ihnen sein. Eine Behandlung würde unter normalen Umständen Jahre in Anspruch nehmen. Und über euren Organismus wissen wir sehr wenig." Sie schwieg für einen Moment. “Wollten Sie deswegen, dass wir die Daten über die Substanz an uns nehmen?”

“Vielleicht. Es war eine schwache Hoffnung, die ich hatte. Aber ich habe mir auch schon gedacht, dass ihr wahrscheinlich nicht helfen könnt. Ich glaube, ich wollte mich mitteilen, weil ich nicht weiterweis. Jetzt, da sich in der Kolonie etwas geändert hat, bleibt die Frage, was ich mit ihr machen soll. Ich kann sie doch auch nicht so lassen.”

Gorbani wurde hellhörig. “Was wollen Sie tun?”

“Ich bin mir nicht sicher, was ich tun kann und darf. Ich will aber nicht, dass sie bis ans Ende der Zeit in diesem Zustand ist.”

Er hatte Recht, dachte Gorbani. Wenn Sie wirklich nicht altersbedingt sterben konnten und er nichts tat, würde sie vielleicht ewig so bleiben. Andererseits würde er es bestimmt nicht übers Herz bringen, sie zu erlösen.

“Ich kann keine Sterbehilfe an Ihrer Stelle leisten, Bertrand. Das ist eine Entscheidung, die mir als Außenstehende nicht zusteht.”

Er schüttelte den Kopf und hob die Hand in abwehrender Haltung. “Das würde ich auch gar nicht von Ihnen verlangen.”

Anet verblieb völlig regungslos und starrte weiter gegen die Decke, als existierten ihre beiden Gäste gar nicht.

“Wie wird es auf Terra gehandhabt?”

Gorbani schüttelte den Kopf. “Das hier ist nicht Terra. Bei uns gibt es aktive Sterbehilfe. Aber die Kolonie ist noch kein Mitglied der Republik. Sie setzt sich nur ein, wenn Dinge wie Umwelt- oder Grundrechte verletzt werden. Das aber auch nur, wenn die Welt bereits länger mit der Republik in Kontakt steht. Es ist auch nicht unsere Mission als Aurora-Offiziere, Kolonien einzugleidern.”

“Gehört es denn nicht zu den Grundrechtsfragen, wenn ein anderer über dein Leben entscheiden muss?”

“Das schon, aber bei dem Thema darf jede Welt selbst entscheiden, wie sie es handhabt. Dafür ist die Angelegenheit zu kontrovers und von zu vielen kulturellen Faktoren abhängig, als dass es eine allgemeingültige Regel geben kann. Außerdem ändert ihre– sagen wir biologische Situation einiges. Allein schon deswegen kann das Urteil der Republik hier nicht gelten. Dies hier müssen Sie unter sich ausmachen.”

Bertrand nickte. Er verstand dies vollkommen. Vielleicht hatte er wirklich die Hoffnung, dass ihm diese Entscheidung abgenommen wird. Allerdings schien er auch froh zu sein, dass er seine Sorgen mitteilen konnte. “Ich danke Ihnen, Kaptan. Wirklich.”

Gorbani lehnte sich zu ihm. “Ich verstehe, dass das nicht leicht ist. Als Kaptan mache ich auch mal Entscheidungen über Leben und Tod. Das sind die Momente, wo ich mir wirklich wünsche, nie ein Kommandierender Offizier geworden zu sein.”

“Ich verstehe. Das muss sicher hart für Sie sein.”

“Aber auch das ist es am Ende wert.”

Er lächelte. “Das kann ich gut nachvollziehen. Ich habe oft davon geträumt, die Sterne zu erkunden, Kaptan. Nutzen Sie diese Chance!”

Gorbani erwiderte sein Lächeln. “Das werde ich tun.”

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Die Astronauten hoben einige Zeit später vom Planeten ab. In ihrem Shuttle flogen Sie über Eravata II und verweilten wie angewiesen im Orbit. Glücklicherweise blieb es bei leichten Kopfschmerzen und etwas Übelkeit. Sie waren froh, den Planeten doch noch lebend verlassen zu können. Jetzt genossen sie in der Umlaufbahn die ärztlich angeordnete Downtime, die sie sich nach dem Abenteuer auch verdient hatten.

“Ist es wahr, dass sie den Planeten ‘Amrita’ genannt haben? Ich glaube, wir haben in dem ganzen Chaos vergessen, nachzufragen.” fragte Vijar.

“Allerdings. Bertrand hatte es mir gesagt. Das Elixier des ewigen Lebens. Ein treffender Name”, sagte Nikos, die es sich auf einer Sitzbank mit einem Buch und einem Mokka bequem gemacht hat.

“Ich bin gespannt, was aus der Kolonie wird. Und ob es wirklich Leute geben wird, die zuwandern werden” sagte Lashenko.

“Das ist immer noch ein schöner Planet mit guten Kolonisationsbedingungen und Ressourcen. Und es gibt bestimmt viele, die gerne das ewige Leben hätten” sagte Vijar.

Lashenko schüttelte lächelnd den Kopf. “Nein, das wäre nichts für mich. Irgendwann reicht es auch mal.”

Gorbani kam aus dem Cockpit des Shuttles. “Kameraden, soeben wurde das Ergebnis der Wahl verkündet. Grüntee, medium!”, sagte sie zum Getränkeautomaten des Shuttles, der prompt eine Teetasse generierte und heißes Wasser durchlaufen ließ. “62 Prozent für Rot und für Blau 38 Prozent. Das bedeutet, wir dürfen das Geheimnis über die Kolonie preisgeben. Als Bertrand mir das mitgeteilt hatte, klang er sehr besorgt.” Sie setzte sich mit der Tasse in einen der Sitze.

“Er war doch selbst Befürworter gewesen. Hat er jetzt doch Zweifel?” fragte Vijar.

“Ich glaube eher, dass er Angst hat”, sagte Gorbani. “Denn, er hat mir auch etwas sehr beunruhigendes mitgeteilt, nämlich dass Mikayel und einige andere Bewohner seit heute morgen verschwunden sind. Wenn Mikayel sich abspaltet, könnte er für die anderen eine Bedrohung werden. Und es gab auch viele andere, die mit dem Wahlergebnis unzufrieden waren.”

“Das ist in der Tat beunruhigend”, sagte Lashenko. Die anderen waren nun aufmerksam.

“Das wird nicht die einzige Bedrohung sein”, sagte Gorbani. “Es wird sicher einige gierige Menschen geben, die hierhin kommen werden um MR-79 für sich selbst zu haben. Manche würden viel Geld dafür zahlen. Das wird wohl leider der Preis dafür sein, dass ihre Kolonie fortbesteht. Ich kann Mikayel schon verstehen. Er will die Kolonie vor diesen Menschen schützen und er hat sein Vertrauen in Bertrands Führung verloren.”

“Vermutlich werden jetzt auch viele den Freitod wählen, noch bevor neue Kolonisten eintreffen. Nicht alle werden abwarten”, sagte Lashenko, worauf Arthur ihn ansah. “Ich denke, das wird die Kolonie ebenfalls gefährden, da sie die Rollen die diejenigen eingenommen haben, nicht einfach ersetzen können.”

“Es bleibt abzuwarten”, sagte Gorbani. Nicht nur er wollte, dass die Kolonie weiterlebt. Das wird nur funktionieren, wenn die meisten zumindest noch ein kleines bisschen durchhalten.” Sie schlürfte ihren Grüntee.

“Komander Lashenko, dürfte ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?” fragte Arthur.

Lashenko, von dieser Anfrage leicht überrascht, sah zu dem Androiden. “Ähm, klar. Worum geht es? Möchten Sie ins Cockpit gehen?”

“Damit wäre ich Ihnen sehr verbunden.”

Die beiden standen auf, gingen zu den Pilotensitzen im Cockpit-Bereich und schlossen die Tür hinter sich.

“Nun, was gibt es, Yotekom?” fragte Komander Lashenko.

“Habe ich mich die letzten Tage unbunt genug ausgedrückt?”

“Wie bitte?”

“Waren meine Floskeln aphantastisch genug?”

Lashenkos Gesicht wurde zur menschlichen Variante einer Fehlermeldung auf einem Service-Panel.

“Unbunt ausgedrückt?”

“Sie wollten doch, dass ich beim Thema Suizid keine bildhafte Sprache verwende, da Menschen dazu tendieren, sich solche Dinge bildlich vorzustellen und emotional belastet zu werden. Fanden Sie meine Wortwahl akzeptabel?”

Jetzt verstand Lashenko und musste doch sehr herzlich lachen. “Es ist alles gut, Arthur. Es ging eher darum, darauf zu achten, wie es anderen damit geht.”

“Ich verstehe es nicht ganz. Wenn Menschen sich dies bildhaft vorstellen, fühlen sie sich damit doch unwohl. So habe ich ihre Ermahnung zumindest interpretiert.”

“Nicht alle. Menschen gehen sehr verschieden damit um. Manche bevorzugen Bildhaftigkeit und auf andere wirkt das unangenehm. Das müssen Sie immer auf die Person ankommen lassen. War es das, was Sie beschäftigt hat?”

“Ja. Das hat es.”

“Es ist schon gut. Sie haben absolut richtig gehandelt, als sie vorsichtig damit waren und mehr Respekt damit gegenüber dem Thema gezeigt haben. Achten Sie einfach darauf, wie die Personen sich um Sie fühlen.”

Arthur nickte langsam.

“Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen möchte?”

“Ja, Komander. Ich glaube schon.”

“Gut.” Er lächelte und fragte zögernd: “Darf ich Sie vielleicht auch mal etwas fragen, was das Thema Tod angeht– sofern das für Sie in Ordnung ist, natürlich?”

“Das dürfen Sie. Was wollen Sie wissen?”

“SAI haben keine feste Lebensspanne, oder?”

"Keine, die man sicher schätzen kann, doch das kommt ganz drauf an”, sagte Arthur. “Körperliche SAI geben auch irgendwann den…” Er ertappte sich. Heute ging er lieber ganz auf Nummer sicher. “...Sie gehen irgendwann auch kaputt. Manche SAI können sich zwar in einen anderen Körper transferieren, aber ich zum Beispiel kann das nicht. Irgendwann werde ich sterben. Wann das sein wird, kann ich nicht sagen”, fuhr er fort und zuckte dabei mit den Schultern.

“Und wie geht es Ihnen damit?”

Er überlegte. “Nun, natürlich habe ich auch Angst, selber zu sterben. Der Weltraum ist nicht ungefährlich. Allerdings… Ich weiß nicht, wie sich Menschen damit fühlen, aber ich glaube, das Thema betrifft mich insgesamt weniger stark.”

“Löst es denn gar nichts in Ihnen aus?”

“Sagen wir, es betrifft mich anders.”

“Aha. Na gut, jeder ist auf seine Weise anders, wie schon gesagt.”

“Das stimmt, Komander.” Einen Moment lang sahen die beiden sich gegenseitig an, ohne ein Wort zu sagen. “Nun, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch”, sagte Arthur schließlich.

“Wissen Sie, wir können uns auch ruhig duzen, wenn wir nicht im Dienst sind. Nenn mich ruhig beim Vornamen. Damian.”

“Ich verstehe. Das werde ich bedenken. Sollen wir dann wieder zu den anderen gehen?”

“Sehr gerne”, erwiderte Damian lächelnd und ging zusammen mit Arthur aus dem Cockpit.

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