„Bitte, es muss doch etwas anderes geben, das ich tun kann. Zum Beispiel zwei Wochen lang jede Woche Ihren Rasen mähen. Nächste Woche kann ich nicht.”
Homer Simpson, Die Simpsons
ZUERST WAR DAS Spiel mein Leben. Und dann wurde mein Leben selbst zu einem Spiel.
Ich hatte im Leben versagt. Mit knapp über dreißig konnte ich gerade mal eine Ehefrau vorweisen, eine Reihe von jeweils einmaligen Freelance-Aufträgen, einen hochmodernen Computer, einen Schurkencharakter auf Level 110 in einem beliebten RPG und einen Bierbauch.
Außerdem schrieb ich Bücher. Nun ja, um genau zu sein, ein Buch. Das ich noch nicht abgeschlossen hatte.
Anfangs hatte ich mich geschmeichelt gefühlt, wenn mich jemand als Schriftsteller bezeichnete. Im Laufe der Jahre war ich allerdings gezwungen, der unangenehmen Wahrheit ins Gesicht zu sehen: Ich war kein Schriftsteller. Man hatte mir diese Bezeichnung nur deshalb verliehen, weil es kein anderes Etikett in den sozialen Medien gab, das mich hätte beschreiben können.
Wer war ich also wirklich? Ein gescheiterter, einstmals allerdings vielversprechender Vertriebsmitarbeiter, der von einem Dutzend Firmen gefeuert worden war? Nicht gerade berauschend. Immerhin nennt sich heute jeder – und sogar deren Hunde - Online-Marketing-Guru.
Ich allerdings konnte überhaupt nichts verkaufen. Um ein Produkt zu bewerben, hätte ich davon überzeugt sein müssen. Ich konnte keinem Kunden etwas in dem Wissen aufschwatzen, dass er es so nötig brauchte wie einen Abfalleimer.
Eine Weile lang hatte ich leichtgläubigen Rentnern extrastarke Staubsauger verkauft. Ich hatte den Großstadt-Strebern, die sich von rehydrierten Lebensmitteln ernährten, die modernsten Wasserfilter angedreht. Ich hatte vorgefertigte Websites an Möchtegern-Existenzgründer vermarktet, die ihre erste Firma mit Hypotheken auf ihr Haus finanzierten. Ich hatte Online-Werbung verkauft, Pauschalreisen, Diätpillen und Wurmmittel. Aber nichts davon lief. Ich verlor einen Job nach dem anderen.
In meiner Freizeit betrieb ich einen Blog (und, zugegeben, oft genug auch während meiner Arbeitszeit.) Hier veröffentlichte ich Kurzgeschichten, um die wenigen Leser zu unterhalten, die ich gewinnen konnte. Das war für mich Grund genug, mich als ganz anständigen Internet-Marketingfachmann zu betrachten.
Dann fand ich einen Job bei einer Firma, die nach jemandem suchte, der ihren Online-Shop betreute. Allerdings hatte bereits meine erste Besprechung mit dem Geschäftsführer meine absolute Inkompetenz enthüllt. Er hatte nach den Konvertierungsraten gefragt, nach dem durchschnittlichen Bestellwert, dem Grad des Kundenengagements, der Absprungrate, der Schuldentilgungsfähigkeit und all den anderen Statistiken, die ich ihm hätte präsentieren müssen.
Anscheinend verlangte der Betrieb eines Online-Geschäfts mehr als nur das Bestücken eines Blogs mit amüsanten Artikeln, Kommentaren und Likes. Hatte ich meine Probezeit erwähnt? Man setzte mich auf die Straße, bevor sie abgelaufen war.
Dieser Fehlschlag traf mich bis ins Mark, und ich beschloss, mir jetzt endlich die nötigen Grundkenntnisse anzueignen. Ich lud mir unzählige Kurse, Lehrbücher und Video-Tutorials herunter und meldete mich sogar für ein paar Webinare an.
Dieser Eifer hielt genau eine Woche lang an. Die ersten fünf Tage erfreute ich mich an meinem neuen Status. Lange konnte die Zeit des Lernens schließlich nicht dauern – mit meiner Begeisterung und Gründlichkeit würde ich die Kunst des Online-Marketings in Nullkommanichts beherrschen.
Im Geiste sah ich mich bereits als beliebter Experte mit einer entsprechenden Kundenliste, als jemanden, der für sein Wissen auf dem Markt die höchste Bezahlung verlangen konnte. Endlich würde ich mir ein Haus und ein anständiges Auto kaufen können, mehrfach im Jahr Urlaub machen und all die Vorteile einer wöchentlichen Arbeitszeit von vier Stunden genießen.
Trotz meiner Euphorie war ich allerdings nicht gerade begierig darauf, mich ernsthaft mit all den Lernmaterialien zu befassen. Und im Laufe dieser fünf Tage ließ meine Begeisterung immer mehr nach. Am Ende befand ich mich in derselben Position wie zuvor. Als ich mich schließlich am Riemen riss und mit dem eigentlichen Studium begann, wurde ich schnell von Stumpfsinn und Langeweile eingeholt. Am Ende des zweiten Tages musste ich mir eingestehen, dass ich für diesen Bereich einfach nicht geschaffen war.
Das nächste Jahr verbrachte ich damit, mich mit mageren Einnahmen aus den Werbeanzeigen in meinem Blog und ein paar Jobs als Freiberufler von der Hand in den Mund zu ernähren. Meine Frau Yanna glaubte noch immer fest an mich und mein angebliches Potenzial. Allerdings ließ ihre Geduld bereits nach. Sie war acht Jahre jünger als ich und damit in einem Alter, in dem ihre Freunde sich ständig über die besten Einkaufsorte und Urlaubsziele unterhielten. Während ihre Highlights darin bestanden, ihren bloggenden Ehemann hin und wieder zu einer Filmvorschau im geschlossenen Kreis zu begleiten. Unter den Umständen kann jeder seinen Glauben verlieren.
Aber dann muss man sich ja nur mal, zum Beispiel, Gabriel Garcia Marquez betrachten. Viele Jahre lang musste seine Frau das Geld für die Familie heranschaffen, während er, genau betrachtet, nichts anderes tat als zu essen, Kinder zu zeugen und das Buch Hundert Jahre Einsamkeit zu schreiben. Hatte sie in ihrem Glauben an ihn etwa jemals geschwankt? Nicht, dass ich wüsste.
Yanna allerdings war anders. Sie war jünger und kinderlos. Wahrscheinlich verlieh das ihren Worten einen sarkastischen Unterton, wann immer ich mein Buch erwähnte.
Tatsächlich schien, als die Monate vergingen, ihr Respekt für mich zu schwinden. Das zeigte sich in vielen Kleinigkeiten, auf die ich anfangs gar nicht achtete.
Und was mein Buch betraf … Nun ja, es hatte da einen Augenblick gegeben, in dem ich erkannte, dass ich bald dreißig werden würde und absolut nichts vorzuweisen hatte. Mein Leben würde bald seinen Zenit erreichen, auf den unweigerlich der Abstieg erfolgen würde.
Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Moment. Ich erwachte nach einer absolut geilen Party und beschloss, einen Bestseller zu schreiben. Angesichts meines Talents konnte nichts einfacher sein. Dachte ich.
Komischerweise erwies sich das Schreiben als harte Arbeit. Entweder hatte ich das Ausmaß meines Talents überschätzt, oder vielleicht – nur vielleicht – hatte ich dieses Talent auch niemals besessen. Mein Gehirn kämpfte mit Worten, die meine Finger anschließend wieder löschten.
Es hatte mich drei Monate gekostet, auch nur die erste Seite zu produzieren. Gleichzeitig berichtete ich in meinem Blog munter über meine fantastischen Fortschritte. Angeblich war ich bereits beim zwölften Kapitel. Meine Freunde boten mir ständig an, als Beta-Leser zu fungieren. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass, selbst wenn ich etwas vorzuzeigen gehabt hätte, sie nicht bei der Stange geblieben wären. Tatsache war aber nun mal, dass ich nichts vorzuzeigen hatte, also konnte ich diese Annahme nicht überprüfen. Ich erklärte mein Widerstreben damit, dass ich keinen unfertigen Entwurf veröffentlichen wollte.
Als ich endlich das dritte Kapitel fertiggestellt hatte, konnte ich der Versuchung jedoch nicht länger widerstehen. Ich lud alles ins Internet hoch und freute mich auf jede Menge Kommentare, Likes und die Meinung anderer Leute.
Vorher bat ich jedoch noch Yanna, es zu lesen. Sie weigerte sich.
„Ich will, dass du das Buch zuerst abschließt“, erklärte sie. „Und dann lese ich alles in einem Rutsch. Ich mag nichts, das sich noch in Arbeit befindet, ob es nun ein Buch oder ein Film ist.“
Sehr viel später las sie dann doch den fertiggestellten Teil des Romans. Aber zu dem Zeitpunkt glaubte sie wahrscheinlich schon nicht mehr daran, dass ich das verdammte Ding jemals zu Ende bringen würde.
Die Kapitel veröffentlichte ich allerdings nicht auf meinem Blog. Stattdessen lud ich sie unter einem Pseudonym in einem beliebten Portal für Schriftsteller hoch.
In dieser Nacht ging ich voller Aufregung und Vorfreude zu Bett. So ähnlich hatte ich mich auch als Kind gefühlt, in der Nacht vor einem Angelausflug mit meinem Vater. Ich freute mich auf einen Tag voller Glück und Freude und am Ende Erfolg. Ich stellte mir vor, wie ich am Morgen aufstand, in aller Ruhe duschte, mich rasierte und mir die Zähne putzte, mir eine Tasse extrastarken Kaffee kochte, eine Zigarette anzündete und dann endlich die Seite mit meinem ersten Kapitel öffnete, wo ich nichts als überschwängliches Lob der Leser und Forderungen nach dem Rest des Buchs vorfinden musste.
Ensure your favorite authors get the support they deserve. Read this novel on the original website.
Ich wachte etwa gegen Mittag auf und begab mich sofort zum Computer, noch bevor ich mir auch nur die Zähne geputzt hatte.
Nur zwei Seiten waren gelesen worden. Es gab keine Likes. Und nur einen Kommentar:
Ich konnte nicht zu Ende lesen, tut mir leid. Ich fürchte, das Schreiben ist nichts für dich.
In genau diesem Augenblick beschloss ich, das vermaledeite Ding fertigzustellen. Und sei es auch nur, um dieser Person den Mittelfinger zu zeigen. Ich rauchte eine halbe Schachtel Zigaretten und begann dann mit der Arbeit am nächsten Kapitel.
Nur, ich konnte nicht schreiben. Weder an dem Tag, noch am nächsten. Um ehrlich zu sein: Ich habe seitdem nicht eine einzige Zeile geschrieben.
Das lag nicht etwa daran, dass ich nicht gewusst hätte, worüber ich schreiben sollte. Ich konnte mich nur einfach nicht konzentrieren. Ständig war ich abgelenkt durch Mitteilungen in sozialen Medien, Nachrichten aus Chaträumen, unsere Katze Boris (über sie berichte ich später noch), den kalten Luftzug im Zimmer, Yanna, die Fliegen, den pfeifenden Wasserkessel, meine leere Kaffeetasse, die Artikel und Blogbeiträge, die ich lesen musste, meine Schläfrigkeit, den Beginn meiner Lieblings-Fernsehserie in fünf Minuten, ein Hungergefühl, die Sucht nach einer Zigarette, der unbequeme Hocker, den ich kurz darauf durch einen nicht weniger unbequemen Schreibtischstuhl ersetzte, den ich im Ausverkauf erstanden hatte … Alles, was man sich nur vorstellen kann, lenkte mich vom Schreiben ab.
Dabei habe ich das Spiel noch nicht einmal erwähnt.
Ja, genau. Das Spiel. Das Spiel, das schon seit geraumer Zeit mein Leben geworden war.
Im Spiel hatte ich Yanna kennengelernt, und im Spiel verbuchte ich die größten Erfolge meines Lebens. (Nein, das ist kein Witz. Das glaube ich wirklich.)
Unser Clan hatte es in der Rangliste bis auf die Nummer 2 gebracht. Wir wurden im wahrsten Sinn des Wortes mit Neubewerbungen überschwemmt. Wir konnten uns die neuen Spieler aussuchen, die wir in den Clan aufnahmen, und genau das taten wir auch. Wir konnten schließlich nicht Hinz und Kunz mitmachen lassen.
In meiner Funktion als Stellvertreter des Clanchefs war ich für eine Menge Dinge verantwortlich. Was mich ziemlich viel Zeit kostete. Den Spielern mit Geld pflegten wir verschiedene Dienste im Spiel anzubieten. Das sicherte einen schwachen Strom an Einnahmen, sowohl für den Clan als auch für dessen Führung. Wenn man diese Summen allerdings in echtes Geld umrechnete, war es lachhaft.
In der letzten Nacht waren wir eifrig mit der Untersuchung der neuen Updates beschäftigt gewesen. Die zu einem endlosen Frag-Fest aus Löschen und Wiederherstellen ausgeartet waren, während wir versucht hatten, den neuen Dungeon zu erobern. Dessen Boss wollte einfach nicht sterben. Die Luft im Voice Chat war vor lauter Flüchen ganz blau. Ein Angriff nach dem anderen fiel ins Leere und wir hatten noch immer nichts vorzuweisen. Aber wir gaben nicht auf, sondern versuchten es immer wieder. Nicht, dass es viel gebracht hätte.
Für viele von uns war das ihr Leben. Wir waren die typischen Hardcore-Computerfreak-Gamer, für die Leben, Erfolg und soziale Kontakte sämtlich in der virtuellen Realität stattfanden.
Im Spiel wurde jede unserer Handlungen sofort gemessen und belohnt – oder auch nicht belohnt, je nachdem -, und zwar mit greifbaren Leistungen wie Erfahrungspunkten, Gold, höheren Leveln, Ansehen und neuen Quests als Auszeichnung. Das machte die Beziehung zur Spielewelt einfach und logisch nachvollziehbar.
Das war wahrscheinlich der Grund, warum ich nur im Spiel ehrgeizig und motiviert war, aber nicht im wirklichen Leben.
Das war weiterhin der Grund, warum wir die Eroberung des Dungeon unbedingt noch in derselben Nacht abschließen mussten, bevor die anderen Clans davon Wind bekamen.
Nur schafften wir es nicht.
Als wir endlich aufgaben und das Treffen auflösten, war es bereits früher Morgen. Ich war gerade eingeschlafen, die letzte, nicht ganz geleerte Bierdose noch in der Hand, als Yanna aufstand.
Ich kannte mal jemanden, der gern auf die Unterschiede in der toleranten Umsichtigkeit zwischen Frühaufstehern und Nachteulen hinwies. Letztere sind ihren Frühaufsteher-Freunden gegenüber sehr viel rücksichtsvoller. Sie bringen sie zu Bett und sorgen für Ruhe nach 21:00 Uhr. Den Frühaufstehern allerdings fehlt diese Charakterfeinheit. Sie lieben nichts mehr, als eine friedlich schlafende Nachteule vor dem Mittag aus dem Bett zu treiben. Yanna war da keine Ausnahme.
„Hey, es ist Zeit, aufzustehen! Das Frühstück ist fertig! Du hast schon wieder die ganze Nacht gespielt, stimmt‘s?“
Sie schaltete den Fernseher ein, öffnete die Fenster und veranstaltete einen Höllenlärm in der Küche.
„Phil Panfilov, steh endlich auf, verdammt noch mal! Sonst komme ich zu spät zur Arbeit!“
Es war eines unserer Rituale, gemeinsam zu frühstücken. Es hatte zu einer Zeit begonnen, als wir lange, schlaflose Nächte miteinander verbracht hatten. Entweder mit Computerspielen oder mit Sex. Seitdem Yanna ihren Abschluss gemacht und einen Job gefunden hatte, waren unsere Tagesrhythmen nicht mehr miteinander kompatibel. Trotzdem frühstückten wir meistens noch immer zusammen.
Mein Kopf bemühte sich angestrengt darum, das nervenzerrend fröhliche Geplapper einer Waschmittelwerbung auszublenden. Ich musste das verfluchte Gerät stumm schalten, bevor es mir noch das Hirn zerriss.
Ohne die Augen zu öffnen, tastete ich nach der Fernbedienung und stellte leiser. Ich taumelte ins Badezimmer, drehte den Hahn auf, verbrannte mich am heißen Wasser, fluchte, drehte den Kaltwasserhahn auf, schüttete mir etwas Wasser ins Gesicht, putzte mir die Zähne und schaute in den Spiegel.
Eine ziemlich mitgenommene Kreuzung zwischen einem Goblin und einem Ork starrte mich an, die einmal zu oft gerespawned hatte.
Ich brauchte dringend eine Rasur. Vielleicht. Irgendwann einmal.
Wir setzten uns an unseren kleinen Esstisch in der Ecke einander gegenüber. Ohne große Begeisterung mampfte ich ein Omelette und ging dann zu den Sandwiches über. Yanna trank ihren Kaffee und trug dabei geschickt ihr Make-up auf.
Ich erinnerte mich an unsere erste Begegnung. Ich hatte auf den Beginn eines neuen Raids gewartet. Zutiefst gelangweilt hatte ich beschlossen, mein Phönix-Reittier ein wenig auszuführen. Wir flogen gerade über Kalimdor, als ich auf einmal eine Priesterin auf einem niedrigen Level im lokalen Chat um Hilfe bitten hörte. Ihr Name war Healiann. Anscheinend hatte ein ekliger Tartar-Ganker sie verletzt. Da musste ich natürlich anhalten und ihm eine Lektion erteilen. Sie fügte mich ihrer Freundesliste hinzu. Ein paar Monate lang half ich ihr, ein Level nach dem anderen aufzusteigen. Schließlich unterhielten wir uns in einem Voice Chat. Dabei fanden wir heraus, dass wir in derselben Stadt lebten. Ich lud sie ein, sich unserem Clan anzuschließen. Und bei einem der von Alkohol beherrschten Treffen unseres Clans in der wirklichen Welt begegneten wir uns dann zum ersten Mal.
Yannas Stimme durchbrach die Stille. „Stehst du so sehr auf Blondinen?“
Was bitte sollte ich denn darauf antworten? Ich mochte Blondinen, das stimmte. Ich mochte aber auch Frauen mit dunklen Haaren, Rothaarige und Brünette. Als ich die Universität besuchte, war ich in dieses Mädchen verknallt gewesen, das sich die Haare blau gefärbt hatte. Später hatte sie sich den Kopf kahlrasiert. Ich hatte sie trotzdem nicht weniger geliebt.
Yanna war von Natur aus brünett, ging jedoch gerade durch eine Phase rabenschwarzer Haare.
„Die Haarfarbe ist mir egal“, erwiderte ich. „Und andere Frauen kümmern mich nicht. Du bist die einzige Frau, die ich in den letzten … ähm … vier Jahren geliebt habe.“
„Klar doch“, grinste Yanna, offensichtlich nicht gerade überzeugt. „Und wer ist dann die Blondine in deinem Buch? Aber wenigstens scheinst du dich erinnern zu können, wie lange wir schon zusammen sind.“
Ich verschluckte mich beinahe an meinem Schinken-Käse-Sandwich. Sie hatte recht. Die Hauptfigur in meinem Buch hatte sich tatsächlich in eine blonde Frau verliebt. Aber der Typ war schließlich nicht ich, verdammt noch mal!
Ich schluckte den Bissen hinunter und räusperte mich. „Nicht ich stehe auf Blondinen, sondern der Kerl im Buch. Der Hauptprotagonist.“
Sie betrachtete mich mit verengten Augen. „Und was bitte macht ihn dazu?“
Sie hatte die Wimperntusche bisher nur auf einem Auge aufgetragen. Ihr Gesicht erinnerte mich an Two-Face von Gotham City. Nervös wippte sie mit dem Bein, bis ihr flauschiger Hausschuh durchs Zimmer flog. Das war eine ihrer Angewohnheiten.
„Nichts“, gab ich zu. „Er ist einfach nur ein Protagonist. Ich habe das Buch nur deshalb in der Ich-Form geschrieben, weil mir das leichter fällt.“
„Du bist ein Lügner! Glaubst du, ich sehe nicht, wie du rot wirst? Und schau dir deine Hand an – sie zittert.“
Meine Hand zitterte, weil ich in der vergangenen Nacht zu viel Bier getrunken hatte. Allerdings hatte sie nicht ganz unrecht. Ich hatte tatsächlich gelogen.
„Nun, Herr Schriftsteller“ – sie legte ihren gesamten Sarkasmus in dieses eine Wort – „ich muss jetzt los.“
Mich traf eine schwere Wolke ihres Parfüms, erregend und widerlich süß. Sie drückte mir einen hastigen Kuss auf die Lippen, dann marschierte sie aus der Küche.
Kurz darauf schloss sich die Wohnungstür mit einem Knall.
Ich starrte auf das Brot in meiner Hand. Hunger hatte ich überhaupt keinen mehr. Ich war müde.
Ich ließ den Kopf auf meine Arme sinken und studierte aus diesem Blickwinkel heraus die Ausmaße unserer winzigen Küchenecke. Der ganze Raum roch nach sparsamem Elend. Die Fliesen über der Küchenspüle bröckelten ab. Das monotone Geräusch des tropfenden Wasserhahns trieb mich fast in den Wahnsinn. Die Ofentür ließ sich nicht mehr schließen. Der gesamte Herd war braun verkrustet. Die niedrige Decke, grau-gelb von all dem Tabakrauch, hing trübsinnig über meinem Kopf.
Der Anblick weckte in mir den dringenden Wunsch, auf den vernachlässigten Balkon unserer Zweizimmerwohnung zu fliehen, das Geländer mit seiner abblätternden Farbe zu erklimmen und einfach dort zu sitzen, die Füße in der Luft baumeln zu lassen. Dann könnte ich mich abstoßen und hinunterspringen.
Ich stand auf, ließ die schmutzigen Teller auf dem Küchentisch stehen und betrat den Balkon.
Das grelle Sonnenlicht schmerzte in den Augen. Ich blinzelte und streckte meinen steifen Körper. Dann griff ich in meine Tasche und zog die Zigarettenpackung hervor.
Sie war leer. Ich fluchte und stieß einen tiefen Seufzer aus. Mittlerweile war mir alles egal. Das war wahrscheinlich der Nikotinentzug.
Ich lehnte mich gegen das Geländer und blickte auf die Straße, acht Stockwerke unter mir. Dort schimmerte eine tiefe Regenpfütze. Ihre stählerne Oberfläche spiegelte eine eilige Prozession weißer Schäfchenwolken am Himmel über mir wider.
Die Wolken teilten sich und gaben einen hellen Sonnenstrahl frei.
Er blendete mich. Ich kam mir beinahe so vor, als würde ich gerade auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet.
Alles verschwamm vor meinen Augen. Ich konnte nichts mehr sehen, bis meine Sicht plötzlich zurückkehrte. Teilweise. Jetzt tanzten auf einmal kleine helle Flecken in meinem Blick, die verdächtig wie Symbole und Zahlen aussahen.
Ich ließ mich auf einen wackeligen, alten Hocker fallen, wischte mir die Augen und blinzelte mehrfach, um die Illusion zu vertreiben.
Es reichte. Es war Zeit, nach draußen zu gehen und Zigaretten zu besorgen. Und Kaffee. Und nach meiner Rückkehr musste ich mich wirklich endlich daransetzen und dieses verfluchte Buch fertigschreiben.
Ich wurde das hartnäckige Gefühl nicht los, dass all meine Probleme ein Ende hatten, sobald ich das geschafft hatte.
Ich musste einfach nur dieses verdammte Buch abschließen.