Ich fuhr die Landstraße Richtung Miel entlang, durch kleine Orte des Rhein-Sieg-Kreises, weg von Meckenheim, wo ich meinen Corsa von meinem Vater zurück getauscht hatte. Die Straße, auf der man zwischen 100 und 70 fahren darf, je nach Abschnitt, wo ewig nix als Felder sind, und die sich deshalb so gut zum Austesten der Bremsen eignet, war wie so oft menschenleer. Oder besser fahrzeugleer. Was mich gerade jetzt zu Corona nicht überraschte. Um so mehr, dass menschenleer nun doch doppelt nicht stimmte, denn ich konnte in der Ferne einen Mann sehen, der auf der Straße stand und wild mit den Armen fuchtelte, um mich zum Anhalten zu bewegen. Also drückte ich die Zentralverriegelung und fuhr langsamer. Und dann erkannte ich den Mann. Und das war nicht gut...
Es war ein groß gewachsener, sehr sportlich aussehender Mann in einem weißen Overall, wie ein Rennfahrer. Seine kurzen Haare waren blond. Und sein Gesicht war mir bekannt. Ich wusste sofort wer er war. Oder besser, wen er darstellte. Aber auch wer er sein musste. Doch es machte überhaupt keinen Sinn! 'Der kann doch gar nicht wirklich hier sein?!', dachte ich mir. Wahrscheinlich sagte ich es auch laut, ich rede oft mit mir selber. Aber ich konzentrierte mich weiter auf die Person, die mich halb verzweifelt und halb dankbar ansah, als ich immer langsamer wurde und schließlich einen Meter vor ihm stehen blieb.
Ich starrte den Mann den ich erkannte unverwandt mit leicht geöffneten Lippen an. Es war mir nicht peinlich, dämlich aus zu sehen, denn das wäre die einzige normale, gewünschte Reaktion. Dann sah ich mich weiter um. Nirgends ein Ü-Wagen aus zu machen. Keine Drohnen am Himmel, zumindest fand ich keine. Und ganz ehrlich, immer noch 'Verstehen Sie Spaß?' zu drehen, wenn alle wegen Corona auf Abstand gehen sollen, wäre auch dreist und pietätlos. Und wie hätten sie dafür einen derart gefragten Hollywoodschauspieler her kriegen sollen? Der Cantz ist halt kein Gottschalk. Und auch der hätte mit ihm Schwierigkeiten gehabt...
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Der Mann, den ich erkannte, klopft an meine Fensterscheibe, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich kurble die Scheibe nur ein kleines Stück herunter. In gebrochenem Deutsch sagt er: „Ick buaucke Hilwe! S-brecken Sie inglisch?“, und schaut mich weiter hoffnungsvoll an. Ich schließe den Mund und hebe einen Finger, als wollte ich sagen: 'Einen Moment bitte!' Ich bin immer noch zu perplex. Jetzt höre ich den Typen sogar! In seiner englischen Stimme! Und doch auf Deutsch. Aber so wie man sich nen Ami der bisschen deutsch kann eben vorstellt. 'Ganz ruhig!', sage ich mir und diesmal bestimmt nicht laut, nehme meine Hände, spreize die Finger und drehe die Handflächen nach oben, um sie eingehend zu betrachten.
Irgendein Traumforscher hat mal gesagt, wenn man das Klarträumen lernen möchte, und also wissen will, ob etwas ein Traum ist, soll man seine Finger ansehen, denn die könnte unser Hirn nicht richtig 'fälschen' für den Traum. Aber meine Fingerabdrücke, also die Rillen in der Fingerbeere, sind noch gut zu sehen. Auch meine Muttermale, und die abgekauten Nägel mit dem fransigen Nagelbett. Mal wieder wird mir bewusst, dass ich nicht ausgeglichen bin, denn immer wenn es mir richtig gut geht, kau ich meine Nägel nicht.
Also kein Traum. Ich drehe mich wieder zu dem Mann und sage in perfektem amerikanischem Englisch: „Okay, sorry 'bout that. Would you please state your name, the way it's written in your birth certificate?“ Er sieht mich überrascht an und meint dann: „My name is Steven Grant Rogers! Can you please help me get off this road and tell me, where I am?“ Also doch. Scheiße. Ich sehe sicher verärgert aus, denn er guckt mich verwundert an, doch ich ziehe kurz den Schlüssel ab, drücke die Zentralverriegelung auf und bedeute ihm mit einem Kopfnicken, sich auf den Beifahrersitz zu setzen, von dem ich noch meine CD-Tasche nach hinten räume. Ich bin froh, dass zumindest kein Papiermüll oder anderes im Fußraum liegt, schließlich kommt das Auto ja grad vom TÜV. Er steigt also mit einem: „Thanks.“ ein und will wohl noch was sagen, aber ich hebe wieder den Finger. Ich stecke den Schlüssel wieder ins Schloss, aber ich lass den Motor aus und drehe mich stattdessen ihm zu, um zu fragen: „I know, this must sound weird to you, but would it be okay, if I reached out to feel your pulse? To make sure, you are really physically present? Please?“
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Er sieht mich völlig verdattert an und fragt sich sicher, ob alle Deutschen einen an der Meise haben, aber nachdem er ein paar mal geblinzelt hat, meint er schlicht: „Okay... If it makes you feel better, go ahead!“ Ich hab nicht beachtet, dass er mir seinen Arm entgegen strecken wollte, denn ich lege ihm schnell zwei Finger an den Hals, sodass er zwar leicht zurück zuckt und große Augen macht, aber er lässt es geschehen. Auch wenn er die Stirn runzelt, als ich meine andere Hand mit Zeige- und Mittelfinger an die eigene Kehle lege. Seine Haut ist weich und warm und ich spüre deutlich den Herzschlag an meinen Fingerspitzen. Er ist sehr regelmäßig und wesentlich ruhiger, als mein eigener.
Ich spüre, wie sich Tränen in meinen Augen sammeln wollen, aber ich nehme die Hände runter, schüttel den Kopf und sehe ihn stattdessen wieder an. „So, what now?“, frage ich. Er sieht besorgt aus und antwortet: „Look, I can't explain everything, I just really have to get back home! Can I borrow your phone?“ Ich überlege. Ein Anruf nach New York wird von Aldi Talk sicher nicht übernommen, denke ich, allerdings ist das ja ne Prepaidkarte, also arm machen kann mich dieser Blödsinn nicht. Ich grüble. Der Grund für meine Traurigkeit ist schlicht, dass ich eher glauben kann, endgültig übergeschnappt zu sein und jetzt auch noch Schizophrenie zu meiner Liste psychischer Erkrankungen hinzu fügen zu können, als dass neben mir gerade ein Beweis für Steven Hawkings Theorie der unendlichen Universen sitzt. Einem Beweis, dass es bei einer unendlichen Anzahl an Universen eben auch eines geben muss, in dem Charaktere aus Filmen und Geschichten in deren Erschafferwelt überwechseln können.
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Meine Augen werden wieder feuchter, doch ich schüttele erneut den Kopf, was bei meiner Gesellschaft ein verzweifeltes Seufzen und ein leicht flehendes: „But please, I...“, auslöst, bis ich ihn unterbreche: „Not about you! It's okay, try to get service, try to get through, I'll be surprised if you reach who you're trying to call!“ Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche, nehme die Hülle ab, die mir meine Freundin gehäkelt hat, entsperre den Bildschirm und öffne die Anruffunktion, um es ihm dann hin zu halten. Er nimmt das Telefon zwar entgegen, aber er sieht mich mit gefurchter Braue an und will wissen: „Why do you say that?“
„First of, German cell phone services are not really good, especially in the countryside, but sec... oh what the hell. Try it! Really, I'm curious what kind of number you'll reach! Just make sure, when you get a connection, to unmute the phone. There's a software problem, it keeps switching off the microphone every time a connection gets made, sorry. I'm not into all that technology stuff, I only have a smartphone, because that's the only one they try to make fair! I was really fine with the old Nokia... Sorry, I'm rambling, make your call!“, quatsche ich ihn zu, bis ich mich zusammen nehme.
Er schaut zwar immer noch verwirrt aus, doch dann tippt er eine Nummer ein. Er lächelt leicht und meint: „It's okay... I'm not that into the modern tech myself. Like this suit I wear, it was supposed to get me somewhere else, but something doesn't work, and now I need Tony to look it over. I just hope that didn't ruin everything...“ Zum Schluss ist er wieder ernst geworden. Ich verstehe und nicke, was ihn etwas verunsichert. Aber er denkt wohl, ich müsste mit Iron Mans Anzügen und diesem ganzen Heldenkram schon was anfangen können, wenn ich nach seinem Namen nichts weiter gefragt habe und es einfach hin nehme. Dann höre ich eine weibliche Stimme aus dem Telefon sprechen und sein Gesicht wird noch verwirrter. „But that can't be right...“, murmelt er und tippt erneut eine Nummer.
Es kommt wieder eine Bandansage, wie ich bereits vermutete. Nach dem drittel Mal guckt er das Telefon an, probiert ins Menü zu kommen und macht stattdessen den Bildschirm aus. Er tippt mit den Zeigefingern, wie man das von älteren Leuten, die nicht mit Gameboys aufgewachsen sind, kennt. Nach weiterem Tippen öffnet sich meine Kamera, sodass er sein eigenes verdutztes Gesicht sieht (denn die Selfiefunktion ist die einzige, die es noch tut, die andere Kamera ist kaputt. Ich weiß, mein Handy ist Schrott... aber anrufen und simsen geht noch, also...). „No... what....“, murmelt er, und macht versehentlich eine Reihe Selfies. Ich hätt fast gekichert. Da bekommt er endlich den Pausenbildschirm rein. Und erstarrt. Dann blickt er mich sehr besorgt an und fragt: „What date is it today?“
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