Der Wanderer
1.
Es gab wieder Tote. Dieses Mal waren es viele. Plump war die Erinnerung an den Tag an dem alles begann. Wie Schläge pulsierten die Schemen, die verschwommen zeigten, was lange vorbei war. Er saß vor dem Feuer, welches dünn und dunkel leichte Wärme verbreitete. Lange ist er unterwegs gewesen. Genug Zeit erarbeitet für eine Rast. So war es schon immer. Er blickte in die kleinen Flammen, die den Hasen langsam schmorten. Aber die Flammen erzählten ihm eine andere Geschichte. In seinen Augen spiegelte sich die Flamme, die seine Heimat verbrannte. Die Flamme am Zelt des 3. Rates, seines Vaters. Es war der dritte Angriff in diesem Zyklus. Und es begann mit Feuer. Es begann immer mit Feuer.
„Feuer!“ schreit Kara. Die Itas kommen immer kurz vor dem Aufbruch. Auch Karas blick verrät, dass es für die verstoßenen Garfs unverständlich ist, warum die anderen Stämme sie so grausam jagen. Vor dem Aufbruch. Das bedeutet, dass sie in die Dunkelheit getrieben werden. Kara war ganz panisch und zupfte und fuchtelte mit den Armen und Beinen. „Komm beeil dich. Wir müssen in die Steppe flüchten.“ Sie hätte das nicht sagen brauchen. Jeder der Garfs wusste, wie katastrophal ein Angriff vor der Dämmerung enden konnte. Jetzt hieß es schnell handeln. Aber etwas stimmte nicht. Agarod schaute sich erstaunt um und sah, dass das meiste schon gepackt war. Sein pech schwarzes Haar sah man nicht in der Dunkelheit, aber seine blasse Haut und die feinen Gesichtszüge, die vom flackernden Feuer erhellt wurden, erkannte er in Karas dunklen Augen. Ihre Augen sprachen. „Wo sind die Sachen deines Vaters?“. Kein Bürger der Randstämme konnte es sich leisten viel zu besitzen. Doch sein Vater war der Sprecher der Gemeinschaft. Er trug die Geheimnisse. Wenn alles schon gepackt war, warum hat sein Vater so früh begonnen? Alles bei den Grafs war traditionell und genau. Er muss es gewusst haben. Aber woher? Er nahm seine Sachen. Nicht viel. In der Kaste der Sprecher musste man nicht viel Tragen. Nur persönliche Gegenstände. Kara ist in der Kaste der Tiere. Ihre Kaste hatte eine große Verantwortung. Aber sie war noch jung. Ihr zwölfter Zyklus hatte erst begonnern. Agarod hatte schon den 16. hinter sich und war laut Stammesbrauch alt genug, um einen Schützling zu bekommen. Sein Schützling ist Kara. Mit ihrem strengen Gesicht, dass immer Trauer ausdrückte, wurde er bei seiner Aufnahme damit beauftragt, ihr die Werte der Sprecher zu weisen. Aber sie kennen sich schon viel länger. Unter seinem Lager nimmt er sein Armband, Erbstück. Ein Artefakt aus scheinbaren Urzeiten. Längst vergangener Tage der immer stehender Stämme. Städte nannte man Sie. Das Armband besteht aus dem härtestem Stoff, den man kennt. Es fällt Agarod immer noch schwer zu begreifen, wie die Vorherigen es fertig brachten einen so harten Stoff zu bearbeiten. Er dient seinem Arm als Schutz, Schild. Ein Teil der drei Bestandteile der ewigen ununterbrochenen Weiterentwicklung. Dazu kommt noch ein Stab und das Buch, dass ihm Kara hin hält. Sprecher haben es leicht. Kara ist zwar noch jung aber in vier Zyklen muss auch sie die Tiere hüten. Doch jetzt hat sie nur einen kleinen Beutel der an ihren Hüfte angeschmiegt liegt. Jetzt können sie gehen. Als sie das Zelt verlassen erschlägt sie der Lärm der Schlacht, des Kampfes. Das Licht der unzähligen Fackeln, der brennenden Zelte. Der Geruch der drohenden Finsternis, des frischen Todes. Er zögert noch als sie das Zelt verlassen, doch Kara nimmt ihn bei der Hand und läuft los in eine unbestimmte Richtung. Um sie tobt der geißelnde Lärm einer Schlacht. Einer Schlachtung denkt sich Agarod. Er bleibt unvermittelt stehen und Kara wirbelt herum. „Das fünfeckige Zelt“ sagt er. Und rennt auf die Mitte des Lagers zu. Er muss sicher Stellen, dass die Geheimnisse sicher sind. Während er läuft macht er sich einen Überblick über die Situation. Es ist schon fast vorbei. Die Reiter der Itas sind kaum noch zu sehen. Das was den Lärm ausmacht ist nicht der Kampfgeschrei, sondern die Schreie der Verletzten, der Sterbenden. Unzählige Zelte können nicht mehr gelöscht werden. Das holz knirscht wütend unter den schlingenden Flammen. Die anderen Zelte werden von den überlebenden Erbauer zusammengelegt. Das Hauptzelt dem Agarod sich jetzt gegenüber sieht wurde vom Feuer verschont. Als er es betritt überkommt ihn Dunkelheit. Eine Dunkelheit prophetischen Ausmaßes. Er weiß, dass seine Augen sich erst an das Dunkel gewöhnen müssen, aber er ahnt eine unheilige Botschaft. Alle seine Sinne sind angespannt. Er erkennt nichts. Die Geheimnisse sind weg. Langsam manifestiert sich das Bild seines Vaters der auf dem Sitz des 1. Rates in unnatürlicher Haltung sitzt. Kara ist jetzt auch eingetreten. Er hört das Rauschen des Flusses an dem sie ihr Lager aufschlugen. Da spricht sein Vater:
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„Weißt du, mein Sohn. Es war nicht immer so wie es jetzt ist. Die Geheimnisse sind die Lösung. Mit ihnen kannst du es umkehren. Doch wir können sie nicht verstehen. Der Schlüssel ist dieses Buch, das ich dir gebe. Auch dieses Buch ist unverständlich für uns. Doch die Schrift begreifen wir. Irgendwann wirst du es verstehen lernen. Dann verstehst du vielleicht auch die Geheimnisse und kannst der Welt wieder einen Ruck geben. Dein Name. Agarod, dein Name ist die Verheißung. Du wirst das Vorher wieder herstellen. Du wirst die Zeit zurück bringen. Ja Agarod, wir Menschen haben die Zeit verloren. Die Zeit ist wichtig. Die Zeit gibt uns so viel. Sie gibt der Erde leben. Sie gibt uns Ordnung. Sie gibt und all das was wir verloren haben. Jetzt leben wir in einer andauernden und stetig fortlaufenden Finsternis. Sie verfolgt uns und in ihr endet alles. Die Finsternis hat noch niemand lebend verlassen Agarod. Es gibt auch keine Leichen. Es ist nicht nur die Kälte oder der Hunger. Es gibt keine Leichen Agarod. Irgendetwas ist in der Dunkelheit. Doch Agarod, der Feind lauert auch im Licht. Und auch hier mein Sohn. Seit unzähligen Jahren hüten wir die Geheimnisse. Und der Feind sucht nach den Geheimnissen. Nur der Grund bleibt uns verwehrt. Suche den Alten Agarod.“
Agarod spürte das harte Leder des Buches in seiner Hand. „Es tut mir Leid Agarod“ meldete sich Kara zu Wort. Ihre Stimme zitterte bitter und sie schluckte. Sie wusste es war schwer das zu sagen und Agarod hörte es in ihrer leisen Stimme. „Wir, .. wir müssen in die Steppe.“ Auch die Leiche seines Vaters würde nie begraben werden. Das begriff Agarod jetzt. Wut. Entsetzten. Hass Breitete sich aus. Kara legte ihre Hand auf seine Schulter. Sie wollte ihm ihr Mitgefühl so sehr zeigen, mit ihm trauern und weinen, aber sie konnten hier nicht bleiben. Sie gingen los. Raus aus dem Lager. Raus in die Steppe. Sie sprachen nicht. Sie gingen in Richtung des hellen Horizonts. Sie schauten nicht zurück. Sie wussten es gab nichts zu sehen. Am Himmel wäre nur Finsternis und die Erde brannte. Möglicher weise war das das Ende ihrer Heimat.